Referendum in Griechenland Die Not kommt so oder so

Athen · Während das Referendum über Griechenlands Zukunft läuft, lässt sich Premier Alexis Tsipras feiern wie ein Popstar. Gleichzeitig drohen erste Nahrungsmittel knapp zu werden. Die Krise wird sich weiter zuspitzen, ganz egal das Land mit Ja oder Nein stimmt. Frankreich will auch bei einer Ablehnung der Sparauflagen verhandeln.

Fragen und Antworten zum Referendum in Griechenland
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Foto: dpa, dp jak

Am Sonntag stimmt Griechenland ab. Schon am Nachmittag melden Medien eine Wahlbeteiligung von mehr als 40 Prozent. Damit wäre das Referendum rechtsgültig. Für Alexis Tsipras ist es der Tag, an dem er noch einmal seine Qualitäten als Wahlkämpfer auskosten kann. Die Aufmerksamkeit genießt er sichtlich. Von seinen Anhängern ließ der griechische Ministerpräsident sich vor dem Wahllokal wie ein Popstar feiern. Im Scheinwerferlicht der TV-Kameras nahm er sich bei der Stimmabgabe demonstrativ viel Zeit, um den Wahlumschlag zuzukleben.

Die kurzfristige Ansetzung des Referendums in dem von der Pleite bedrohten Land hatte dem Regierungschef in anderen EU-Staaten viel Kritik eingebracht. Aber Tsipras sieht sich nicht als ein Quertreiber, sondern als ein Vorkämpfer eines neuen Europas.

Es stehen neue quälende Verhandlungen bevor

Griechenland: Wähler  strömen zu den Wahllokalen
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Referendum: Die Griechen strömen zu den Wahllokalen

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"Ich bin sicher, dass wir für alle Völker Europas einen neuen Weg öffnen werden", verkündete er auf einem Podest, das im Wahllokal aus Paletten für ihn errichtet worden war. Die Abstimmung über die Reform- und Sparvorschläge der internationalen Geldgeber war in seinen Augen ein "Festakt".

Worauf das im Kern absurde Referendum hinausläuft, wird aber trotz aller demokratischen Legitimität auch nach Schließung der Wahllokale feststehen. Es stehen neue quälende Verhandlungen an. Entweder über die Zusammensetzung einer neuen griechischen Regierung und deren Bitten um Nothilfe, falls eine Mehrheit mit "Ja" stimmt. Oder über eine Neuauflage der Verhandlungen mit einer gestärkten Regierung Tsipras, falls das Votum "Nein" lautet.

Die französische Regierung kündigte am Sonntag bereits an, auch bei einem Nein weiter einen Kompromiss im Schuldenstreit suchen zu wollen. Dabei werde sich Frankreich eng mit Deutschland abstimmen, sagte Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Präsident François Hollande werde sicher bereits am Sonntag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel beraten, um eine gemeinsame Position auszuarbeiten, sagte Macron am Sonntag im französischen Fernsehsender BFM-TV.

So geht es nach dem Referendum weiter
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Es gehe darum, einen guten Kompromiss zwischen den notwendigen Reformen in Griechenland und der Solidarität mit dem von der Staatspleite bedrohten EU-Land zu finden. In dieser Frage gäbe es keine Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich. "Im Lager der Bundeskanzlerin gibt es Stimmen, die sich hart geäußert haben, doch sie selbst hat dies immer sehr vorsichtig und ausgewogen getan", sagte der Minister.

Viele verstehen Tsipras nicht

Die zur Schau gestellte Zuversicht ihres Regierungschefs können indes viele Griechen nicht nachvollziehen. Sie befürchten, dass die von Tsipras vertretene Linie des "Ochi" (Nein) zu den Forderungen der Gläubiger das Land aus der Euro-Zone hinausführen und in ein Wirtschaftschaos stürzen wird.

"Ich möchte nicht in die 60er und 70er Jahre zurückgeworfen werden", sagte eine Athener Rentnerin auf dem Weg ins Wahllokal. Eine Begleiterin sprang ihr bei: "Ich auch nicht, auf keinen Fall. Ich will weiterhin zu Europa gehören."

Knapp zehn Millionen Menschen entscheiden

Knapp zehn Millionen Griechen waren aufgerufen zu entscheiden, ob sie die Reform- und Sparvorschläge der Geldgeber akzeptieren. Neben der Fragestellung, die in einem schwer verständlichen Text formuliert war, konnten sie ein Kreuz oben neben dem "Ochi" oder unten neben dem "Nai" (Ja) machen. Wer sich der Stimme enthalten wollte, konnte einen weißen Zettel in den Umschlag stecken.

Das Referendum hat Griechenland in zwei Lager gespalten. Die Teilung reichte zuweilen sogar bis in die Familien hinein. "Kann ich Dich vielleicht im letzten Moment noch dazu bewegen, doch mit Ja zu stimmen?", rief ein Athener seiner Gattin im Stimmlokal zu. "Ochi", war die prompte Antwort der Frau, die damit zugleich klarstellte, dass sie mit Nein votieren würde.

In der Bevölkerung wächst die Angst

Bei der Abstimmung geriet ein wenig in Vergessenheit, dass das Referendum keinen Ausweg aus der dramatischen Krise des Landes weisen wird. In diesem Punkt waren sich - ausnahmsweise - auch die sonst so debattierfreudigen Kommentatoren der TV-Sender einig. "Egal ob bei der Abstimmung das Ja oder das Nein gewinnen wird, die Probleme des Landes werden dieselben bleiben", meinten sie unisono.

Seit einer Woche sind Griechenlands Banken geschlossen. Die Griechen können an den Geldautomaten von ihren Konten pro Tag nur 60 Euro abheben. Die Rentner müssen mit 120 Euro in der Woche auskommen.
"Wann werden die Banken wieder öffnen?", fragen die Griechen sich besorgt. "Wird es demnächst überhaupt kein Geld mehr aus den Automaten geben?" In der Bevölkerung machte sich zudem die Angst breit, Bankguthaben könnten - ähnlich wie auf Zypern - gekürzt werden, um Geldhäuser vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Hersteller von Lebensmitteln warnen

Die Regierung versuchte, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Sie bestritt, dass es Pläne für eine Kürzung von Guthaben gebe. Die Banken sollten am Dienstag wieder geöffnet werden, versicherte Finanzminister Gianis Varoufakis. Er fügte allerdings hinzu, dass dazu eine Einigung mit den Geldgebern erforderlich sei. Und niemand kann sagen, wann es ein Übereinkommen geben wird.

Die von der Regierung verhängten Kapitalverkehrskontrollen haben bereits Auswirkungen in Teilen der Wirtschaft. Besonders betroffen ist der Tourismus, die wichtigste Stütze der Volkswirtschaft. Die Hoteliers beklagten einen drastischen Rückgang der Buchungen - vor allem aus dem Inland. "Man hat den Tourismus zerschmettert", meinte der Hotelbesitzer Dimitris Skalidis in der Gegend Nafplion auf dem Peloponnes. "Es kommt kein Grieche mehr, weil alle sparen müssen."

Die Lebensmittelhersteller warnten, dass in den nächsten Tagen bestimmte Nahrungsmittel knapp werden könnten. Dies dürfte vor allem für Fleisch- und Milchprodukte gelten, die Griechenland größtenteils aus dem Ausland bezieht und die die Importeure wegen der Zahlungsbeschränkungen nicht mehr beschaffen können.

(dpa)
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