Bündnis hat Nachholbedarf Wer neuer Nato-Generalsekretär werden könnte

Brüssel · Obwohl es in der Nato Rufe nach einer nochmaligen Verlängerung gibt, hat Jens Stoltenberg klar gemacht, für eine weitere Amtszeit nicht mehr bereitzustehen. Nun laufen die vertraulichen Konsultationen.

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Wer wird neuer Nato-Generalsekretär?

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Foto: dpa/Kay Nietfeld

Es wird der 14. Generalsekretär des Bündnisses sein und derjenige, der die Nato in ihr 75. Jahr führt. Aber schon mit der Führung ist das so eine Sache. Denn für die Spitze der Nato gilt, dass deren Chefrepräsentant „mehr Sekretär als General“ ist. Die militärische Führung liegt traditionell beim mit Abstand wichtigsten Mitglied, den USA. Und die politischen Entscheidungen kommen ohne die Mitgliedstaaten bei Gipfel- oder Botschaftertreffen nicht zustande. Allerdings hat Jens Stoltenberg in den letzten neun Jahren gezeigt, wie wichtig sein Job und sein Talent zum Ausgleich sein kann, wenn die USA unter Donald Trump mit Austritt drohen, die Konflikte in einem auf 30 Mitglieder gewachsenen Bündnis größer werden und der erste Offensivkrieg Russlands mitten in Europa auch die Nato fordert, die genau zu einer solchen Abwehr gegründet worden war.

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Um das alles moderieren, repräsentieren und lösen zu können, gehört zur Stellenbeschreibung sowohl persönliches Gewicht und administrative Erfahrung als auch Akzeptanz unter den Nato-Mitgliedern. Schon die Ernennung des Generalsekretärs muss einstimmig erfolgen. Bislang hat sich das Bündnis 13 Mal für Männer entschieden, die zuvor mindestens Minister, wenn nicht sogar Regierungschefs waren. Damit liegt ein Manko auf der Hand: Nach 74 Jahren wäre es wirklich Zeit für die erste Generalsekretärin. Und: Noch nie hat eine Person aus Osteuropa das Rennen gemacht. Deshalb fällt der Blick derzeit vor allem auf zwei Persönlichkeiten:

Zuzana Caputova (49) ist seit 2019 Präsidentin der Slowakei. Die sozialliberale Politikerin ist unerschütterliche Pro-Europäerin, hat sich bei der Bekämpfung von Korruption einen Namen gemacht und bei aller Beschränkung auf vor allem repräsentative Aufgaben setzte sie ein Abkommen durch, damit die USA zwei slowakische Flughäfen nutzen können. Dabei pries sie die Nato als Garanten für die Freiheit in der Slowakei. Die besondere Herausforderung liegt im Zusammenhalt ihres Landes, in dem ein Drittel mit Russland sympathisiert.

Kaja Kallas (45) ist seit 2021 Ministerpräsidentin Estlands und hat gerade einen Wahlsieg errungen. Sie gehört zu den unermüdlichen Mahnern für mehr Unterstützung der Ukraine durch die Mitglieder der EU und der Nato und gilt als „Eiserne Lady des Baltikums“. Ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes steckt sie in Waffenhilfe für die Ukraine. Als vormalige liberale Europa-Abgeordnete ist ihr Brüssel seit langem vertraut. Es wäre ein doppeltes Zeichen der Allianz, im Juli nicht nur zum Nato-Gipfel ins Baltikum (Litauen) zu gehen, sondern sich dort auch für eine Baltin zu entscheiden.

Nun ein Blick auf eine Reihe weiterer (theoretisch) möglicher Kandidatinnen:

Ursula von der Leyen (64) wurde schon genannt, als sie (bis 2019) noch deutsche Verteidigungsministerin war. Eigentlich spricht gegen ihre Ambitionen für den Herbst 2023, dass sie bis Mitte 2024 EU-Kommissionspräsidentin ist. Allerdings hat die CDU-Politikerin das Ziel, bis zum Herbst alle noch ausstehenden wichtigen Initiativen der Kommission auf den Weg gebracht zu haben. Ob sie sich den aufreibenden Job an der Spitze der EU noch einmal antun möchte, hat sie angeblich noch nicht entschieden. Die Spitzenkandidatur steht erst nach der Neubesetzung des Nato-Chefpostens an. Jedenfalls ist der Einfluss einer Kommissionspräsidentin deutlich größer als der einer Nato-Generalsekretärin. Auf der anderen Seite hat von der Leyen einen Gefallen daran gefunden, weltweit beachtete Top-Jobs als erste Frau zu übernehmen. Und: Deutschland wäre nach dem bisherigen einzigen Amtsinhaber Manfred Wörner (bis 1994) auch mal wieder dran.

Chrystia Freeland (54) ist seit 2015 Ministerin in verschiedenen Ressorts und seit 2019 Vizeregierungschefin von Kanada. Sie verbindet in ihrer Person zwei interessante Aspekte: Kanada besetzte ebenfalls noch nie den Nato-Spitzenposten, und Freelands Familie stammt aus der Ukraine. Ihre Vita würde also indirekt ein weiteres Signal ermöglichen. Sie selbst startete ihre journalistische Karriere als Korrespondentin für verschiedene amerikanische Zeitungen in der Ukraine. Sie gehörte zu den ersten westlichen Politikern, gegen die Russland im Zusammenhang mit der Besetzung der Krim eine Einreisesperre verhängte. Bei internationalen Sicherheitskonferenzen gehört sie zu den ständigen Gästen.

Liz Truss (47) konservative Kurzzeit-Premierminister werden Ambitionen für den Generalsekretärsposten nachgesagt. Gegen sie spricht die Glücklosigkeit im höchsten Regierungsamt in nur anderthalb Monaten, für sie spricht ihre Regierungserfahrung in verschiedenen Ressorts, unter anderem die klare Positionierung als Außenministerin angesichts wachsender Drohungen Russlands gegen die Ukraine. Allerdings stellten die Briten schon drei Mal den Nato-Generalsekretär. Und: Es gibt auch weitere potenzielle Anwärter aus ihrem Land. So etwa die frühere Premierministerin Theresa May (66), vor allem aber der aktuelle Verteidigungsminister Ben Wallace (52).

Schauen wir damit auf zwei weitere Männer, die bei der Nato auf die Shortlist gelangen könnten:

Klaus Johannis (63) ist seit 2014 Präsident Rumäniens und schaffte 2019 die Wiederwahl. Er gehört der deutschen Minderheit des Landes an. Auch mit ihm käme der erste Osteuropäer an die Spitze des Bündnisses. Seit Jahren zeigt sich sein Land daran interessiert, in Nato und EU mehr Verantwortung zu übernehmen.

Mark Rutte (56) ist seit 2010 Regierungschef der Niederlande und steht inzwischen bereits seinem vierten Kabinett vor. Er startete als einer der ersten Regierungschef eine deutliche militärische Unterstützung der Ukraine bereits kurz nach dem Beginn des russischen Angriffs. Allerdings stellten auch die Niederlande bereits drei Mal den Nato-Generalsekretär.

Ihnen allen ist eines gemeinsam: Einen klaren Favoriten scheint es derzeit nicht zu geben.

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