Wahlen in der Slowakei Gelingt Putin der Einbruch in die EU-Ostflanke?

Analyse | Brüssel/Bratislava · In kaum einem anderen Land hat die massive Beeinflussung der Bevölkerung durch Moskaus Manipulations-Maschine so gut geklappt wie in der Slowakei. Das könnte sich nun bei den Wahlen an diesem Wochenende auswirken – und die EU jetzt schon stark verändern. Weitere Wahlen bringen zusätzliche Verunsicherung.

 Robert Fico (rechts): Bringt ein Comeback von ihm das Land auf einen extrem Kreml-freundlichen Kurs?

Robert Fico (rechts): Bringt ein Comeback von ihm das Land auf einen extrem Kreml-freundlichen Kurs?

Foto: dpa/Jaroslav Novák

Für die EU-Kommission sind die Wahlen in der Slowakei an diesem Samstag eine Art Testfall für die Frage, wie verwundbar Wahlen in Europa durch die russische „Multi-Millionen-Waffe der Massenmanipulation“ ist. Tatsächlich verfängt die Erzählung Putins von der Unschuld Russlands und der Verantwortung der USA und der Ukraine für den Angriffskrieg in kaum einem anderen Land mehr als derzeit in der Slowakei. Die Anhänger von Putins Narrativ stellen nach jüngsten Erhebungen inzwischen mehr als die Hälfte der 4,5 Millionen Wahlberechtigten. Und selbst die vom Namen her sozialdemokratische Partei des aussichtsreichen Spitzenkandidaten Robert Fico punktet mit der Einschätzung „Krieg und Faschismus sind immer aus dem Westen gekommen, Freiheit und Frieden immer aus dem Osten“.

Jörg Bergstermann, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bratislava, rechnet mit einem sehr knappen Wahlergebnis. Die drei führenden Parteien lägen in letzten Umfragen alle nur maximal drei Prozentpunkte voneinander entfernt, weswegen angesichts des Anteils von 20 Prozent unentschlossener Wähler noch mit „einigen Überraschungen“ gerechnet werden könne. Die Bildung einer arbeitsfähigen Koalition dürfe daher „überaus schwierig“ werden. Da die drei führenden Koalitionen untereinander ausgeschlossen hätten, werde sich in den Koalitionsverhandlungen mit kleinen möglichen Partnern entscheiden, wie die Slowakei sich von nun an außen-, europa- und sicherheitspolitisch aufstelle.

Vom ersten Tag des Angriffskrieges Russlands an gehörte die Slowakei zu den entschiedensten Unterstützern der Ukraine mit Waffen und humanitärer Hilfe. Doch nach einem polarisierenden Wahlkampf voller grassierender Falschinformationen könnte ein Comeback von Ex-Premier Fico das Land auf einen extrem Kreml-freundlichen Kurs bringen. In der Bevölkerung haben die manipulativen Beeinflussungen aus Russland enorm verfangen. Nur noch 40 Prozent glauben, dass Russland die Verantwortung für den Krieg trage, und die Zustimmung der Nato ist von 72 auf 58 Prozent gefallen. Viele halten die USA für das eigentliche „Sicherheitsrisiko“.

Nach Einschätzung von Bergstermann ist das jedoch nur ein Faktor. Der andere bestehe darin, dass die slowakische Bevölkerung politikmüde und enttäuscht von der letzten gewählten Regierung sei. Diese sei als inkompetent empfunden worden und habe von einer „interimistischen Expertenregierung“ abgelöst werden müssen, sagt der Politikbeobachter unserer Redaktion. Daraus sei bei vielen der Wunsch nach einer „Führungsperson mit klarer Kante und deutlichen Ansagen“ erwachsen. Das ist die Gemengelage, in der Ficos Partei damit wirbt, das Land aus der „euro-amerikanischen Okkupation“ zu befreien und einen „Faschismus in Regenbogenfarben“ zu beenden.

Michael Petrik von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bratislava sieht einen entscheidenden Punkt für die künftige West- oder Ost-Ausrichtung des Landes im Abschneiden der Kleinen. Für einzelne Parteien gilt eine Fünf-Prozent-Klausel, für Parteienbündnisse eine Sieben-Prozent-Klausel. Gelinge unter den sechs bis sieben potenziellen Partnern für Koalitionsbildungen zwei nationalistischen Parteien der Sprung in die Nationalversammlung, werde vermutlich Fico die Regierung bilden können. Scheiterten diese jedoch und würden stattdessen liberale und christdemokratische Parteien so gestärkt, dass ihnen der Einzug gelinge, sei eine europäische Orientierung des Landes immer noch möglich. Auch Fico war seinerzeit ein nachhaltiger Unterstützer der EU, hat sich – wie Victor Orbán in Ungarn – jedoch fundamental verändert.

Die Wahlen in der Slowakei bilden nur den Auftakt einer ganzen Reihe von Herbstwahlen, die die EU jetzt schon mehr verändern können, als es für die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni nächsten Jahres befürchtet wird. Die Regierungsbildung in Spanien ist noch nicht absehbar. Und trotz schwerer Rückschläge wegen korrupter Vergabe von EU-Visa kommen in Polen die Pis-Rechtspopulisten vor den Wahlen am 15. Oktober in eine Position, die ihnen ein Weiterregieren ermöglichen könnte.

Galt es beim Vorziehen der Wahlen in den Niederlanden auf den 22. November als sehr wahrscheinlich, dass der frühere EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans als gemeinsamer Kandidat der Sozialdemokraten und Grünen mit klarem Vorsprung ins Rennen gehen werde, hat eine Parteineugründung auch die Niederlande durcheinandergewirbelt. Der ehemalige Christdemokrat Pieter Omtzigt stürmte binnen weniger Wochen von null auf eins. Er will eine „neue Politik“ für sein Land und mit einem „neuen Gesellschaftsvertrag“ das niederländische System verändern. In der Vergangenheit hatte er bereits Brüsseler Versuche ausgebremst, die zersplitterten Rentensysteme in der EU anzugleichen.

Belgien übernimmt Anfang nächsten Jahres nicht nur die EU-Ratspräsidentschaft, es stellt sich auch auf einen polarisierten Wahlkampf ein, denn zusammen mit dem Europaparlament wird auch das belgische Parlament neu gewählt. Derzeit führen in allen Umfragen im nördlichen Flandern der rechtsextreme Vlaamse Block, in der südlichen Wallonie die Sozialistische Partei, weswegen Beobachter schon von einer „Versuchung durch extremistische Parteien“ sprechen.

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