AfD-Politiker Fest Der Mann, der die EU zerstören will

Brüssel · Entgeistert und fassungslos reagierten EU-Parlamentarier bis in die eigenen Reihen hinein auf die Schmähung des verstorbenen Präsidenten David Sassoli durch den deutschen AfD-Abgeordneten Nicolaus Fest. Eine einmalige Entgleisung? Oder Teil eines Musters?

 Nicolaus Fest beim Parteitag des Berliner AfD-Landesverbandes im März 2017.

Nicolaus Fest beim Parteitag des Berliner AfD-Landesverbandes im März 2017.

Foto: dpa

Das war dann zwei Tage später auch in der Selbstbetrachtung zu viel: „Würde er noch leben, würde ich mich bei ihm entschuldigen“, gab der AfD-Europaabgeordnete Nicolaus Fest zu Protokoll, nachdem die Wogen der Empörung auf ihn eingestürzt waren. Selbst seine eigenen Parteifreunde hatten sich scharf distanziert, nachdem durchgesickert war, dass Fest zum Tod von Parlamentspräsident David Sassoli in einem internen Chat festgestellt hatte: „Endlich ist dieses Dreckschwein weg.“

Die Distanzierung seiner engsten Umgebung kennt Fest, seit er als Vizechefredakteur der Bild am Sonntag 2014 im Blatt die Überzeugung vertrat, der Islam sei Integrationshindernis. Die beiden Chefredakteure von Bild und Bams, Kai Diekmann und Marion Horn, distanzierten sich umgehend. Danach verließ Fest den Springer-Verlag. Aber nicht seine These. In der einschlägig bekannten „Jungen Freiheit“ legte er nach, indem er den Islam als „totalitäre Bewegung“ bezeichnete und die Schließung aller Moscheen forderte. Fortan blieben provokante Zuspitzungen sein Markenzeichen. Anfang Mai 2018 twitterte der AfD-Kreisverband Lüchow-Dannenberg das Fest-Bekenntnis, gesprochen beim dortigen Bürgerdialog: „Wir sind nicht da, um Frau Merkel zu jagen. Wir sind da, um sie zu erlegen!“

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Der Sohn des langjährigen FAZ-Herausgebers und renommierten Hitler-Biografen Joachim Fest machte eine Ausbildung zum Volljuristen, bevor er Journalist wurde. Aber das Historische juckte ihn auch. Im Vorfeld seiner Bewerbung als Kandidat bei den Europawahlen nahm er Anleihen bei Cato, dem Älteren. Der römische Senator hatte jede Rede mit dem Appell beendet: „Im übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.“ Fest beendete seine Blogs 2018 so, wie er seine Bewerbungsrede begann: „Im übrigen bin ich der Meinung, dass die EU zerstört werden muss.“

Fest tritt in der Regel mit dem Anspruch der Bürgerlichkeit auf. Umso heftiger war jetzt in Brüssel die Reaktion, weil er mit seiner Verunglimpfung eines gerade Verstorbenen die bürgerliche Konvention mit Füßen getreten hatte, nicht schlecht über Verstorbene zu sprechen. Einen Vorläufer gab es bei eben jenem Nominierungsparteitag 2018 in Magdeburg. „Ich weiß, man macht keine Witze über Kranke“, sagte Fest, der Bürgerliche. Aber Fest, der Provokateur, fügte zugleich hinzu: „Wir haben genug von Trunkenbolden, ob mit Ischias oder ohne.“ Seinerzeit rätselte die Öffentlichkeit über die Ursachen für ein Schwanken von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einem Nato-Gipfel. Offiziell wurde sie mit einer schmerzhaften Ischias-Attacke begründet.

Nach dem Eindruck des FDP-Europaabgeordneten Moritz Körner haben die Fest-Äußerungen die AfD in Brüssel und Straßburg weiter isoliert. Die Partei geriere sich im Europaparlament, „als wäre sie eine außerparlamentarische Opposition“, so Körner. Der Zusammenschluss von Rechtspopulisten aus Italien, Frankreich, Deutschland, Österreich, Dänemark, den Niederlanden, Belgien Tschechien, Estland und Finnland bildet zwar die fünftgrößte von sieben Fraktionen. Aber die AfD gibt nicht den Ton an. Das sind die sehr viel größeren Italiener und Franzosen.

Kurz vor Weihnachten scheiterte zudem der von den aus der EVP verbannten und damit heimatlos gewordenen Fidesz-Abgeordneten aus Ungarn, einen großen nationalen Block zu bilden aus der Fraktion ID (Identität und Demokratie - mit der AfD) und der EKR (Europäische Konservative - um die polnische PiS-Partei). Haben Nationalisten natürlicherweise Probleme beim europäischen Schulterschluss, weil sie im Zweifel immer das eigene Land vor allen anderen sehen, so haben PiS und AfD besondere Aversionen. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski warnte etwa vor der Aussicht, „ein Viertes Deutsches Reich auf der Grundlage der EU aufzubauen“.

Provokation ist also nicht nur bei der AfD im Bundestag Programm. Das beherrschen auch diverse populistische Parteien im Europaparlament. „Die AfD gibt das Bild einer verlorenen Gruppe, die über Einzelinteressen zerfasert“, lautet der Eindruck des CDU-Europaabgeordneten Stefan Berger. Sie habe mit ihrem Parteitagsbeschluss zur Auflösung der EU auch in den Reihen der ID für Verwirrung gesorgt.

Anders als im Bundestag laufen die Debatten in Brüssel und Straßburg schon wegen der äußeren Umstände oft mit weniger Emotionen ab. Man spricht zumeist in der Heimatsprache, weswegen die Übersetzung üblicherweise im Kopfhörer nachverfolgt wird. Zudem hängt die Redezeit von der Anzahl der Redner ab und kann auch schon mal weniger als eine Minute betragen. Aktuell erschwert es die in Pandemiezeiten eingeführte hybride Form, mit scharfen und fragwürdigen Zwischenrufen zu provozieren. Und doch fällt der ID mitunter Bemerkenswertes ein. So etwa, als es jüngst um den sexuellen Missbrauch unter dem Stichwort „Me Too“ ging. Die französische ID-Abgeordnete Annika Bruna legte vor mit der Feststellung, die nationalen Justizsysteme seien viel zu lasch, die Belästigung von Frauen auf der Straße bleibe ungestraft. Und Fest legte nach, indem er den wegen Machtmissbrauchs geschassten Bild-Chefredakteur Julian Reichelt ausgerechnet in der Me-Too-Debatte verteidigte mit den Worten: „Es handelte sich um einvernehmlichen Sex mit erwachsenen Frauen, die davon auch noch profitierten: Sie wurden nämlich befördert.“

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