Gastbeitrag zur EU-Serie „Unser Europa“ Polen ist für uns so wichtig wie Frankreich

Düsseldorf · Polen hat eine schmerzhafte Historie als staatliches Gebilde hinter sich. Vor 100 Jahren begründeten die Polen ihre staatliche Unabhängigkeit wieder. Zeit für Deutschland, sich dem Land neu anzunähern. Ein Gastbeitrag von Hans-Gert Pöttering.

 Der frühere Chef des Europa-Parlaments, Hans-Gert Pöttering.

Der frühere Chef des Europa-Parlaments, Hans-Gert Pöttering.

Foto: ddp

Vor 100 Jahren, am 11. November 1918, wurde die staatliche Unabhängigkeit Polens wiederbegründet. Aufgrund der verschiedenen Teilungen durch seine Nachbarn Preußen, Österreich-Ungarn und Russland hatte Polen 123 Jahre als Staat nicht existiert. Die polnische Nation aber war nicht untergegangen, der gemeinsame Wille der Menschen, Polen auch als Staat wiedererstehen zu lassen – „noch ist Polen nicht verloren“ – war stark und einte das Volk, auch in einer beispiellosen Symbiose mit der katholischen Kirche. Wir, die Deutschen haben allen Anlass, uns mit unseren polnischen Nachbarn über die wiedererlangte Unabhängigkeit zu freuen und Polen von Herzen zu gratulieren!

1939 wurde Polen erneut Opfer seiner Nachbarn. Hitler und Stalin vereinbarten einen verbrecherischen Pakt, die Aufteilung Polens, der 2. Weltkrieg begann. 55 Millionen Tote, der Holocaust, Flucht und Vertreibung waren die Folgen. Heute sind Polen und Deutschland in der Europäischen Union „zu unserem Glück vereint“, wie es in der Berliner Erklärung vom 25. März 2007 zur Erinnerung an die Römischen Verträge von 1957, der Begründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), heißt.

Am erfolgreichen europäischen Weg hat auch Polen einen großen Anteil. Die Aussöhnung zwischen Polen und Deutschland gehört zu den besonders glücklichen Entwicklungen der jüngeren europäischen Geschichte. Sie wurde erst möglich durch den Zusammenbruch des Kommunismus 1989/90. Aber bereits 1965 hat die polnische Bischofskonferenz gegenüber ihren deutschen Amtsbrüdern ein großes Zeichen der Versöhnung gegeben: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“. Die Bischöfe wurden von der kommunistischen Partei dafür hart kritisiert. Dieser Satz erinnert an eine große Geste von Robert Schuman, dem französischen Außenminister, 15 Jahre vorher, als dieser m 9. Mai 1950, die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vorschlug. Dabei ging es ihm um Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, um Frieden in Europa.

Ohne Polen gäb es keine deutsche Wiedervereinigung

Ohne Solidarność und Lech Wałęsa, ohne Papst Johannes Paul II., der in den 80er Jahren seinen polnischen Landsleuten zugerufen hat: „Habt keine Angst“, hätte es am 3. Oktober 1990 die deutsche Einheit in Freiheit nicht gegeben. Das dürfen wir Deutschen niemals vergessen. Am Tag des Falls der Mauer am 9. November 1989 war Bundeskanzler Helmut Kohl in Polen, in Warschau. Er reiste nach Berlin und versprach, nach Polen zurückzukehren. Am 12. November feierte der Bischof von Oppeln (Oberschlesien), Alfons Nossol, mit Helmut Kohl und dem polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki in Kreisau auf dem Gut des Widerstandskämpfers James Graf von Moltke einen Versöhnungsgottesdienst. Diese Geste war von unschätzbarer Bedeutung für die kommenden Jahrzehnte der deutsch-polnischen Aussöhnung, denn sie zeugte von Respekt und dem Willen, Brücken zu bauen und den Blick nach vorne zu richten.

Die Versöhnung zwischen Polen und Deutschland ist auch heute eine gute Grundlage, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen.

Ebenso wie Mazowiecki und Kohl in Kreisau müssen wir uns dabei von der Wahrheit leiten lassen, gegenseitigem Respekt und Geduld. Meinungsverschiedenheiten sollten wir nicht verschweigen. Die Abberufung von Richtern vor dem Ablauf ihrer Amtszeit am Höchsten Gericht Polens widerspricht den europäischen Werten, den Prinzipien des europäischen Rechts. Die Forderungen höchster Persönlichkeiten in Polen nach deutschen Reparationen sind irritierend. Die moralische Schuld Deutschlands am 2. Weltkrieg ist unbestritten, aber Reparationen haben aufgrund der deutsch-polnischen Verträge keine rechtliche Grundlage. Gleichzeitig bieten sie Populisten und Nationalisten in beiden Ländern Gelegenheit, durch eine eskalierende Rhetorik die Geister der Vergangenheit zu beschwören und den gemeinsamen Weg in die Zukunft zu verbauen. Aber auch wir Deutschen sollten selbstkritisch sein. Der Bau der Nordsee-Pipeline 1+2 zwischen Russland und Deutschland geschah und geschieht unter Vernachlässigung der Interessen und Empfindungen unserer polnischen und anderer Partner.

Weimarer Dreieck wiederbeleben

Die deutsch-polnischen Beziehungen sind für die Zukunft der Europäischen Union ebenso entscheidend wie unsere Partnerschaft und Freundschaft mit Frankreich. Das „Weimarer Dreieck“ zwischen Polen, Frankreich und Deutschland als ein wichtiger Kern der Europäischen Union sollte wiederbelebt werden. Die deutsch-polnischen Beziehungen, unsere Freundschaft, sind ein Anliegen des Herzens und des Verstandes. Wir sollten uns jetzt den Zukunftsaufgaben zuwenden:

1. einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit dem Ziel einer europäischen Armee.

2. einem gemeinsamen Außengrenzschutz der Europäischen Union, der die Zuwanderung regelt, bei gleichzeitiger Gewährleistung von Asyl und Schutz für Kriegsflüchtlinge nach dem Völkerrecht.

3. dem Klimaschutz als Bewahrung der Schöpfung.

4. der Verteidigung unserer europäischen Werte, deren Kern der Respekt vor der Würde jedes Menschen ist.

Hans-Gert Pöttering: Polen und Deutschland im Schicksal vereint
Foto: grafik

Die Zusammenarbeit, Partnerschaft und Freundschaft zwischen Polen und Deutschland ist für die Europäische Union von großer Bedeutung. Die Europäische Union ist nicht das Paradies auf Erden, aber der bessere Teil der Welt. Das gilt es nach innen wie nach außen mit Entschlossenheit und Mut zu verteidigen. Dabei sind Polen und Deutschland im 21. Jahrhundert eine Schicksalsgemeinschaft.

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