Kommentar zum Merkel-Besuch in Athen Spröder Charme trifft auf kochende griechische Seele

Athen · Angela Merkel hat in Athen wieder bewiesen, dass sie die Kunst der doppelten Botschaft beherrscht. Einerseits lobte sie erkennbare Fortschritte bei den Reformen, andererseits sei noch ein langer Weg zu gehen. Sie versprach den Griechen einerseits "Licht am Ende des Tunnels", erinnerte andererseits aber auch daran, dass die nötigen Anpassungsprozesse Jahrzehnte dauern könnten.

Oktober 2012: Angela Merkels Tag in Griechenland
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Weniger beherrscht Merkel dagegen die Kunst der einfühlsamen Rede. Ihr spröder norddeutscher Charme dürfte die kochende griechische Seele kaum besänftigt haben. Allenfalls Premier Samaras dürfte das Gefühl gewonnen haben, sich von nun an noch stärker auf Merkel und Deutschlands Hilfe verlassen zu dürfen. Aber wohl nicht die wütenden griechischen Bürger auf der Straße.

Für Merkel und die Deutschen wiederum bleibt auch nach diesem Besuch die zentrale Frage, ob sie sich umgekehrt auch auf Antonis Samaras verlassen können. Auch dieser neue griechische Premier redet viel und tut wenig. Immerhin berichten einige, die ihn näher kennen, etwa der deutsche Leiter der EU-Task Force in Griechenland, Horst Reichenbach, Samaras habe das Zeug, in Griechenland wirklich eine Wende herbeizuführen. Wir können es nur hoffen. Dass in Griechenland in mehr als zwei Jahren seit dem Ausbruch der Krise Entscheidendes nicht passiert ist, ist ein teures Ärgernis, ein Unding.

Weil sich die politischen Parteien jahrelang lieber um die Macht gezankt haben, als sich um die Zukunft des krisengeschüttelten Landes zu kümmern, hat sich die Lage Griechenlands enorm zugespitzt. Dass technische Hilfe der EU zum Aufbau eines funktionieren Steuersystems noch immer nicht in Anspruch genommen wurde, dass ein solches System nicht implementiert wurde, ist kaum zu fassen.

Doch auch umgekehrt stellt sich die Frage, warum Merkel erst jetzt - zwei Jahre nach Beginn der Krise - nach Athen ins Epi-Zentrum der Krise gereist ist. Warum sie erst jetzt betont, dass die enge Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der Euro-Staaten unabdinglich sei, um diese Krise zu meistern.

Man fragt sich, warum konkrete Hilfen und Projekte Deutschlands in Griechenland erst jetzt anlaufen können. Dass dies nur am mangelnden politischen Willen der griechischen Entscheidungsträger gelegen hat — auch das ist kaum zu glauben.

(mar)
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