Weltraumbahnhof eröffnet Europas neue Brücke in den Orbit
Brüssel/Kiruna · Schweden lässt seine EU-Ratspräsidentschaft mit einem extremen Kopfnicken beginnen. Am Donnerstag fiel der Blick tief in die Erde auf gigantische Mengen neu entdeckter Seltener Erden, am Freitag richtete sich der Blick hoch in den Himmel bei der Eröffnung des ersten Weltraumbahnhofs auf europäischem Boden.
Krister Fuglesang startet am Freitagmittag im nordschwedischen Jukkasjaervi nahe Kiruna den Countdown. „Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf“, ruft der erste schwedische Astronaut, während die Triebwerke starten. „Vier, drei, zwei, eins“ – und schon hebt die europäische Rakete ab. Schon nach sechs Sekunden ist sie im Weltraum, nach weiteren vier öffnet sich die letzte Stufe, um einen Satelliten auf die Umlaufbahn zu setzen. Das geht so schnell, weil es nur virtuell ist. Aber Ende des Jahres oder spätestens Anfang 2024 soll der Weltraumbahnhof in Europas Norden tatsächlich seinen Betrieb aufnehmen.
Diese zeremonielle Einweihung ist der geplante Termin, den Schweden zu Beginn seiner sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft inszeniert, um Skeptikern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen. Weil die neue Koalition von den rechtspopulistischen Schweden-Demokraten abhängt, waren die Befürchtungen groß, dass sechs schwierige Monate für die EU beginnen, weil es die Phase ist, in der die schwedische Regierung Europas Probleme federführend lösen soll.
Dass nun Schweden dem erst im November beschlossenen Milliarden-Satelliten-Programm der EU einen derartigen Schub gibt, lässt die Sorgen erst einmal in den Hintergrund treten. Der gastgebende Ministerpräsident Ulf Kristersson kann das seit Jahren geplante Projekt mit aktueller Notwendigkeit verbinden. Nicht zuletzt der russische Einmarsch in die Ukraine habe gezeigt, wie wichtig es sei, dass die EU Zugang zum Weltraum habe, sagt der Regierungschef der moderaten Sammlungspartei, deren Abgeordnete in Brüssel in der christlich-konservativen Fraktion mitwirken.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen spricht von einem „großen Moment für Europa“, bevor sie mit Kristersson und König Carl Gustaf symbolisch ein blau-gelbes Band durchschneidet. Die schwedischen Nationalfarben bringen sie zu den gleichen ukrainischen und den Hinweis, dass die ukrainischen Streitkräfte effektiv Kleinsatelliten nutzen, um die Bewegungen der russischen Truppen aufzuklären. Die Mehrzahl der Informationen, die für den erfolgreichen Kampf gegen den Klimawandel nötig seien, bekomme die EU künftig aus eigenen Quellen aus dem Weltraum. Und auch bei nationalen Katastrophen wie verheerenden Überschwemmungen werde die EU bald über eigene Echtzeit-Lagebilder verfügen. „Europa fasst Fuß im All und wird dort bleiben“, sagt die Kommissionschefin voraus.
Am Vortag hat Schweden bereits mit einem zunächst nicht geplanten weiteren Termin für eine Überraschung gesorgt, die nicht minder wichtig für die Zukunft der EU ist. Erst im März will die Kommission Details ihrer Strategie vorstellen, bei den Seltenen Erden die Abhängigkeit von China zu vermindern. Doch schon zwei Monate zuvor kann Schweden verkünden, dass tief unter der Nordregion der Umfang der vor Jahren entdeckten Seltenen Erden viel größer ist als erwartet: Mindestens eine Million Tonnen sollen sich 700 Meter unter der Region bei Kiruna befinden. Die genaue Zusammensetzung und die Mengenverhältnisse werden sich erst in Jahren ergeben, wenn Erschließung und Abbau beginnen. Doch für die Umstellung auf Elektromobilität in der EU sind die schon vorliegenden Befunde eine ausgesprochen gute Botschaft.
In den kommenden Jahren rechnet die Kommission mit einer Verfünffachung des Bedarfs allein in Europa, um den Umbau zum klimaschonenden Kontinent zu schaffen. Denn die Rohstoffe werden sowohl in der Computerbranche als auch für Solar- und Windenergieanlagen oder Batterien in E-Autos dringend benötigt. Entsprechend deutlich dürften die Preise steigen – und umso lukrativer wird es für den Bergbau in Kiruna werden, sich außer dem Eisenerz für den bekannten Schwedenstahl auch der Förderung der Seltenen Erden zu widmen.
Von der Leyen ist mit der halben Kommission in die frostige Zone Schwedens gereist, um die wichtigsten Themen für die Zeit bis Juni abzustimmen. Bevor die Gesetzgebung in einem Jahr angesichts der EU-Wahlen zum Stillstand kommt, werden noch einmal viele Reglementierungen auf den Weg kommen. Zudem gilt es, die EU angesichts der Herausforderungen des Krieges und der Krisen auf dem Balkan und im Nahen Osten beisammen zu halten. Große Erwartungen richten sich auf den Sondergipfel Anfang Februar, der eine schnellere Verständigung bei der Migration austesten will. Noch nie zuvor sei die Bereitschaft zu gemeinsamem Handeln so groß gewesen, meint Stockholms EU-Botschafter Lars Danielsson. Doch vorsichtshalber geht auch er zunächst davon aus, den Zeitplan einzuhalten, demzufolge Anfang 2024 der Durchbruch bei der gemeinsamen Migrationspolitik geschafft sein soll.
Aber auch jenseits dieses Megaprojektes haben Kommission und Schweden in den nächsten Wochen viel zu tun. Der Energiemarkt ist neu zu gestalten, der Druck auf Rechtsstaatlichkeit soll in Polen und Ungarn nachhaltig wirken, der Konflikt mit den USA um Subventionen könnte aufgelöst und der Ausbau der regenerativen Energie beschleunigt werden. „Sicherer, grüner, freier“ will Schweden die EU machen. Dafür bleiben nun schon nur noch fünfeinhalb Monate, bis die Regie an Spanien weitergereicht wird.