Verhandlungen mit Russland „Wichtig für die Sicherheit Europas“

Brüssel · Eine Abfolge von Drohungen, Warnungen und Beschwichtigungen begleitet die Serie von diplomatischen Bemühungen einen weiteren kriegerischen Konflikt in der Ukraine zu verhindern. In Genf, Brüssel und Wien wird verhandelt. Ausgang offen.

Abstand statt Handschlag: Die beiden Vizeaußenminister Wendy Sherman und Sergej Ryabkow bei ihrem Treffen in Genf.

Abstand statt Handschlag: Die beiden Vizeaußenminister Wendy Sherman und Sergej Ryabkow bei ihrem Treffen in Genf.

Foto: dpa/Denis Balibouse

Im Angesicht von 100.000 russischen Soldaten, die Präsident Wladimir Putin an die ukrainische Grenze geschickt hat, ziehen die Nationen nun die diplomatischen Register. Das versinnbildlichen die parallelen Treffen schon an diesem Montag: Während in Genf US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman mit Russlands-Vizeaußenminister Sergej Ryabkow zusammentrifft, treten in Brüssel die ukrainische Vizeaußenministerin Olga Stefanischina und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor die Presse. Ein Aggressor habe kein Recht, Forderungen zu stellen, meint die Ukrainin. Und die Ukraine habe jedes Recht zur Selbstverteidigung, unterstreicht Gastgeber Stoltenberg. Das Tauziehen in der „wichtigen Woche für die Sicherheit Europas“, so der Nato-Generalsekretär, hat begonnen.

Dazu haben zwei besonders Erfahrene in Ost-West-Konflikten wie Ost-West-Kooperationen bereits am Sonntag ein abendliches Arbeitsessen eingelegt: Die Spitzendiplomatin Sherman (72), erste Frau auf diesem Posten, hat schon Bill Clinton als Beraterin zur Seite gestanden. Und Ryabkow (61) vertrat schon damals russische Interessen in Washington. Sie wissen auf der Klaviatur der Diplomatie zu spielen. Und geben eine Melodie in Moll vor. Zwar komme er mit „einer ausgestreckten Hand“, sagte Ryabkow vor dem Treffen. Doch er habe die Aufgabe, die Probleme „nach den von uns formulierten Bedingungen“ zu lösen, sagte er im Vorfeld. Nun noch klarer: „keine Zugeständnisse“.

Ähnlich sagt es Sherman. Vor allem zum russischen Verlangen nach einer Garantie für eine Ende der Nato-Erweiterung. In Moskau hat Präsident Wladimir Putin sowohl eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine als auch eine Stationierung von Nato-Truppen im früheren Einflussbereich der Sowjetunion als „rote Linie“ markiert. Die wischt die US-Vizeaußenministerin erst einmal verbal beiseite. Es bleibe bei der „Freiheit souveräner Länder, ihre eigenen Bündnisse zu wählen“.

Zum Thema Sicherheitsgarantien hat die ukrainische Vizeaußenministerin in Brüssel auch einen Vorschlag: Die könnten doch beginnen „beim Abzug der Truppen von ukrainischem Staatsgebiet“. Seit 2014 hat Russland die Krim annektiert und unterstützt Separatisten in von ihnen besetzten Gebieten im Osten des Landes. Die Bedeutung der Treffen dieser Woche hat im Vorfeld auch Putin noch einmal verstärkt, indem er ankündigte, wenn die Verständigung mit dem Westen nicht gelinge, behalte er sich vor „militärisch-technische Maßnahmen“ zu ergreifen. Was immer es für die Ukraine bedeutet, nach Abzug klingt es nicht.

Doch Stoltenberg warnt vor zu hohen Erwartungen. Es sei unrealistisch zu glauben, bis Ende der Woche ließen sich alle Probleme lösen, sagt er als letzten Hinweis, bevor er mit Stefanischina in eine Sitzung der Nato-Ukraine-Kommission geht. Vertreter aller 30 Nato-Verbündeten beraten nun, wie die Ukraine für die wachsende Bedrohung gestärkt werden kann. Stoltenberg erinnert sich an einen Besuch in Odessa, wo er sich persönlich davon überzeugte, wie die Nato der Ukraine bei der Modernisierung und Ausbildung ihrer Streitkräfte hilft. Auf Nachfragen hat er zuvor bekräftigt, dass der Weg ins Bündnis für die Ukraine weiterhin offen bleibe und das Bündnis dem Land auch dabei helfe, die Voraussetzungen zu erfüllen. Einzig die anderen Mitglieder und die Ukraine selbst hätten darüber zu befinden, kein anderer.

Eine winzige Prise Zuversicht wird an diesem ersten Tag der Begegnungen auch verstreut. In Brüssel nennt es Stoltenberg ein „positives Signal“, dass Russland der Einladung in den Nato-Russland-Rat zugestimmt habe, der erstmals seit 2019 an diesem Mittwoch wieder auf Botschafterebene bei der Nato tagen wird.

Dann werden die „Vorschläge“ Russlands auf dem Tisch liegen: Außer der Garantie eines Erweiterungsstopps auch eine Nichtstationierung in Gebieten, die 1997 noch nicht zur Nato gehörten. Zudem stellt Moskau die Patrouillen von Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen in Grenznähe zur Disposition und will in der Ostsee und im Schwarzen Meer die Gefahren von Zwischenfällen zwischen russischen und Nato-Kriegsschiffen minimieren, außerdem weniger Manöver und mehr Transparenz mit vertrauensbildenden Maßnahmen. Zumindest die letzten Punkte gelten als Verständigungsmöglichkeiten für weitere Verhandlungsrunden. Vor allem stellen sie genau das dar, wofür der Nato-Russland-Rat gegründet worden war: Durch Kommunikation Vertrauen schaffen, Eskalation auf der Grundlage von Missverständnissen frühzeitig den Boden entziehen.

Das Treffen in Genf war nicht in erster Linie wegen des Truppenaufmarsches vorgesehen, sondern die dritte Begegnung im Rahmen des strategischen Sicherheitsdialoges auf den sich US-Präsident Joe Biden und Putin verständigt hatten. Sherman versicherte, es werde keine Vereinbarung zur Ukraine ohne die Ukraine geben, keine Verständigung zu Europa ohne Europa. Das mit den Beteiligten zu erörtern, ist dann am Donnerstag Gelegenheit, wenn es mit Russland zu einem Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Wien kommt.

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