Fragen und Antworten Was passiert, wenn von der Leyen im EU-Parlament durchfällt?

Brüssel · Das Ergebnis ist komplett offen - aber was passiert, wenn Ursula von der Leyen am Dienstag im Europaparlament bei der Wahl zur Kommissionspräsidentin durchfällt? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

EU-Vertreter befürchten im Falle einer Ablehnung von der Leyens eine "institutionelle Krise" zwischen dem Parlament und den EU-Mitgliedstaaten, weil sie sich womöglich über Wochen und Monate nicht auf einen neuen Kandidaten einigen können. Die Schockwellen könnten bis nach Berlin reichen und die dortige Regierungskoalition erschüttern.

Was sehen die EU-Verträge vor?

Bei einer Ablehnung von der Leyens wäre ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs nötig. Nach müssen sie "innerhalb eines Monats (...) einen neuen Kandidaten" vorschlagen. Dazu ist eine "verstärkte qualifizierte Mehrheit" notwendig. Dies sind mindestens 72 Prozent der 28 Mitgliedstaaten, die gleichzeitig für wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Damit müssten sich mindestens 21 Regierungen mit entsprechender Bevölkerung hinter einen Kandidaten stellen.

Gibt es einen fertigen Plan B?

Bei den Mitgliedstaaten laut Diplomaten nicht. Im Europaparlament forderte der Grüne Sven Giegold, die Fraktionen sollten bei einem Scheitern von der Leyens versuchen, "eine Mehrheit für eine andere Person auf einer inhaltlichen Basis zu bilden". Dies ist den Parteien aber bisher schon nicht gelungen. Und das Vorschlagsrecht liegt bei den Staats- und Regierungschefs.

Könnten Weber und Timmermans wieder in Frage kommen?

Wohl kaum. Das EU-Parlament hatte ursprünglich gefordert, dass nur ein Spitzenkandidat der Parteien bei der Europawahl Kommissionspräsident werden kann. Doch sowohl der konservative Kandidat Manfred Weber (CSU) als auch der Sozialdemokrat Frans Timmermans fanden bei den Staats- und Regierungschefs schon bisher keine Mehrheit.

Hätte die Liberale Margrethe Vestager eine Chance?

Vestager war zwar keine Spitzenkandidatin, aber Teil eines liberalen "Spitzenteams". Ihr Problem ist, dass die Liberalen im EU-Personalpaket schon einen Posten haben: Denn Anfang Juli ernannten die Staats- und Regierungschefs Belgiens Ministerpräsidenten Charles Michel zum künftigen EU-Ratspräsidenten. Zwei Posten für die Liberalen, die im EU-Parlament nur drittstärkste Fraktion sind, würden die anderen Parteien kaum zulassen.

Muss der Kommissionschef zwangsläufig von den Konservativen kommen?

Die Europäische Volkspartei (EVP) als stärkste Kraft im EU-Parlament wird darauf bestehen. Denn die an zweiter Stelle stehenden Sozialdemokraten haben bereits zwei der fünf EU-Spitzenämter: mit dem Italiener David Sassoli den Parlamentspräsidenten und mit dem Spanier Josep Borrell den EU-Außenbeauftragten.

Ließe sich das EU-Personalpaket wieder aufschnüren?

Praktisch ist das schwierig. Parlamentschef Sassoli ist bereits im Amt. Und bei Michel ist der Ernennungsprozess abgeschlossen. Ihm könne nicht einfach gesagt werden, "Pech gehabt, Du musst zurücktreten", sagt ein EU-Diplomat. Und wenn alle Personalentscheidungen neu getroffen würden, müsste eigentlich auch die Nominierung der Französin Christine Lagarde zur Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) wieder auf den Verhandlungstisch.

Könnte die bisherige EU-Kommission länger im Amt bleiben?

Die neue Kommission soll zum 1. November ihre Arbeit aufnehmen. Dauert die Personalsuche länger, könnte aber auch Juncker mit seinen Leuten länger die Geschäfte führen. Eine Premiere wäre das nicht. Nach der Europawahl 2009 gab es Verzögerungen bei der zweiten Kommission des Portugiesen José Manuel Barroso, die erst am 10. Februar 2010 starten konnte.

Was würde ein Scheitern von der Leyens für die Berliner Koalition bedeuten?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat wegen des Widerstands der SPD gegen von der Leyen bereits Spannungen eingeräumt. "Dass wir diese Situation in der Koalition haben, ist natürlich nicht einfach", sagte sie vergangene Woche. Auf Unverständnis in der Union stieß, dass die Europa-SPD in Brüssel ein Papier mit Vorwürfen gegen die bisherige Bundesverteidigungsministerin verbreitete. Scheitert von der Leyen, könnte das die Berliner Koalition vor eine Zerreißprobe stellen.

(felt/AFP)
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