Offener Streit über Euro-Kritik von 160 Professoren "Schlimmste Stammtisch-Ökonomie"

Frankfurt · Die offene Kritik von 160 Professoren an Merkels Euro-Politik stößt in Fachkreisen auf heftige Kritik. Der Aufruf zum Widerstand bediene nur nationale Vorurteile, schüre Ängste, liefere aber keine Fakten, heißt es. Die Gruppe um Initiator Hans-Werner Sinn bewege sich auf Stammtisch-Niveau. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble zeigt sich empört.

Deutsche Top-Ökonomen
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Prominente deutsche Ökonomen liefern sich einen offenen Streit um die richtige Politik in der Euro-Krise. Auslöser: Ein offener Brief von 160 Wirtschaftswissenschaftlern, in dem diese vor allem den in Brüssel vereinbarten Schritt in Richtung einer Bankenunion kritisieren und dazu auffordern, entsprechenden Druck auf Abgeordnete auszuüben.

Noch am gleichen Tag reagierte Kanzlerin Angela Merkel mit ungewöhnlich offenen Worten: Sie bezweifelte indirekt die Kompetenz der Autoren. Die Bundeskanzlerin erklärte, Deutschland gehe durch die Brüsseler Gipfelergebnisse keinerlei zusätzliche Verpflichtungen ein. "Jeder sollte sich die Beschlüsse gut anschauen." Es gehe um "eine bessere Bankenaufsicht" und "überhaupt nicht um eine zusätzliche Haftung".

Kurz darauf folgt die geharnischte Replik zahlreicher Ökonomen unterschiedlichster Denkrichtungen. Sie veröffentlichen ihre Stellungnahme im "Handelsblatt" unter der Überschrift "Keine Schreckgespenster". Zu ihnen zählen unter anderem Ex-Sachverständigenratschef Bert Rürup, der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, und der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn.

Die Öffentlichkeit sei durch Ängste geprägt, die sich mehr aus unbestimmten Gefühlen als aus sachlichen Informationen speisten. Es könne "nicht die Aufgabe von Ökonomen sein, mit Behauptungen, fragwürdigen Argumenten und in einer von nationalen Klischees geprägten Sprache die Öffentlichkeit durch einen Aufruf weiter zu verunsichern", kritisierten die Autoren. Hüther bezeichnete das Vorgehen bereits zuvor als "unverantwortlich". Diese Aktion habe "mit ökonomischer Argumentation nichts zu tun".

Auch andere Fachleute übten scharfe Kritik: Der eher linklsliberale Ökonom Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, sagte der "Financial Times Deutschland": "Das ist schlimmste Stammtisch-Ökonomie."

Dennis Snower, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, kritisierte in derselben Zeitung: "Der Aufruf schürt lediglich Ängste und zeigt keinen einzigen Weg zur Lösung der Probleme auf."

Schäuble kritisiert Wissenschaftler

Am Freitagvormittag verurteilte auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble den Protestaufruf. "Jeder einzelne der Wissenschaftler muss sich fragen, ob es verantwortlich ist, dass man mit dem Begriff Bankschulden eine solche Verwirrung der Öffentlichkeit betreibt", sagte der CDU-Politiker am Freitag im RBB-Inforadio. "Ich finde das empörend. Ich finde das der Verantwortung eines Wissenschaftlers nicht entsprechend."

Schäuble widersprach energisch der Auffassung der Ökonomen, die Verabredungen des jüngsten EU-Gipfels führten zu einer kollektiven Haftung für die Schulden der Banken in der Eurozone. "Im Kern geht es ja nicht darum, die Haftung zu vergemeinschaften, sondern eine gemeinsame Aufsicht in Europa zu schaffen" , sagte er. Wirtschaftswissenschaftler könnten sich "mit verantwortlichen Ratschlägen" an der Debatte beteiligen, sagte Schäuble. Es sei aber unverantwortlich, "Horrormeldungen" zu verbreiten.

Linke und CSU sind einig

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und Kritiker des Euro-Rettungsschirms dagegen fanden lobende Worte. Er spricht im Unterschied zu Merkel von einem "mahnenden Beitrag", der deutlich mache, dass die Umsetzung der Gipfelbeschlüsse "nicht in die falsche Richtung gehen darf". Der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) sagte: "Die Warnungen der Ökonomen müssen wir ernst nehmen." Eine Vergemeinschaftung von Bankschulden dürfe es nicht geben.

Linken-Politikerin Wagenknecht sagte über die Aktion der Ökonomen: "Wo sie recht haben, haben sie recht." Mit den Gipfelbeschlüssen "droht eine Schuldenunion zugunsten der Banker, in der europäische Steuerzahler dauerhaft für die Fehlspekulationen der Finanzmafia bluten sollen".

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch sagte "Handelsblatt Online": "Die Politik muss nun nur noch darauf hören." Gemeinsam mit anderen habe er bereits deutlich gemacht, warum der eingeschlagene Kurs ein "Irrweg" sei. FDP-Finanzexperte Frank Schäffler sagte der Wirtschaftszeitung: "Alle Dämme haben bisher nicht gehalten, sondern die Schuldenflut hat alles hinweggefegt."

Scharfe Worte von Weidmann

Merkel dürfte Kritik von den meisten kalt lassen. Gehör finden wird vermutlich aber die Warnung von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Auch er kritisierte die jüngsten Entscheidungen des EU-Gipfels, die Bedingungen für die Vergabe von Finanzhilfen zu lockern. "Das ursprüngliche Konzept, das Hilfen als Ultima Ratio gegen strikte Konditionalität und Überwachung vorsieht, wird so weiter aufgeweicht", sagte Weidmann am Donnerstagabend in Berlin in einer vorab verbreiteten Rede. Die "Balance zwischen Haftung und Kontrolle" werde "wieder ein Stück in Richtung Gemeinschaftshaftung verschoben".

Der Münchner Ifo-Chef Hans-Werner Sinn und der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer sind die Initiatoren der Aktion. "Viele wissen gar nicht, auf was wir uns da einlassen", sagte Kärmer zu den Gründen. "In 10 oder 15 Jahren müssen wir dann unser Rentensystem plündern, um irgendwelche maroden Banken zu retten - oder was noch schlimmer wäre, die Notenpresse anwerfen."

Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone hatten sich in der vergangenen Woche auf direkte Bankenhilfen und erleichterten Zugriff auf den Euro-Rettungsschirm geeinigt.

(AFP/dapd/dpa)
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