Berlin verärgert über Kritik an Merkel aus der Türkei Westerwelle bestellt türkischen Botschafter ein

Berlin · Der Streit um das harte Vorgehen der türkischen Regierung gegen Demonstranten belastet zunehmend auch das Verhältnis zu Deutschland. Wegen deutschlandkritischer Äußerungen der Regierung in Ankara wurde am Freitag der türkische Botschafter in Berlin ins Auswärtige Amt (AA) einbestellt.

Eskalation auf dem Taksim-Platz: Hans Rusinek fotografiert
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Äußerungen zu den EU-Beitrittsverhandlungen seien auf großes Unverständnis gestoßen. "Das geht so nicht", sagte AA-Sprecher Andreas Peschke. Der türkische Europaminister Egemen Bagis hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag gewarnt, den Türkei-Beitritt aus wahltaktischen Gründen zu blockieren. "Sollte Frau Merkel innenpolitischen Stoff für ihre Wahl suchen, darf dieser Stoff nicht die Türkei werden", sagte Bagis nach Medienberichten. Merkel könne am Beispiel des früheren französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy sehen, dass es nicht zuträglich sei, die Türkei für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen, sagte Bagis. Sarkozy hatte die Präsidentenwahl im vergangenen Jahr verloren.

Merkel hatte Anfang der Woche kritisiert, die Sicherheitskräfte in Istanbul seien "viel zu hart vorgegangen". Sie sagte: "Das, was im Augenblick in der Türkei passiert, entspricht nicht unseren Vorstellungen von Freiheit der Demonstration, der Meinungsäußerung."

In Brüssel war am Donnerstag bekanntgeworden, dass die Europäische Union voraussichtlich nicht wie geplant am kommenden Mittwoch ein neues Kapitel in den Verhandlungen mit der Türkei eröffnen werde. Dies habe vor allem technische Gründe, sagte AA-Sprecher Peschke. Zu dem Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Protestbewegung gebe es "keinen direkten Zusammenhang". Die Dinge müssten aber im politischen Kontext gesehen werden. "De-Eskalation ist das Gebot der Stunde", sagte Peschke.

Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter betonte, Merkel wolle den Beitrittsprozess nicht in Frage stellen. "Es geht nicht um das ob, sondern nur um das wie der Fortführung". Die EU-Länder und die Türkei hätten sich auf die Einhaltung der gleichen Werte verpflichtet. Hierzu gehöre auch das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Unionsfraktionschef Volker Kauder warnte, die EU könnte die Beitrittsverhandlungen bei einem Einsatz des Militärs aussetzen. "Das würde die Türkei um Lichtjahre von Europa entfernen", sagte er der Zeitung "Die Welt". Die türkische Regierung hatte mit einem Einsatz der Streitkräfte gedroht, sollten die Proteste andauern.

Die Online-Ausgabe der Zeitung "Hürriyet" berichtete am Freitag, in der Hafenstadt Mersin habe die Polizei erneut Wasserwerfer gegen Demonstranten eingesetzt. Auf dem Istanbuler Taksim-Platz, in der Hauptstadt Ankara und in der Stadt Yalova sei es zu stillen Protesten gekommen.

Bei den landesweiten Protesten, die vor drei Wochen begannen, wurden vier Demonstranten und ein Polizist getötet. Tausende Menschen wurden verletzt. Die Protestwelle hatte sich an der brutalen Räumung eines Camps von Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park entzündet.

Die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International (ai) kritisierte das Verhalten der Regierung und die Polizeigewalt als "Schande für die Türkei". "Zur Zeit herrscht hier eine Menschenrechtskrise", sagte Selmin Caliskan. Sie appellierte an ausländische Staaten, der Türkei kein weiteres Tränengas und keine neuen Wasserwerfer zu verkaufen.

(dpa/csr/das/csi/felt)
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