Bilanz Was Deutschland als EU-Vorsitz und im UN-Sicherheitsrat erreicht hat

Brüssel/New York/Berlin · Deutschland stand zuletzt monatelang im globalen Rampenlicht. Die Erwartungen waren hoch, als das wirtschaftsstärkste EU-Land im Juli den Vorsitz der 27 Staaten der EU für ein halbes Jahr übernahm. Gleichzeitig hatte Deutschland einen der 15 Sitze im UN-Sicherheitsrat inne.

 Der UN-Sicherheitsrat (Archivbild).

Der UN-Sicherheitsrat (Archivbild).

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Die Mitgliedschaft im wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen dauerte insgesamt zwei Jahre. Mit dem Jahreswechsel geht beides zu Ende, und längst nicht alle großen Pläne haben sich erfüllt. Einiges aber hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorzuweisen, auch wenn wegen der Pandemie alles anders war als erhofft.

DAS HAT DEUTSCHLAND GESCHAFFT:

Corona-Hilfen und EU-Haushaltspaket

Es war ein Drama in zwei Akten: Zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft brauchte ein EU-Gipfel im Juli vier Tage und vier Nächte, um ein 1,8 Billionen Euro schweres Haushaltspaket zu schnüren. Das Neue: Für 750 Milliarden Euro Corona-Hilfen sollen im großen Stil gemeinsam Schulden gemacht werden. Das schweißt die EU enger zusammen. Die Beteiligten schwärmten nach dem Kraftakt im Sommer siegestrunken, aber zu früh, wie sich herausstellte. Denn Ungarn und Polen stellten sich noch quer. Grund war eine neue Klausel, wonach bei bestimmten Rechtsstaatsverstößen EU-Gelder gekürzt werden können. Nach einer quälenden Hängepartie fand Merkel eine Lösung - eine Zusatzerklärung machte den Weg frei für Haushalt und Corona-Hilfen. Es ist die größte Errungenschaft dieser Ratspräsidentschaft.

Ein neues Klimaziel

Bis 2030 mindestens 55 Prozent weniger Treibhausgase als 1990: Merkel stellte sich schnell hinter diesen Vorschlag der EU-Kommission, sonst hätte Präsidentin Ursula von der Leyen das sofort vergessen können. Weniger leicht taten sich Länder wie Tschechien und Polen, die beim EU-Gipfel im Dezember eine ganze Nacht lang bekniet und mit finanziellen Zugeständnissen geködert werden mussten. Am Ende aber konnte Umweltministerin Svenja Schulze den Vereinten Nationen melden, dass die EU ihre internationalen Verpflichtungen offiziell erhöht: von minus 40 Prozent auf minus 55 Prozent. Kritikern ist das Ziel nicht ehrgeizig genug. Aber dass die EU-Staaten sich einig wurden, ist ein Erfolg. Merkel hat ihren Anteil daran.

Brexit mit glimpflichem Ende

Das gilt auch für den Abschluss von viereinhalb Jahren endloser Streitereien um den britischen EU-Austritt. Ganze sieben Tage vor dem Ausscheiden Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion gelang ein Anschlussabkommen - ein Fotofinish zu Weihnachten, das die schlimmsten Verwerfungen zu Neujahr abwendet. Die Verantwortung hatten von der Leyen und EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Merkel fiel jedoch die Rolle zu, regelmäßig daran zu erinnern, wie wichtig eine Einigung wäre - auch auf den letzten Metern, als einige schon die Reißleine ziehen wollten. Die deutsche Industrie hatte enorm viel zu verlieren, aber auch für alle anderen Beteiligten wäre ein No Deal wirtschaftlich und politisch ein Desaster geworden.

Klare Ansagen statt diplomatische Zurückhaltung im Sicherheitsrat

Der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen hatte sich vorgenommen, den verkrusteten UN-Sicherheitsrat mit viel Selbstbewusstsein wachzurütteln. Dazu gehörten relativ undiplomatische Angriffe auf seine Amtskollegen aus Russland und China, manchmal aber auch deutliche Worte an die US-Vertreter. Seine Redebeiträge hielt Heusgen - anders als üblich - frei. Er versuchte immer wieder, die Interaktion im Gremium zu verstärken. Deutschland trat mit dem Selbstverständnis einer Vetomacht auf, was vor allem Peking zunehmend nervte. Zum Abschied sagte der chinesische Diplomat Yao Shaojun an die Adresse Deutschlands: „Gut, dass wir Sie los sind!“

Impuls zur Lösung des Libyen-Konflikts

Klimaschutz, Abrüstung, Kampf gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten. Bei diesen Themen hat Deutschland im Sicherheitsrat versucht, Akzente zu setzen. Das Gremium ist aber vor allem zur Lösung der großen Konflikte dieser Welt gegründet worden, und da gibt es einen, bei dem Deutschland sich eine maßgebliche Rolle erarbeitet hat. Vor einem Jahr veranstaltete die Bundesregierung gemeinsam mit den UN einen Gipfel der in den Libyen-Krieg verwickelten Staaten, um die Einmischung von außen zu beenden. Das gelang zwar nicht auf Anhieb, die Waffenlieferungen nach Libyen hielten an. Trotzdem trug der damals angestoßene Prozess sicher dazu bei, dass es inzwischen deutliche Fortschritte in dem nordafrikanischen Land gibt. Eine Waffenruhe und Verhandlungen der Konfliktparteien machen Hoffnung auf Frieden nach einem Jahrzehnt Bürgerkrieg.

DAS LIEF NICHT SO GUT:

Wieder kein Durchbruch bei Migration

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wollte eine politische Einigung der EU-Staaten auf Eckpunkte einer Asylreform noch vor Jahresende. Nach jahrelangem Grundsatzstreit in der Migrationsfrage wäre das eine Sensation gewesen. Die EU-Kommission machte im September einen Reform-Vorschlag - wegen langer Vorgespräche mit den EU-Staaten und der Corona-Krise viel später als gedacht. Doch auf dieser Basis schaffte Seehofer keinen Durchbruch. An sich ist das keine Überraschung - hätte Seehofer die Erwartungen nicht so hoch gesteckt. Die strittige Frage der Verteilung schutzsuchender Migranten in Europa bleibt ungelöst. Einige EU-Staaten beharren darauf, andere wollen stattdessen einen „flexiblen Mechanismus“. An diesem Grundkonflikt hat sich nichts geändert. Die humanitäre Lage auf der griechischen Insel Lesbos und andernorts bleibe verheerend, kritisieren Hilfsorganisationen.

Wo bleibt Europa zwischen den USA und China?

Wie sich die EU zwischen den beiden Großmächten behaupten kann, ist während der deutschen Ratspräsidentschaft nicht viel klarer geworden. Einig ist man sich lediglich, dass man sich auf gemeinsame Stärken besinnen muss. Europäische Autonomie nennt das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Die Bundesregierung spricht etwas zurückhaltender von europäischer Souveränität. Die Bedingungen für eine Neubestimmung der Rolle Europas in der Welt waren in den letzten Monaten aber auch ungünstig. Ein EU-China-Gipfel in Leipzig, der Höhepunkt der deutschen Präsidentschaft werden sollte, wurde wegen Corona abgesagt. Um die transatlantischen Beziehungen wird man sich erst nach dem Machtwechsel im Weißen Haus von Donald Trump zu Joe Biden am 20. Januar wieder richtig kümmern können.

Blockade des Sicherheitsrats verschärft sich

Deutschland hätte vermutlich kaum eine schlechtere Zeit für seine Jahre im Sicherheitsrat erwischen können: Das mächtigste UN-Gremium ist in den Regierungsjahren von US-Präsident Donald Trump noch blockierter als eh schon, obwohl die Herausforderungen gerade durch Corona wuchsen. Wirklich handlungsfähig ist der Rat nur bei wenigen Konflikten, was den Befürwortern nationaler Alleingänge in die Hände spielt. Zwar könnte der Trend zum Nationalismus mit der Abwahl Trumps als US-Präsident vorerst gestoppt sein, die Konkurrenz zwischen Amerika und China aber dürfte auch bei den UN weitergehen - was die Lähmung noch verstärken könnte.

Eine UN-Reform ist nicht in Sicht

Angesichts der verfahrenen Lage scheint eine Reform des Sicherheitsrats, über die seit Jahrzehnten diskutiert wird, dringlicher denn je. Deutschland würde gerne zusammen mit anderen Ländern in den erlauchten Kreis der Vetomächte USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien aufgenommen werden. Da hat sich aber auch in den letzten zwei Jahren nichts getan. Berlin argumentiert, dass die Machtverteilung der Welt sich seit der Gründung der UN vor 75 Jahren verändert hat. Es spricht jedoch bisher nichts dafür, dass die bisherigen Vetomächte eigene Privilegien im globalen Wettstreit freiwillig einschränken könnten.

(felt/dpa)
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