Auftakt des Brüsseler Gipfeltreffens EU-Partner erneut sauer auf Deutschland
Brüssel · Auf der Tagesordnung des zweitägigen EU-Gipfels in Brüssel stand der Streit um das Verbrenner-Aus nicht. Doch schon bei ihrer Ankunft reagierten Staats- und Regierungschefs darauf.
Die Ukraine braucht jetzt sofort mehr Munition, die EU muss sich jetzt sofort um die weltweiten Folgen des russischen Angriffskrieges kümmern. Die Entwicklung der Weltwirtschaft erfordert jetzt sofort Korrekturen für die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb stehen alle diese drängenden Probleme auch auf der Tagesordnung des zweitägigen Treffens der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Doch die Wahrnehmung des Gipfels wird kurz vor Beginn an diesem Donnerstag zunächst einmal geprägt vom leidigen Streit um das Verbrenner-Aus. Das steht nicht jetzt an, nicht morgen, sondern in zwölf Jahren.
Die zur Konferenz eintreffenden Gipfelteilnehmer sprechen das Thema alle selbst nicht an. Aber es brodelt erkennbar unter der Oberfläche, sonst würden sie auf Journalistenfragen nicht sofort mit geharnischter Kritik, sondern mit dem Hinweis auf „heute kein Thema“ reagieren. Vermutlich fiele das Urteil über das deutsche Vorgehen weniger hart aus, wenn nicht Deutschland seit dem Amtsantritt von Olaf Scholz schon mehrfach auf der Bremse gestanden hätte, wenn nicht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuletzt bei der Gaspreisbremse vor einer Selbstisolierung Deutschlands gewarnt hätte.
Nun also der Verbrenner als neue Variante eines Germany-Bashings, für Prügel gegen Deutschland. „Verwirrend“ sei das Vorgehen, meint etwa Lettlands Regierungschef Krisjanis Karins. Es sei „ein sehr schwieriges Zeichen für die Zukunft“. Wenn eine Regierung das wieder stoppe, was zwischen allen längst vereinbart sei, was sei dann das nächste? Auch in Brüssel sorgen sich Diplomaten weniger um den konkreten Vorgang; der werde sicher bald geklärt sein. Ihnen machen vielmehr die Folgen zu schaffen. Werden also künftig mühsam errungene Kompromisse häufiger wieder aufgeschnürt?
Der Vorgang aus EU-Sicht: Das Aus für alle Verbrenner-Motoren ab 2035 war sowohl zwischen den Ministern unter Einschluss Deutschlands verabschiedet, dann noch einmal in den Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission. Diesem Ergebnis hat das Parlament zugestimmt, auch für den Rat sollte es nur noch eine Formsache sein. Doch Deutschland und weitere drei Länder blockierten die letzte formale Zustimmung, weil der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing, mutmaßlich zur Profilierung der von Wahlniederlagen gebeutelten FDP nun auch nach 2035 Verbrenner zulassen will, die ausschließlich mit E-Fuels fahren und damit unterm Strich klimaneutral sind.
Der Vorgang aus deutscher Regierungssicht sah am Donnerstag beim Gipfel auch aus der Schilderung durch Kanzler Olaf Scholz anders aus. „Von allen unterschrieben“ sei die „Vorstellung“, dass die Kommission eine Regelung vorschlage, wodurch sichergestellt werde, dass nach 2035 ausschließlich mit E-Fuels betriebene Fahrzeuge „weiter zugelassen werden können“. Das sei ja „Konsens“, unterstreicht Scholz, und es gehe nun nur darum, dass die Kommission die „längst gegebene Zusage auch umsetzt. Selbst auf die Nachfrage, ob durch dieses Vorgehen in der EU nicht viel Geschirr zerschlagen worden sei, bekräftigt Scholz, Es sei „immer richtig, sich an die eigenen Zusagen zu halten“.
Damit hat Scholz den Ball in die Reihen der Kommission gespielt. Lange hatten alle Beteiligten rund um Wissing und den zuständigen Kommissar Frans Timmermans die Erwartung genährt, den Verbrenner-Streit vor dem Gipfel beilegen zu können. Nun sagt jedoch auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, das Problem sei „nicht heute und nicht morgen“ zu klären, „aber in den nächsten Tagen“. Tatsächlich steht für Dienstag ein Treffen der Verkehrsminister an. Hatte die Verständigung zunächst nur gelautet, E-Fuels „außerhalb“ der Fahrzeugflotten für Sonderfahrzeuge wie Feuerwehrautos oder Traktoren zuzulassen, haben sich inzwischen weitere Staaten, wie etwa Österreich, der Lesart von Wissing und nun auch Scholz angeschlossen, synthetische Kraftstoffe generell in neuen Autos auch nach 2035 zu akzeptieren.
Deutliche Meinungsverschiedenheiten zeichneten sich auch zu Beginn des eigentlichen Gipfels ab. Dabei geht es um die zukünftige Ausrichtung der EU gegenüber China. Bislang gab es die Bestrebungen, nach den Erfahrungen mit der Abhängigkeit von Russland stärker andere Handelspartner zu suchen. Scholz sprach vor allem die Beziehungen zu Chile als „vorbildlich“ an. UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte als Gast des Gipfels davor, China zu isolieren. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell unterstrich, „derzeit“ gebe es keine Anzeichen für eine chinesische Unterstützung Russlands. Karins wies auf die „immer engeren Beziehungen“ Chinas zu Russland hin, bei denen China das Steuer in der Hand halte. Er sprach sich angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA für einen eigenen europäischen Weg aus.
Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel regte einen gemeinsamen Friedensplan der USA und Chinas für die Ukraine an. Dieser würde von allen anderen, auch von Russland, sicherlich akzeptiert werden. Zunächst jedoch begrüßte der Gipfel die Bemühungen, der Ukraine binnen zwölf Monaten eine Million Stück Artillerie-Munition im Wert von zwei Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Scholz sprach von einer vertieften Erörterung der Kriegssituation mit dem zugeschalteten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Diese Unterstützung durch Europa habe Putin „niemals im Blick“ gehabt. Die EU sei darauf vorbereitet, die Ukraine so lange zu unterstützen, „wie das tatsächlich notwendig sein wird“.