Neue Verpackungsvorgaben Warum deutsche Bierbrauer über die EU schäumen

Brüssel · Von zwei Seiten scheint eine geplante neue EU-Verordnung den eingespielten deutschen Getränkehandel auszuhebeln: Informationen nicht mehr auf dem ablösbaren Etikett, sondern ins Glas graviert, und zu viel Luft im Kasten. Die EU-Kommission versucht, die Alarmstimmung abzumildern. Die Hintergründe der großen Aufregung.

Die Befüllungsanlage einer Brauerei in Meschede-Grevenstein.

Die Befüllungsanlage einer Brauerei in Meschede-Grevenstein.

Foto: dpa/Rainer Jensen

Die Vorstellung hatte schon Absurdes: Milliarden von Bierflaschen in Deutschland aus dem funktionierenden Kreislauf der Wiederabfüllung und des Wiedergebrauchs herausnehmen, sie zerstören und einschmelzen – um damit anschließend ein Wiederverwendungssystem im Sinne der EU neu aufzubauen? Im Ernst? Doch genau das befürchteten die deutschen Brauer, Getränkegroßhändler und Mehrwegmanager, als sie den Vorschlag der EU-Kommission zur neuen Verpackungsverordnung genau studiert hatten. Kaum schlugen die massiven Warnungen aus dem Land des Reinheitsgebotes so hohe Wellen, dass auch die Kommission begann, nasse Füße zu spüren, rief sie eiligst Entwarnung. Doch Skepsis bleibt.

Vor allem Paragraf 11 der Verpackungsnovelle hatte bei den Brauern die Alarmglocken läuten lassen. Danach sollten alle Verbraucher künftig nicht nur auf jeder Verpackung per QR-Code jederzeit erfahren können, in welches Recyclingsystem das Produkt gehört, wenn es gebraucht worden ist. Die Informationen sollten auch ausdrücklich „gut sichtbar, deutlich lesbar und unauslöschlich“ angebracht sein, und zwar wahlweise aufgedruckt oder eingraviert. Eine EU-freundliche Interpretation hätte diesen Satz dahingehend gedeutet, dass ein Etikett durchaus als dauerhaft angesehen werden kann. Doch aus der Praxis wissen die Brauer, dass es bewusst abwaschbar konzipiert ist und damit schienen die geplanten Vorhaben dem bewährten deutschen Mehrwegsystem den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

„Allein die 1500 überwiegend handwerklichen und mittelständischen Brauereien in Deutschland haben aktuell etwa vier Milliarden Mehrwegflaschen im Umlauf und erreichen damit einen Mehrweganteil von etwa 80 Prozent“, unterstrichen die Verbände. Sie drückten ihre Verwunderung darüber aus, dass diese „bewährten umweltfreundlichen Verpackungssysteme im Bereich der mittelständisch geprägten Getränkewirtschaft“ durch die EU-Gesetzgebung nun nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten der EU gefährdet seien, obwohl das Ziel der Regulierung doch „eigentlich eine Stärkung von Mehrweg“ sei.

Markus Pieper, CDU-Europa-Abgeordneter und Mittelstandsexperte der EVP, unterstützt die Notwendigkeit einer modernisierten Reglementierung. Die geltende Richtlinie sei schon 30 Jahre alt und habe nicht verhindert, dass das Verpackungsvolumen immer weiter zunehme. „Da muss die EU eingreifen“, sagt Pieper. Doch was die Kommission mit dem Vorschlag auf den Tisch gelegt habe, sei „handwerklich schnell gemacht“ und führe so zu einem Gefühl der Unsicherheit in den betroffenen Branchen. Andererseits sollten die Kommissionsformulierungen auch nicht überinterpretiert werden, meinte Pieper in Richtung Empörungswelle. In Brüssel säßen keine „weltfremden Amateure“.

Die haben inzwischen klargestellt, dass unter „dauerhaft angebracht“ auch Papieretiketten verstanden werden können, wie sie im deutschen Pfandflaschensystem gebraucht werden – „wenn die Informationen verfügbar sind, so lange die Flasche im Umlauf ist“, erklärte ein Beamter aus der zuständigen Umweltgeneraldirektion der EU-Kommission. „Geht sie dann in die Rotation, wird also gewaschen, und das Etikett löst sich, muss anschließend einfach wieder ein neues aufgebracht werden.“ Zu dem „einfach“ hat der Brauerbund jedoch noch Fragen und die Kommission eingeladen, sich in Deutschland anzuschauen, wie das Mehrwegsystem funktioniert. Dann könne sie einschätzen, welche Präzisierungen in ihrem Entwurf noch nötig seien.

Einen hat die Kommission bereits erkannt: Sie will eine Ausnahmeregelung in ihre Verordnung einbauen. Ursprünglich stand im Gesetzestext nur die Vorgabe, dass künftig das „Leerraumverhältnis höchstens 40 Prozent“ betragen darf. Auch in einem Bierkasten sollte damit der Anteil an Luft nicht größer sein. Doch schon bei einem neuen Kasten mit vollen Flaschen ist das problematisch, erst Recht, wenn die leeren Flaschen mit viel Luft zurückgegeben werden.

Die 40-Prozent-Regel ziele vor allem auf Online-Verkaufsverpackungen ab und auf die Füllmaterialien, die da anfielen, stellte die Kommission klar. „Das haben wir alle schon mal erlebt, wie viel da hineingepackt wird: Papierschnipsel etwa, Luftkissen und Polystyrol. Das ist einfach nicht nachhaltig“, gibt Birgit Schmeitzner vom Berliner Büro der EU-Kommission zu bedenken. Und fügt hinzu: „Was wir aber natürlich nicht wollen: dass neue EU-Regeln eingespielte Pfandsysteme aushebeln.“

SPD-Umweltexpertin Delara Burkhardt will genau darauf achten, dass hier nichts schiefläuft: „In dem Gesetzgebungsprozess werde ich mich dafür einsetzen, dass Transportverpackungen, wie Getränkekästen, die ein gut funktionierendes Mehrwegsystem erst möglich machen, weiterhin genutzt werden können, auch wenn sie die Leerraumobergrenze, wie sie von der Kommission vorgeschlagen wurde, nicht einhalten“, sagt die SPD-Europa-Abgeordnete zu. Das deutsche Mehrwegsystem sei vorbildlich, da gebe es in anderen Teilen Europas noch großen Nachholbedarf. Sie könne „verstehen, dass die deutschen Bierbrauer da Befürchtungen haben“, erklärte Burckhardt.

Genereller geht der FDP-Umweltexperte Andreas Glück an die Problemlage heran. Mehrwegsysteme könnten ein guter Weg gegen Verpackungsmüll sein. Das sei aber nicht immer der Fall. „Deswegen spreche ich mich gegen strikte, ideologische Mehrwegquoten aus“, sagt der Europa-Abgeordnete. Die Frage nach Mehrweg oder Einweg müsse immer auf der Basis von Ökobilanzen entschieden werden. Unter keinen Umständen aber dürften europäische Harmoniebestrebungen funktionierende Pfandsysteme in Deutschland gefährden.

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