Mehr Macht nach Brüssel? Schäuble rechnet mit Volksabstimmung

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble geht davon aus, dass es in Deutschland schon bald eine Volksabstimmung über Europa geben könnte. Thema: die Abgabe von Kompetenzen an die Europäische Union.

 Wolfgang Schäuble hält es für unvermeidlich, mehr Kompetenzen nach Brüssel abzugeben.

Wolfgang Schäuble hält es für unvermeidlich, mehr Kompetenzen nach Brüssel abzugeben.

Foto: dpa, Nicolas Bouvy

"Wann es so weit sein wird, weiß ich nicht, weiß wohl keiner. Aber ich gehe davon aus, dass es schneller kommen könnte, als ich es noch vor wenigen Monaten gedacht hätte", sagte Schäuble dem Magazin "Der Spiegel". Auf dem EU-Gipfel in der kommenden Woche würden Vorschläge für eine vertiefte Integration vorgestellt, so Schäuble.

Mehr Macht nach Brüssel?: Schäuble rechnet mit Volksabstimmung
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Der Minister forderte, Entscheidungen nach Brüssel abzugeben. "Wir müssen in wichtigen Politikbereichen mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagern, ohne dass jeder Nationalstaat die Entscheidungen blockieren kann."

Um dies zu legitimieren, schlug er vor, den Präsidenten der EU-Kommission direkt wählen zu lassen. Zudem müsse das EU-Parlament gestärkt werden, indem es das Recht zu Gesetzesinitiativen bekomme. Ferner schlug Schäuble eine Vertretung der Länder nach Vorbild des Bundesrats oder US-Senats vor, in der Gesetze genauso wie im Parlament eine Mehrheit finden müssten.

Das Europa der Zukunft werde aber kein föderaler Staat sein nach dem Vorbild der USA oder der Bundesrepublik. Schäuble: "Es wird eine eigene Struktur haben. Das ist ein hochspannender Versuch."

Der frühere SPD-Finanzminister Peer Steinbrück erwartet, dass es in den nächsten zwei Jahren in Deutschland zu einer Volksabstimmung über Europa kommen muss. "Wer den Verfassungsrichtern aufmerksam zugehört hat, weiß, dass es anders nicht geht", sagte Steinbrück der "Stuttgarter Zeitung" (Montag).

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sagte im ARD-"Bericht aus Berlin": "Ich glaube, die Erkenntnis, dass wir zu wenig demokratische Legitimation auf der europäischen Ebene haben - europäisches Parlament, Bundestag, Bundesrat -, da ist schon eine Menge dran." Aber so eine Referendumsregelung gebe die Verfassung nicht her. "Und deshalb muss auch darüber zuerst mal gründlich nachgedacht werden."

FDP-Generalsekretär Patrick Döring sprach sich gegen rasche Reformen in der EU aus. "Wir sollten einen Schritt vor dem anderen machen und erstmal die aktuelle Krise meistern, bevor wir über eine noch stärkere politische Integration in Europa reden", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel" (Montag). "Mit einer zu weitgreifenden Integration schaffen wir ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und überfordern die Menschen."

Unterdessen will EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy Reformziele für alle EU-Staaten verbindlich machen. "Man kann alle 27 Mitglieder auffordern, dass sie ihre Rentensysteme in einer bestimmten Zeit den Vorgaben gemäß reformieren", sagte Van Rompuy der "Welt am Sonntag".

"Wir werden dazu beim EU-Rat am Donnerstag und Freitag etwas auf den Tisch legen." Darüber müsse "in den nächsten Monaten" gesprochen werden. Bisher gibt die EU-Kommission nur länderspezifische Empfehlungen. Weitreichende Pläne für eine politische Union haben für den Ratspräsidenten keine Priorität. "Wir müssen die Krise in kurzfristiger Hinsicht managen", sagte er. "Wir sind noch lange nicht am Ende des Weges innerhalb der Verträge."

Das Magazin "Der Spiegel" berichtete, das Bundesfinanzministerium erwarte bei einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone katastrophale Folgen für die deutsche Wirtschaft.Der Wachstumseinbruch würde im ersten Jahr nach Wiedereinführung einer eigenen deutschen Währung bis zu zehn Prozent betragen, sage ein Szenario voraus. Die Arbeitslosigkeit würde wieder auf über fünf Millionen Menschen steigen. Eine Sprecherin Schäubles sagte dazu, dass man sich nicht an Was-wäre-wenn-Spekulationen oder Spekulationen über angebliche Geheimpapiere, die nicht bekannt seien, beteiligen würde.

(dpa)
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