Fragen und Antworten Polen gibt der EU im Streit um Rechtsstaatlichkeit kontra

Warschau/Brüssel · Seit Anfang 2016 prangert die EU-Kommission Demokratieverstöße in Polen an und droht mit Sanktionen. Doch die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit PiS gibt sich ungerührt. Kurz vor Ablauf der von Brüssel gesetzten Frist am Dienstag lenkte Warschau nicht etwa ein, sondern gab noch einmal kräftig kontra.

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Foto: dpa, hcd wst

Bald steht die EU vor der schwierigen Entscheidung, ob sie wirklich gegen Polen vorgehen und dem Land womöglich gar das Stimmrecht entziehen soll. Ein Überblick über den langwierigen Streit:

Warum prüft die EU-Kommission in Polen die Rechtsstaatlichkeit?

Seit ihrem Wahlsieg 2015 versucht die nationalkonservative Regierung aus Sicht von Kritikern, Polens Justiz und öffentlich-rechtliche Medien unter ihre Kontrolle zu bringen. Die EU-Kommission sieht deshalb die Demokratie bedroht. Die Medienfreiheit sei gefährdet, weil Vorstände von Radio und Fernsehen nun direkt von der Regierung ernannt würden. Tatsächlich häufen sich in Polen Vorwürfe, die Medienhäuser betrieben Regierungspropaganda und Zensur.

Noch mehr Sorge bereitet Brüssel die Reform des polnischen Verfassungsgerichts. Die PiS habe die Arbeitsweise des Gerichts und die Besetzung der Richterposten so geändert, dass das Tribunal die Regierung nicht ungehindert kontrollieren könne, lautet die Kritik. Die Kommission sieht eine Säule des Rechtsstaats in Gefahr. Im Januar 2016 leitete sie ein Prüfverfahren ein. Zwei Mal schon forderte sie Polens Regierung auf, das umstrittene Gesetz zu ändern.

Kam Polen den Forderungen nach?

Nur teilweise. Zwar besserten die Nationalkonservativen das Gesetz zum Verfassungsgericht mehrmals nach, blieben in den entscheidenden Punkten aber stur: Die PiS beharrt auf der nachträglichen Wahl dreier Verfassungsrichter, mit denen sie Kandidaten der Vorgängerregierung austauschte. Das Verfassungsgericht erklärte dies in einem Urteil in eigener Sache für unrechtmäßig. Dies erkennt die PiS aber nicht an - ein weiterer Streitpunkt mit Brüssel.

Vor allem der ehemalige Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Andrzej Rzeplinski, wehrte sich bis zum Ende seiner Amtszeit hartnäckig gegen die Reformen der PiS. Doch nun sei das Tribunal vollständig in der Hand der PiS, warnen Verfassungsrechtler. Der neuen Vorsitzenden Julia Przylebska werfen sie Regierungsnähe vor, zumal sie 2015 mit Stimmen der Nationalkonservativen in das Gericht gewählt worden war. Ihre Wahl zur Vorsitzenden sei durch Vorschriften der Nationalkonservativen begünstigt worden, monieren Juristen. Dies warf in Brüssel neue Fragen auf.

Lenkt Polen in dem Streit noch ein?

Danach sieht es nicht aus. Schon Ende 2016 erklärte die Warschauer Regierung den Streit um das Verfassungsgericht nach der Wahl der neuen Vorsitzenden für erledigt. Nach dem Scheiden Rzeplinskis könne das Tribunal wieder ungehindert funktionieren, sagt die PiS. Seither ging sie auf Änderungswünsche aus Brüssel nicht ein. Am Montag wiederholte das Warschauer Außenministerium, dass die Regierung keinen Handlungsbedarf sehe. Und es teilte seinerseits gegen EU-Kommissar Frans Timmermans aus, der Polen auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende noch einmal kritisiert hatte. Er solle aufhören mit anderen EU-Mitgliedern gegen Polen eine Front zu bilden und das Land zu unrecht anzuprangern, hieß es.

Wie wahrscheinlich sind EU-Sanktionen?

Sie wären eine Überraschung. Kommissionsvizepräsident Timmermans schloss zwar im Dezember ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags ausdrücklich nicht aus, sollte Warschau die Verfassungsgerichtsreform nicht korrigieren. In letzter Konsequenz könnte dieses Verfahren zum Entzug des Stimmrechts Polens in der EU führen. Doch gilt dies als unwahrscheinlich. Denn selbst wenn die Kommission den Antrag stellt, müssten die übrigen 27 Mitgliedsstaaten über die nächsten Schritte abstimmen. Die Feststellung, dass ein ernster und dauerhafter Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip vorliegt, müsste im Europäischen Rat einstimmig fallen - eine hohe Hürde. Insgesamt herrscht bei den anderen Ländern eine Art Beißhemmung. Angesichts der tiefen Krise der EU wollen sie nicht noch eine neue Front aufmachen.

(felt/dpa)
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