Arbeiten Weber und Meloni an Allianz? Europas Christdemokraten blinken rechts
Brüssel/Rom · Im italienischen Wahlkampf unterstützte er noch die eigenen Leute, die schon entschlossen waren, mit den Rechtspopulisten eine Regierung zu bilden. Nun spricht EVP-Chef Manfred Weber direkt mit Italiens neuer Rechts-Regierungschefin Meloni über Zusammenarbeit.
Zwischen Erschütterung und Empörung lagen die Reaktionen der Abgeordneten aus den Fraktionen der Mitte, als bei einer Zeremonie zum 70-jährigen Bestehen des Europa-Parlamentes der Fraktionschef der Konservativen und Reformer (EKR) verbal mit Gift spritzte. Ryszard Legutko sprach dem Parlament die Vielfalt ab, nannte es ein Unterdrückungsinstrument der Linken und stellte unter lauten Buhrufen fest: „Nennen Sie es, wie Sie wollen, aber eine Demokratie ist das nicht.“ So spricht der Chef jener Fraktion, mit der der Chef der europäischen Christdemokraten, CSU-Vize Manfred Weber, nun offensichtlich eine Allianz zu bilden versucht.
Dass der Vorsitzende der größten Fraktion im Europa-Parlament, die sowohl die Kommissions- als auch die Parlamentspräsidentin stellt, nach dem Amtsantritt einer neuen Regierung in Italien das Gespräch mit der neuen Ministerpräsidentin sucht, ist für sich genommen nichts Besonderes. Dass derselbe Politiker aus Bayern zur Beerdigung des früheren Papstes aus Bayern nach Rom fliegt, gehört ebenfalls zu den Selbstverständlichkeiten. Am Rande ein weiteres Gespräch mit Giorgia Meloni zu führen, lässt eigentlich nicht weiter aufhorchen. Anders wird das jedoch, wenn Teilnehmer anschließend über brisante Inhalte berichten.
Denn offenkundig ging es nicht nur darum, den EU-Sondergipfel zur Migration im Februar vorzubereiten, bei dem Deutschland und Italien eine Schlüsselrolle spielen werden. Daneben sei es, so Melonis Parteifreund und Europa-Abgeordnete Nicola Procaccini, auch darum gegangen, eine mögliche Allianz zwischen EVP und EKR im Vorfeld der nächsten Europawahlen zu erkunden, wenn Macht und Einfluss in Europa neu verteilt werden. Andere wiesen darauf hin, dass es Melonis Ziel sei, die bisherigen Absprachen zwischen Christ- und Sozialdemokraten im Europa-Parlament angesichts des Bestechungsskandals bei den Sozialisten durch ein Bündnis aus Mitte und Rechts zu ersetzen.
Damit folge die EKR einer bereits vor Monaten eingeschlagenen Strategie, hieß es weiter aus Rom. Schon bei der Wahl der EVP-Politikerin Roberta Metsola war die EKR mit an Bord. Wiederholt verhalfen ihre Abgeordneten EVP-Anträgen zur Mehrheit, wie etwa bei abgeschwächten Klimaschutzregelungen oder verschärften Abschussinitiativen für Europas Wölfe. Die Meinung in der EVP ist höchst gespalten. Metsola selbst warnte, pro-europäische Kräfte dürften nicht mit extremistischen Europa-Gegnern zusammenarbeiten. Da machte Weber schon Wahlkampf für Berlusconis Forza Italia, die entschlossen war, mit Melonis Neofaschisten zusammen die neue Regierung zu bilden. Befürworter von Webers Kurs sehen sich nun bestätigt durch den Befund, wonach Meloni bislang überwiegend europafreundliche Positionen vertreten habe.
Allerdings stellen Melonis Brüder Italiens derzeit lediglich acht Abgeordnete der 63-köpfigen EKR-Fraktion im Europa-Parlament. Die mit Abstand meisten kommen mit 27 Politikern von der rechtspopulistischen polnischen PiS-Partei, darunter Fraktionschef Legutko. Die in Polen bei den Wahlen in diesem Frühherbst von der Macht zu vertreiben, ist kein geringerer als Donald Tusk angetreten. Für dieses Projekt hat er seine einflussreichen Posten in Brüssel geräumt: Er war Vorgänger Webers an der Spitze der EVP.
„Ist Weber bereit, für Spitzenposten über politische Grundwerte seiner Fraktion zu gehen?“, fragt sich die Vizevorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im Europa-Parlament, Gaby Bischoff. Einen Teil der Antwort gibt sie selbst: „Die Annäherung zwischen Weber und Meloni ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die EVP-Fraktion bereit ist, die politische Mitte zu verlassen und sich populistischen Bewegungen zu öffnen.“ Aus Bischoffs Sicht scheint diese Strategie „weniger geleitet von übereinstimmenden politischen Überzeugungen, sondern einzig und allein von politischem Kalkül geleitet, in Vorbereitung eines konservativ-rechtspopulistischen Bündnisses“. Der Befund der Berliner SPD-Politikerin: „Die Konservativen scheinen nichts aus ihren Erfahrungen mit der Fidesz-Partei aus Ungarn gelernt zu haben.“
Der FDP-Europa-Abgeordnete Moritz Körner findet ein anderes Bild für die Entwicklung: „Webers Kuschelkurs gegenüber Meloni mutiert mittlerweile zum dreisten Anmachversuch.“ Körner verweist darauf, dass eine Allianz mit der EKR auch eine Zusammenarbeit mit der polnischen PiS bedeute. „Wenn das Webers Zukunftsplan für Europa ist, muss einem um Rechtsstaatlichkeit und europäische Werte Angst und Bange werden“, stellt Körner fest.