Der neue Kampf um Subventionen Die EU dreht den Geldhahn auf

Analyse | Brüssel · Brüssel will die Folgen des Ukraine-Kriegs mit einem Multi-Milliardenprogramm mildern. Zugleich ist der Aufschlag eine Antwort auf das US-Klimapaket. Warum die Geldflut am Ende allen Parteien schadet.

 EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gibt eine Pressekonferenz in Brüssel, in denen sie Vorschläge zur Unterstützung der Industrie als Folge des Ukraine-Kriegs vorträgt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gibt eine Pressekonferenz in Brüssel, in denen sie Vorschläge zur Unterstützung der Industrie als Folge des Ukraine-Kriegs vorträgt.

Foto: AFP/JOHN THYS

Paradigmenwechsel – unter diesem modischen Wort vollzieht sich derzeit in der Europäischen Union (EU) eine dramatische Verschiebung der Gewichte. Waren einst Binnenmarkt, europaweiter Wettbewerb und Liberalisierung der großen Netzanbieter im Energie-, Telekommunikations- und Verkehrsbereich die Treiber der europäischen Einigung, sind es nun der staatlich geförderte Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie, der gelenkte Wandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft sowie staatliche Subventionen als Antwort auf den Energiepreisschock, den der von Russland entfesselte Krieg in der Ukraine ausgelöst hat.

Der weibliche Guru der neuen Richtung ist die italienisch-amerikanische Ökonomin Mariana Mazzucato, die am University College von London den Lehrstuhl für Innovation und öffentliche Werte innehat. Sie billigt dem staatlichen Kapital einen wesentlichen Einfluss bei der Schaffung wirtschaftlicher Werte zu und ist skeptisch gegen eine rein marktwirtschaftliche Ordnung. Politiker wie Bundeskanzler Olaf Schol (SPD), Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder der französische Präsident Emmanuel Macron sind eifrige Schüler dieser Wirtschaftswissenschaftlerin.

Vor allem die Chefin der EU-Kommission hat in diesem Sinne seit ihrer Amtsübernahme ein Multi-Milliarden-Programm nach dem anderen angeschoben – den „Green Deal“ in Höhe von 550 Milliarden Euro, den Corona-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ von 800 Milliarden und jetzt ein neues Programm ebenfalls in dreistelliger Milliardenhöhe, mit dem die EU auf die ökonomischen Herausforderungen des Ukraine-Kriegs reagieren will. Dabei darf die Europäische Union wie ein souveränes Land Schulden für die Gemeinschaft aufnehmen.

Die gewiefte Europa-Politikerin geht behutsam vor. Am Mittwoch stellte von der Leyen zunächst einen Vier-Punkte-Katalog vor, mit dem sie eine Antwort auf das 370 Milliarden Dollar schwere amerikanische Industrie-Umbauprojekt „Inflation Reduction Act“ geben will. Die EU müsse Vorreiter bei der „Netto-Null-Industrie“ sein, begründet die CDU-Politikerin ihren Ansatz. Unter diesem Begriff verbirgt sich die Absicht, dass die Unternehmen in der EU künftig unterm Strich keine Emissionen mehr produzieren. Doch für Null ist diese Netto-Null natürlich nicht zu haben. Von der Leyen macht zwar einen Bogen um den heikelsten Punkt der dahinter steckenden Planungen. Aber längst ist klar, dass sie zusätzliche Mittel in dreifacher Milliardengröße mobilisieren will. Fast ein Drittel der Mitgliedsstaaten hat sich bereits festgelegt, dass die EU dafür keine neuen Schulden machen darf. Doch für die Chefin der wichtigsten europäischen Behörde sind Kredite kein Tabu – ganz im Sinne der Staatsökonomin Mazzucato.

Von der Leyen versucht, über mehrere Gleise voranzukommen. Da ist ihr Appell an die Mitgliedstaaten, ihre Mittel aus EU-Geldern zu nutzen, um den klimaschützenden Umbau von Industriebetrieben mit Steuergutschriften zu fördern. Sie verweist darauf, dass auch der Corona-Fonds von den Mitgliedstaaten verstärkt für den grünen Umbau der Wirtschaft genutzt werden können. Schließlich will die EU nicht nur ihre Genehmigungsprozesse für geförderte Unternehmensinvestitionen deutlich verschlanken und vorübergehend auch wesentlich großzügiger nationale Beihilfen für Betriebe akzeptieren.

Noch hat die Deutsche keinen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt, lediglich ein Diskussionspapier. Ihr Plan: Die Staats- und Regierungschefs führen bei ihrem Gipfeltreffen in der nächsten Woche eine politische Grundsatzdiskussion. Auf deren Grundlage will sie dann bis Mitte März sehr konkret werden, damit der folgende Gipfel am 23. März darüber befinden kann.

Widerstand regt sich schon. Deutschlands Finanzminister Christian Lindner (FDP) verweist darauf, dass aus den Corona-Mitteln noch nicht alle Summen abgeflossen seien, die könne man umwidmen, ohne neue Schulden aufnehmen zu müssen. Daniel Caspary, der Chef der Unions-Parlamentarier im Europäischen Parlament fordert bessere Rahmenbedingungen für Unternehmen. „Europa könnte viel mehr machen, als jedes Mal neue Geldtöpfe herbeizudiskutieren“, sagt der Christdemokrat. Für deutsche Wirtschaftsverbände ist der Plan noch viel zu wenig konkret. „Europa verliert sich zu oft in kleinteiligem Regelwerk“, mahnt Tanja Gönner, die Hauptgeschäftsführerin des Industrieverbands BDI. Dagegen lobt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den Plan als „eine sehr gute Basis“.

Die Aufnahme neuer Schulden dürfte sicher einer der Knackpunkte des Programms sein. Auch werden viele die Frage stellen, ob die EU gut beraten ist, mit den Vereinigten Staaten, China und anderen großen Staaten sich auf einen Subventionswettlauf einzulassen, der am Ende allen schadet. „Der Wirtschaftskrieg mit staatlichen Hilfen ist bereits Realität“, meint Anton Brender, der Chefvolkswirt des globalen US-Vermögensverwalters Candriam. Der Kampf um Subventionen ist zudem wenige wirtschaftlich. Denn die vielen Vorhaben mit staatlichen Mitteln könnten die Unternehmen dazu verleiten, vor allem Förderanträge zu schreiben, als ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen neue Produkte und Prozesse entwickeln zu lassen. Von Subventionsbetrug und wirtschaftlicher Verschwendung ganz zu schweigen. Der Weg in die klimaneutrale Wirtschaft und eine verringerte Abhängigkeit von russischen Energielieferungen und mehr staatliche Stabilität sind sicher richtige Anliegen. Ob es immer neue Milliardenprogramme sein müssen, darf bezweifelt werden.

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