Gesetzesvorschlag der EU Übergewinne von Energiefirmen sollen Verbraucher entlasten

Straßburg · Den Europäern steht ein harter Winter bevor - denn die Strompreise sind schwindelerregend hoch. Um die Bürger zu schützen, bricht die EU-Kommission mit früheren Tabus.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält zu Beginn der Plenarsitzung des Europaparlaments eine Rede zur Lage der Union.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält zu Beginn der Plenarsitzung des Europaparlaments eine Rede zur Lage der Union.

Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen will Verbraucher mit radikalen Maßnahmen bei den hohen Energiepreisen entlasten. Nach einem am Mittwoch vorgestellten Gesetzesvorschlag sollen Energiefirmen einen Teil ihrer zuletzt stark gestiegenen Gewinne abgeben. Damit sollen Staaten die Krisenkosten abfedern. Die Unternehmen machten zuletzt Gewinne, mit denen sie in ihren kühnsten Träumen nie gerechnet hätten, sagte von der Leyen bei einer Grundsatzrede im Straßburger Europaparlament. Der Vorschlag werde den EU-Staaten mehr als 140 Milliarden Euro bringen, um die Not zu lindern.

Maßnahmen wie diese, die einer Übergewinnsteuer ähneln, waren noch vor wenigen Monaten von vielen Ländern kategorisch abgelehnt worden - unter ihnen auch Deutschland. Die Lage hat sich jedoch dramatisch verändert. Unter anderem deshalb, weil Russland kaum noch Gas an die EU-Staaten liefert. Der Strompreis am deutschen Großhandel ist heute drei- bis viermal höher als vor einem Jahr. In Zeiten wie diesen müssten Gewinne geteilt und an die Bedürftigsten umgeleitet werden, sagte von der Leyen. Auch die Bundesregierung unterstützt dies mittlerweile.

Der Gesetzesvorschlag muss nun von den EU-Ländern angenommen werden. In groben Zügen hatten sie dem Konzept bereits vergangene Woche zugestimmt. Knifflig wird es jedoch bei den Details, über die jetzt verhandelt werden muss.

Einnahmengrenze für viele Stromproduzenten:

Der Gesetzesvorschlag sieht unter anderem vor, eine vorübergehende Obergrenze für die Einnahmen von Unternehmen einzuführen, die Elektrizität nicht aus Gas produzieren. Da der Gaspreis vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine stark gestiegen ist, ist auch Strom teurer geworden. Das liegt daran, dass der Strompreis durch das teuerste Kraftwerk bestimmt wird, das zur Produktion eingeschaltet wird - derzeit sind das vor allem Gaskraftwerke. Auch Produzenten von billigerem Strom - etwa aus Sonne, Wind, Atomkraft oder Kohle - können diesen zu hohen Preisen verkaufen.

Die Einnahmen dieser Unternehmen sollen dem Gesetzesvorschlag zufolge bis Ende März 2023 bei 180 Euro pro Megawattstunde gedeckelt werden. Was darüber hinausgeht, soll vom Staat eingezogen und an Verbraucher umverteilt werden.

Der Einnahmendeckel liegt bei etwas weniger als der Hälfte des gegenwärtigen Strompreises im deutschen Großhandel, der zuletzt ungefähr 450 Euro pro Megawattstunde betrug. Nach Angaben der EU-Kommission ist der Deckel deutlich über dem durchschnittlichen Preis, mit dem die Firmen vor dem Ukraine-Krieg gerechnet hatten. Ob die EU-Staaten sich tatsächlich darauf einlassen, ist jedoch unklar, denn die Maßnahme würde EU-weit gelten und einige Länder wie Litauen hatten bereits Vorbehalte geäußert.

Solidaritätsbeitrag von Öl- und Gasunternehmen:

Auch Gas- und Ölkonzerne oder Raffinieren, die nicht von der Obergrenze betroffen wären, sollen über eine Krisenabgabe einen Teil ihrer Gewinne abgeben. Die Konzerne müssten dem Vorschlag zufolge 33 Prozent der Gewinne abgeben, die den Durchschnittsgewinn der vergangenen drei Jahre um mehr als 20 Prozent übersteigen. Diese Solidaritätsabgabe würde aber nur für dieses Jahr gelten und soll ebenfalls Entlastungen für Verbraucher und Unternehmen finanzieren.

Strom sparen zu Spitzenzeiten:

Der Stromverbrauch soll in Zeiten hoher Nachfrage verpflichtend reduziert werden. In Spitzenzeiten ist Strom besonders teuer, da dann teures Gas zur Produktion genutzt werden muss. Konkret soll der Stromverbrauch in dieser Zeit um mindestens 5 Prozent reduziert werden. Dadurch können der EU-Kommission zufolge 4 Prozent des im Winter genutzten Gases gespart werden. Insgesamt sollten die EU-Länder ihren Stromverbrauch freiwillig um 10 Prozent senken. Gegen verpflichtende Stromsparziele haben sich bereits mehrere Länder ausgesprochen. Es gibt also noch Verhandlungsbedarf.

Was nicht im Vorschlag steht:

Die EU-Länder hatten die EU-Kommission vergangene Woche dazu aufgefordert, Vorschläge für einen Gas-Preisdeckel vorzulegen - dieser fehlt im nun präsentierten Vorschlag. Länder wie Italien und Belgien fordern einen Maximalpreis für russisches und anderes importiertes Gas. Länder wie Ungarn sind jedoch stark von russischem Gas abhängig. Budapest lehnt eine solche Preisobergrenze ab. Für den Fall eines Gaspreisdeckels wird befürchtet, dass Russland dann gar nicht mehr liefern würde und auch andere Lieferanten ihr Gas lieber anderswo verkaufen würden.

„Deshalb werden wir mit den Mitgliedstaaten eine Reihe von Maßnahmen entwickeln, die den Besonderheiten unserer Beziehung zu Lieferanten Rechnung tragen - von unzuverlässigen Lieferanten wie Russland bis hin zu verlässlichen Freunden wie Norwegen“, sagte von der Leyen. Sie habe etwa mit Oslo eine Arbeitsgruppe dafür gegründet.

Die EU-Länder hatten auch Hilfen für Energieversorger gefordert, die angesichts der schwankenden Märkte an ihre finanziellen Grenzen kommen. „Wir werden im Oktober den befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen ändern, um staatliche Garantien zu ermöglichen und gleichzeitig gleiche Wettbewerbsbedingungen zu wahren“, sagte von der Leyen dazu. Um Bürgschaften bei Kauftransaktionen bereitzustellen, sei man mit den Marktaufsichtsbehörden und der Europäischen Investitionsbank in Kontakt.

Von der Leyen kündigte zudem eine „tiefe und umfassende“ Reform des Elektrizitätsmarktes an. Ziel sei es, den Strom vom Gaspreis loszulösen - wie das gelingen könnte, sagte sie nicht. Die Kommission hatte immer wieder betont, dass das sehr komplex sei und Zeit brauche.

Wie es weitergeht:

Die für Energie zuständigen EU-Minister verhandeln am 30. September bei einem weiteren Krisentreffen über den Gesetzesvorschlag. Dann soll eine Einigung stehen. Dafür ist der Kommission zufolge eine Mehrheit von mindestens 15 Staaten notwendig, die mindestens 65 der gesamten EU-Bevölkerung ausmachen.

(albu/dpa)
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