Rückzug von der ukrainischen Grenze? Putin löst bei der Nato Verwirrung aus

Brüssel · Russland zeigt Bilder von abrückenden Panzern, die Nato beobachtet dagegen einen weiteren Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze. Auch über die Stationierung zusätzliche Kampftruppen in den östlichen Nato-Staaten erzielten die Verteidigungsminister bei einem Treffen in Brüssel noch keine Klarheit.

 Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bei der Ankunft zum Nato-Treffen in Brüssel.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bei der Ankunft zum Nato-Treffen in Brüssel.

Foto: dpa/Olivier Matthys

Die russische Ankündigung eines Teilrückzugs von der ukrainischen Grenze hat der Nato eigentlich Grund zu „vorsichtigem Optimismus geliefert“ - zumal sie mit dem Signal verbunden sei, „der Diplomatie eine Chance zu geben“, wie es Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu Beginn eines Verteidigungsministertreffens in Brüssel am Mittwoch erneut betonte. Allerdings traute das Bündnis den vom russischen Fernsehen gelieferten Bildern von Panzern beim Eisenbahn-Transport weg von der Grenze nicht. Die Beobachtung durch das Bündnis habe dafür keine Belege geliefert, es sei eher das Gegenteil richtig: Ein fortgesetzter Truppenaufmarsch.

Die Fernsehbilder erklärte Stoltenberg damit, dass Russland seine Truppen im Grenzbereich bereits in der Vergangenheit immer mal wieder vor und zurück bewegt habe. Nach wie vor sei Russland aber angriffsbereit, und zwar ohne jede Vorwarnzeit. Hatte Stoltenberg bislang die Zahl russischer Soldaten im Grenzraum als „weit mehr als 100.000“ bezeichnet, verwendete US-Präsident Joe Biden die Summe von „mehr als 150.000“. Auch Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht nannte die russische Militärpräsenz „weiter Besorgnis erregend“. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte in Brüssel, es sei nicht entscheidend, was Russland sage, sondern was Russland tue.

Unter diesem Eindruck habe der erste Teil des Verteidigungsministertreffens gestanden, berichtete Stoltenberg am Abend. Auch zu diesem Zeitpunkt gebe es noch „kein einziges Zeichen einer Deeskalation“. Russland habe Invasions-Streitkräfte aufmarschienen lassen, die „bereit zum Angriff“ seien. Er verwies zudem auf Cyber-Attacken auf ukrainische Banken und Regierungsstellen. Russland hatte zuvor den Verdacht zurückgewiesen, hinter diesen Angriffen zu stecken. Es bekräftigte auch, dass an diesem Mittwoch und auch in naher Zukunft kein Angriff geplant sei.

Lambrecht ließ zu Beginn des zweitägigen Treffens in Brüssel zugleich erkennen, dass es über die notwendigen Reaktionen der Nato unterschiedliche Auffassungen gibt. So verlangen Mitgliedsstaaten, vor allem die Nato-Ostflanke in der Nähe der Ukraine zu stärken und neue Kampftruppen sowohl in Rumänien als auch in Bulgarien zu stationieren. Lambrecht dagegen plädierte dafür, darüber nicht in der aktuellen Krisensituation zu entscheiden und erst einmal die Entwicklung bis zum Sommer abzuwarten.

Tatsächlich verständigten sich die Minister am Mittwoch darauf, „Optionen“ für die Stationierung weiterer Kampftruppen in Osteuropa zu entwickeln und einen Bericht darüber innerhalb einiger Wochen zu erwarten. Frankreich bot bei dem Treffen an, für eine Kampfgruppe in Rumänien die Führung zu übernehmen.

Derweil liefen kurzfristige Verstärkungen in östlichen Nato-Mitgliedsstaaten weiter. Auf dem rund hundert Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernten polnischen Flughafen Rzeszow trafen US-Fallschirmjäger mit einem Militärflugzeug ein. Augenzeugen berichteten zudem von landenden US-Hubschraubern. Die USA hatten zuvor die Verlegung von rund 4700 zusätzlichen Soldaten nach Polen angekündigt - zusätzlich zu den etwa 5000 Soldaten, die zuvor dort bereits stationiert waren.

Die deutsche Verteidigungsministerin warb für ein Beibehalten der Doppelstrategie der Nato aus Abschreckung und Dialog. Stoltenberg erneuerte die Einladung an Moskau, sich im Nato-Russland-Rat über die gegenseitigen Besorgnisse auszutauschen und über Möglichkeiten zur Deeskalation und Abrüstung zu sprechen.

Am Abend berieten die Minister über das neue strategische Konzept, das beim Nato-Gipfel Ende Juni in Madrid beschlossen werden soll. Stoltenberg wollte das Ergebnis nicht vorwegnehmen, sagte aber, dass die Nato sicherlich einer „neuen Normalität“ Rechnung tragen werde, die von dem aggressiven Verhalten Russlands geprägt werde.

Während des Nato-Treffens wird es an diesem Donnerstag in Brüssel auch ein Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs der EU zur Lage in der Ukraine geben. Dies soll am Rande des zweitägigen EU-Afrika-Gipfels eingeschoben werden. Bei einer Parlamentsdebatte in Straßburg machte EU-Ratsvorsitzender Charles Michel den Vorschlag, eine Geberkonferenz einzuberufen, um die Wirtschaft der Ukraine zu stabilisieren. Die EU hat bereits zusätzliche Unterstützung in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zugesagt.

In der Debatte machte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deutlich, dass es für die EU nicht akzeptabel sei, wenn in Moskau entschieden werde, wie sich die Ukrainer zu verhalten hätten. Sie warb für einen Neuanfang in den Beziehungen zu Russland und meinte: „Eine andere Zukunft ist möglich.“ Der polnische Abgeordnete Andrzej Halicki erklärte das Vorgehen Putins damit, dass dieser „Angst“ davor habe, dass die Ukraine sich für die Demokratie entscheide. Auch in Russland nähmen demokratische Kräfte zu.

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