EU-Finanzen Der Geldstrom für Osteuropa versiegt

Brüssel · Der neue EU-Finanzplan senkt die Mittel für Länder wie Polen und Ungarn um fast ein Viertel. Für die Aufnahme von Migranten soll es dagegen künftig Geld geben: Die EU-Kommission will Mitgliedsstaaten 400 Euro pro Jahr und Flüchtling als Strukturhilfe zahlen.

Das Berlaymont-Gebäude in Brüssel ist der Sitz der EU-Kommission (Archiv).

Das Berlaymont-Gebäude in Brüssel ist der Sitz der EU-Kommission (Archiv).

Foto: dpa/Roland Schlager

Politik wird in Europa vielfach über Geld gemacht. Insgesamt 1279 Milliarden Euro soll die Europäische Union (EU) nach dem Willen der Brüsseler Kommission in den sieben Jahren ab 2021 ausgeben. Das sieht ihr Haushaltsplan vor, den sie Anfang Mai vorgelegt hat.

Was im Gerangel um Agrarausgaben, Strukturmittel und Forschungsförderung unterging, ist die Tatsache, dass die Finanzhilfen für osteuropäische Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei drastisch gekürzt werden sollen. Diese Länder, die mit der Bürokratie und den Institutionen in Brüssel oft über Kreuz liegen, erhalten bis zu einem Viertel weniger Geld aus den Struktur- und Investitionsfonds, die das Kernstück der europäischen Förderung darstellen.

Polen etwa, das zuletzt mit seiner Justizreform den Ärger der Hüter des EU-Vertrags hervorrief, bekommt von 2021 bis 2027 nach den Plänen der Kommission nur noch 64,4 Milliarden Euro statt 83,9 Milliarden wie noch in der laufenden Periode von 2014 bis 2020. Das sind 23 Prozent weniger. Verhältnismäßig noch stärker fällt das Minus für Ungarn aus, das wiederholt mit Eingriffen in die Pressefreiheit und Benachteiligung von Nichtregierungsorganisationen sowie dem kategorischen Nein zu jeder Aufnahme von Flüchtlingen auffiel. Das Land erhält statt 23,6 Milliarden (2014 bis 2020) künftig nur noch 17,9 Milliarden Euro. Hier beläuft sich der Rückgang auf 24 Prozent. Um den gleichen Satz sinken auch die Mittel für Tschechien, während die Slowakei mit 22 Prozent weniger auskommen muss.

Keine größeren Proteste

Noch haben sich diese Zahlen in den betroffenen Ländern nicht richtig herumgesprochen. Denn außer allgemeinen Protesten gegen die generelle Kürzung der Mittel aus den Strukturfonds kam es bislang noch nicht zu größeren Protesten in den Hauptstädten Warschau, Prag, Budapest oder Bratislava.

 So viel Geld erhalten die Länder aus Brüssel.

So viel Geld erhalten die Länder aus Brüssel.

Foto: Ferl

Für die Kürzungen gibt es zunächst ganz andere Gründe als Regelverletzungen. „Die wirtschaftliche Entwicklung in Polen, Tschechien und Ungarn ist fantastisch gelaufen. Viele Regionen dort sind inzwischen aus der Höchstförderung herausgefallen“, beobachtet Markus Pieper (CDU), der sich als parlamentarischer Geschäftsführer in der konservativen EVP-Fraktion des EU-Parlaments intensiv mit europäischen Finanzen beschäftigt. Er vergleicht die Entwicklung mit anderen rückständigen Regionen: „Die Länder Osteuropas haben in der Vergangenheit wirtschaftlich besser abgeschnitten als die Südeuropas.“

Ähnlich sieht es auch der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, der Düsseldorfer Abgeordnete Sven Giegold: „Dass Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien relativ weniger bekommen, finde ich in Ordnung. Sie haben wirtschaftlich stark aufgeholt.“ Die Bonner Finanzexpertin und Wirtschaftsweise Isabel Schnabel weist allerdings daraufhin: „Der starke Rückgang liegt vor allem daran, dass die osteuropäischen Länder in der Vergangenheit außergewöhnlich hohe Mittel erhalten haben. Relativ zur Wirtschaftsleistung sind die vorgesehenen Zuweisungen noch immer viel höher als in den meisten anderen EU-Ländern.“

Prämie für Länder, die Flüchtlinge aufnehmen

Die Kürzungen kommen den Verantwortlichen in Kommission, Rat und den proeuropäischen Fraktionen im EU-Parlament trotzdem sehr zupass. Denn der von vielen Kritikern geforderte Geldentzug für Länder wie Polen oder Ungarn, die sich etwa im Flüchtlingsstreit an keinen Quoten oder anderen Solidaritätsaktionen für verfolgte Menschen beteiligen wollen, stellen sich damit automatisch ein.

Zudem gibt es im neuen Finanzplan erstmals eine Prämie für Länder, die Flüchtlinge aufnehmen. So erhalten nach der geplanten gemeinsamen Strukturfondsverordnung, die unserer Redaktion vorliegt, Länder pro Person und Jahr 400 Euro für den „Bevölkerungsteil an Nettozuwanderung von außerhalb der EU in den Mitgliedsstaat seit 1. Januar 2013“. Das ist praktisch eine Prämie für jeden aufgenommenen Flüchtling.

Die Zahlen, um die es hier geht, sind nicht unerheblich. Allein Deutschland hätte danach im Jahr 2016 rund 142 Millionen Euro an EU-Mitteln erhalten. „Die Aufnahme von Migranten und  die entsprechende Integrationsarbeit ist ein sehr wichtiges Kriterium in der Förderkulisse“, findet CDU-Politiker Pieper. „Das ist gewissermaßen ein goldener Zügel, um mehr Problembewusstsein zu schaffen.“ Ein Zwang zur Aufnahme von Flüchtlingen, so Pieper, lasse sich ohnehin nicht durchsetzen.

Unterstützung erhält er von seinem grünen Parlamentskollegen Giegold: „Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, sollen dafür einen finanziellen Vorteil bekommen. Das ist angebracht. 400 Euro jährlich pro Flüchtling sind dafür zu wenig“, sagt der Finanzexperte. Auch Pieper möchte die Summe verdoppeln und die „Zweckbindung der Sozialprogramme für Integrationsarbeit verbindlicher gestalten“. Giegold könnte sich vorstellen, dass die Mittel direkt an die Kommunen in den betroffenen Ländern fließen: „Dann kommt es auch zu einer kritischen Debatte in Ländern, die grundsätzlich keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.“

Über diese indirekte Bestrafung von Ländern, die keine Flüchtlinge aufnehmen, dürfte noch heftig debattiert werden – wie auch über die Kürzungen der Strukturfondsmittel für die einzelnen Länder. Deutschland jedenfalls, das bislang die größte Menge an Flüchtlingen aufgenommen hat, schneidet im künftigen Finanzrahmenplan auch nicht allzu gut ab. Das Land verliert 4,1 Milliarden Euro und damit gut ein Fünftel aller Mittel.

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