Türkei Visa-Frage gefährdet Flüchtlingsdeal

Berlin · Die Türkei will bis Juni die freie Einreise ihrer Bürger in die EU. Dieser Teil des Flüchtlingsabkommens stößt auf Widerstand.

 Angela Merkel mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Angela Merkel mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Foto: Guido Bergmann / BPA

Der Visa-Countdown tickt. Drei Tage bleiben der Türkei noch für den Nachweis, alle 72 EU-Bedingungen erfüllt zu haben, damit alle Türken ab Juni ohne Visum in alle Mitgliedsländer reisen können. Ankara ist sich offiziell sicher, alle Vorgaben zu erfüllen, die Kommission will nächsten Mittwoch verkünden, ob sie das auch so sieht.

Vorsorglich haben beide Seiten schon mit massiven gegenseitigen Drohungen begonnen, will die Türkei das Flüchtlingsabkommen mit der EU aufkündigen, wenn die versprochene Visa-Freiheit auf Eis gelegt wird. Genau dazu sind jedoch immer mehr europäische Akteure entschlossen.

Vorneweg die CSU. Parteichef Horst Seehofer sieht die Gefahr, dass ohne Visazwang innertürkische Konflikte nach Deutschland importiert werden. Auch der Unions-Innenexperte Stephan Mayer sieht eine Visaliberalisierung "zum jetzigen Zeitpunkt als falsches Signal" an. Die Türkei habe sich nicht weiter, sondern zurückentwickelt, insbesondere bei der Religions- und Meinungsfreiheit. Es dürfe keinen Rabatt für die Türkei wegen der Flüchtlingskrise geben. "Auch die Gefahren des islamistischen Terrorismus verbieten es, 78 Millionen Türken vom Visaerfordernis zu befreien".

Nach der Kommission müssen die Regierungschefs und das Europäische Parlament den Weg frei machen. Vizepräsident Alexander Graf Lambsdorff (FDP) zweifelt, ob dort dafür derzeit die Mehrheiten gegeben sind. "Ich sehe da ein dickes Fragezeichen, ob das gelingt", sagt Lambsdorff unserer Redaktion. Da räche sich nun, dass die Konservativen seit Jahren bei den Vorschlägen für eine vorsichtige und schrittweise Visa-Erleichterung auf der Bremse gestanden hätten. "Von Vollbremsung auf Vollgas, das funktioniert nicht", betont der Europapolitiker. Sein Kompromissvorschlag: Jetzt erst mal mit bestimmten Gruppen anfangen, etwa Geschäftsleuten.

Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer unterstützt die Visafreiheit als "sinnvollen Schritt" und besteht darauf, dass die EU im Umgang mit der Türkei nicht andere Maßstäbe anlegt als bei anderen Ländern. Die in Brüssel kolportierte Variante, die Visa-Freiheit unter Rückholvorbehalt zu stellen, sie also sofort wieder einzukassieren, wenn die Türkei auf anderen Feldern nicht liefert, ist für die Grünen zu sehr von Misstrauen geprägt. Jedoch plädiert Bütikofer dafür, die nationalen Parlamenten zu beteiligen: "Diese Diskussion muss im Licht der Öffentlichkeit geführt werden."

In der Regierungskoalition in Berlin herrscht inzwischen ebenfalls Skepsis vor. Zwar heißt es auf der einen Seite: Es kann nicht sein, dass Albaner ohne Visum einreisen können, während türkische Geschäftsleute und Privatleute, die zu Familienfeiern reisen wollen, ein Visum benötigen. Auf der anderen Seite gibt es die große Sorge, dass die Visafreiheit missbraucht wird, ähnlich wie Deutschland dies bei Migranten vom Balkan erlebt hat - die Menschen reisten ein und stellten dann Asylanträge.

Vor allem zahlreiche türkische Kurden könnten kommen. Sollte es einen erheblichen Zuzug von Kurden durch die Visafreiheit geben, drohen die innertürkischen Konflikte nach Deutschland exportiert zu werden. Zudem droht das ohnehin komplizierte deutsch-türkische Verhältnis noch schwieriger zu werden. Die Türkei wird sehr wachsam beobachten, wie die Deutschen mit den Türken umgehen, welche Möglichkeit zu politischen Demonstrationen sie erhalten und wie vielen Asylanträgen stattgegeben wird.

Aber auch durch eine generelle Visafreiheit könnten längst nicht alle Türken nach Deutschland einreisen. Zu den Bedingungen gehören nämlich nicht nur so schwierig zu beurteilende Punkte wie ein besseres Verhältnis zu Zypern oder eine erfolgreiche Korruptionsbekämpfung. Sondern schlicht ein biometrischer Pass. Die türkischen gelten mit ihren 180 Euro als die teuersten der Welt. Die meisten Türken haben deshalb bislang auf eine solche Investition verzichtet.

(may- / qua)
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