Ruf nach Bestrafung von Freiern „Das Prostitutionsgesetz ist gescheitert“

Interview · Die Liberalisierung der Prostitution in Deutschland sei vor 20 Jahren mit hehren Ideen geschehen, habe aber das Gegenteil bewirkt. Die Chefin der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen und EU-Gleichstellungspolitikerin Maria Noichl will, dass Deutschland sich den Staaten anschließt, die Prostitution verbieten und Freier bestrafen.

 Eine Prostituierte wartet in einem Bordell in Frankfurt auf Kundschaft.

Eine Prostituierte wartet in einem Bordell in Frankfurt auf Kundschaft.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Vor 20 Jahren war Rot-Grün stolz auf das Prostitutionsgesetz – haben sich die Erwartungen erfüllt?

Noichl Nein. Die Frauen, die in der Prostitution arbeiten, sollten entstigmatisiert werden, sozialversichert sein, ganz normal Steuern zahlen und aus der Schmuddelecke des Milieus heraus. Aus dem damaligen Blickwinkel kann ich dieser Idee viel abgewinnen. Aber inzwischen hat sich das Gegenteil entwickelt. Die Liberalisierung hat uns zu einem Land gemacht, das wie ein Schwamm alle aufsaugt, die an der Prostitution verdienen. Es ist legal, Frauenkörper zu verkaufen. So wurden aus Zuhältern „Zimmervermieter“, aus Puffs eine Art Gastronomiebetriebe. Es blieb die tiefe Not der Frauen. Das Prostitutionsgesetz ist gescheitert.

Wollen Sie, dass es abgeschafft wird?

Noichl Wir haben ja das Prostitutionsschutzgesetz hinzugefügt und damit festgelegt, dass die Regeln evaluiert werden. Das läuft derzeit. Wir müssen uns vor allem vor Augen halten, dass Gesetze Normen für den gesellschaftlichen Umgang schaffen und festlegen, was in einer Gesellschaft gewollt ist. Aber es darf doch nicht normal sein, dass man für 15 Euro einen Frauenkörper kaufen kann.

Hat die Migration die Prostitution in Deutschland verändert?

Noichl Ja, ganz massiv. Die Liberalisierung fiel damals mit der EU-Osterweiterung zusammen. Das hat mit dazu geführt, dass der ganz überwiegende Teil der Prostituierten in Deutschland keinen deutschen Pass hat. Viele kommen aus Rumänien, aus Bulgarien, inzwischen auch aus Nigeria. Ungleichheiten, Sexismus und Rassismus, die in unserer Gesellschaft bestehen, sind hier Ursache und werden so weiter reproduziert.

Stimmen Hinweise, wonach auch Ukraine-Flüchtlinge gefährdet sind?

Noichl Wir haben es weltweit mit dem Phänomen des „last girls first“ zu tun. Die letzten einer Gemeinschaft sind immer und überall die ersten in der Prostitution. Wer in einer Gesellschaft besonders benachteiligt ist, wer aus der untersten Kaste in Indien stammt, wer in Kenia seinen Mann verloren hat, wer nur mit drei Tüten vor dem Krieg flüchtet, der landet oft in der Prostitution. Wir haben massive Hinweise bekommen, dass sich viele Männer um Ukrainerinnen bemühten, ihnen eine Unterkunft versprachen und dabei als Menschenhändler nur eines im Sinn hatten: Sie in die Prostitution zu bringen. Deshalb gab es zu Recht sehr schnell die Zettel in den Bahnhöfen auf Ukrainisch, die Frauen davor warnten, solchen Versprechungen zu folgen.

Schauen wir auf die Freier - mit denen gehen die EU-Staaten unterschiedlich um?

Noichl Ja, der deutsche Mann findet nichts dabei, damit zu prahlen, dass er jetzt in den Puff gehe. Seine Nachfrage bestimmt das Angebot, ein Angebot, das alleine mit tatsächlich Freiwilligen nicht zu decken ist. Es darf nicht so bleiben, dass eine Gesellschaft diese Nachfrageseite einfach so akzeptiert. Ich wünsche mir für Deutschland und für ganz Europa das Nordische Modell, das Freier bestraft. Drei Länder haben es schon: Schweden, Irland und Frankreich, auch Spanien ist dabei, die Freier-Bestrafung einzuführen. Es ist richtig, diejenigen in den Blick zu nehmen, die die Nachfrage bilden. Dabei darf natürlich keine Frau, kein Mann, keine Transperson von der Polizei gehetzt werden, weil sie sich anbieten. Ein Werbeverbot muss dazu kommen, um die Nachfrage einzudämmen.

Sie arbeiten parallel an einer Richtlinie zur Gewalt gegen Frauen, geht es dabei auch um Prostitution?

Noichl Auch Prostitution soll mit Hilfe dieser Richtlinie in der EU als Gewalt eingestuft werden. Das ist keine freie Berufsausübung oder Freude an Sexualität. Bei Sexualität geht es um Gegenseitigkeit, bei Prostitution wird nur ein anderer Körper zur eigenen Befriedigung benutzt.

Soll das Prinzip „Nur Ja heißt Ja“ auch Bestandteil werden?

Noichl Natürlich. Und dabei stellt sich zudem die Frage, ob Konsens käuflich ist. Für mich ist das eindeutig mit Nein zu beantworten. Das gilt auch für andere Bereiche, etwa den Organhandel. Es gibt viele, die sich auf die Abtreibungsdebatte berufen und das Verständnis vom Recht auf den eigenen Körper auch auf den Verkauf von Organen und die Einwilligung zum Sex beziehen wollen. Nach dem Motto: Wenn die Frau Geld für Sex bekommt, hat sie doch auch was davon. Aber wir wissen doch, was aus einer Gesellschaft wird, in der die einen die Macht und das Geld haben und die anderen sich damit zu Opfern machen. Es ist die Aufgabe der EU, klar zu machen, wer Täter und wer Opfer ist.

Wie ist es aktuell insgesamt um Frauenrechte in der EU bestellt?

Noichl Wir müssen beobachten, dass zunehmender Einfluss rechter Gruppen zum Abbau von Frauenrechten führt. Wer Demokratie einschränkt, dreht auch die Rechte von Frauen zurück. In solchen Ländern verbreiten Regierungen den Eindruck, es sei eine Verhandlungssache, ob im privaten Bereich ausgeübte Gewalt überhaupt Gewalt sei.

Welche Länder meinen Sie?

Noichl Ungarn ist ganz vorne dabei. Aber ich mache mir auch Sorgen um Schweden mit seiner neuen Regierung. Und Polen ist ganz besonders im Fokus. Dort gibt es ein Schwangerschaftsregister – nicht, um Schwangeren zu helfen, sondern zu überwachen, ob eine Abtreibung vorgenommen wird. Das führt dazu, dass schwangere Frauen nicht mehr zum Arzt gehen. Besonders wenn sie hören, dass jetzt sogar eine Person verurteilt worden ist, weil sie eine Medizin besorgt hat, die einen medikamentösen Abbruch ermöglichte. Gleichzeitig hat Polen den Zugang zu Verhütungsmitteln auf Verheiratete beschränkt und ein Verbot für Sexualkundeunterricht an den Schulen erlassen. Es soll ein Klima des Nichtwissens entstehen.

Ältere erinnern sich an Oswald Kolle und die Aufklärungsfilme der späten 1960er Jahre – und jetzt wird sechs Jahrzehnte später das Rad zurückgedreht?

Noichl Das ist leider so in Europa. Und es ist tragisch. Das liegt daran, dass Bildung keine europäische, sondern allein nationale Aufgabe ist – in Deutschland sogar nicht einmal das, sondern hier liegt es bei 16 Bundesländern. Schon hier gibt es Unterschiede bei der Frage, was ein Kind, was ein Jugendlicher lernen oder nicht lernen darf. Das bewusste Vorenthalten von wichtigen Informationen über den eigenen und den anderen Körper, über Verhütung und Schwangerschaft, das ist auch eine Form der Gewalt. Das darf man nicht allein den Familien überlassen. Hier dreht sich Polen zurück ins Mittelalter, dagegen muss die EU was machen.

Was schlagen Sie vor?

Noichl Polen konnte der EU nur beitreten, weil es sich zum Schutz von Grundrechten bekannte und weil es die Freiheit der Medien garantierte. Ein Land, das gegen Homosexuelle vorgeht, verstößt genauso gegen die EU-Verträge wie ein Land, das den Medien das Recht zur Aufklärung entzieht. Deshalb wünsche ich mir, dass bei der Prüfung von Rechtsstaatsverstößen diese Aspekte und die Rechte der Frauen berücksichtigt werden, um Mitgliedstaaten EU-Mittel vorzuenthalten. Wir brauchen den klaren Grundsatz in der EU: Gehst du schlecht mit den Frauenrechten um, bekommst du weniger Geld.

Anmerkung der Redaktion: Maria Noichl hat darauf hingewiesen, dass sie die vorstehenden Äußerungen als Berichterstatterin für einen Bericht des Europäischen Parlamentes zum Thema Prostitution verstanden wissen will und nicht als Äußerungen in ihrer Funktion als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen. Sie beruhten auf ihren persönlichen Ansichten als Abgeordnete und Berichterstatterin.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort