Die neue EU-Kommission Das Spitzenteam wirkt in Teilen wie gewürfelt

Straßburg · Neun Frauen und 17 Männer sollen an der Seite von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an die administrative Spitze der Europäischen Union rücken. Bei der Vorstellung der designierten Kommissarinnen und Kommissare und ihrer Geschäftsbereiche fiel einer besonders auf.

Mit ihnen will sie Europa regieren: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihre 26 designierten Kommissionsmitglieder bei der Präsentation in Straßburg.

Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

Wenn der junge Krisenmanager Christophe Hansen aus dem kleinen Luxemburg das gigantische Feld der europäischen Agrarpolitik beackern, der österreichische Finanzminister Magnus Brunner die europäische Migration steuern und der zypriotische Kulturexperte Costas Kadis die Fischerei Europas ordnen soll, dann wirkt das bei der Vorstellung der neuen EU-Kommission durch Präsidentin Ursula von der Leyen, als hätte sie im Vorfeld viel gewürfelt. Tatsächlich hat die fachfremde Besetzung vieler Kommissionsposten nach ihren Worten damit zu tun, dass sich allein 20 Mitgliedstaaten für ihren Vertreter jeweils ein starkes Wirtschaftsressort gewünscht hätten - „und das haben wir nun mal nicht“.

Dafür hat sie nun erst einmal eine Debatte an der Hacke über einen der sechs designierten Vizekommissionspräsidenten mit exekutiver Funktion: Raffaele Fitto (55) von der rechtspopulistischen italienischen Fratelli-Regierungspartei soll ressortübergreifend die prall gefüllten EU-Fonds zur Angleichung der Lebensverhältnisse sowie die geplanten EU-Reformen in die Hand nehmen. „Nicht zu begreifen“, meinte Grünen-Europaabgeordneter Rasmus Andresen umgehend zu dieser Personalie. „Kann ein Europafeind EU-Fördermittel verwalten?“, fragte der Haushaltsexperte.

Damit ist zumindest einer bereits eindeutig im Fokus der Parlamentarier, wenn sie jetzt in einem dreistufigen Verfahren die Bewerber auf Herz und Nieren testen. Zunächst studieren sie genau die Vitae der Bewerber, um mögliche unzulässige Abhängigkeiten und finanziell fragwürdige Beziehungen aufzudecken. Es folgt ein genauer Fragenkatalog zur schriftlichen Vorbereitung, dem sich dann wiederum eine minutiöse Anhörung im jeweiligen Fachausschuss anschließt. Gegebenenfalls kommt noch eine zweite Runde dazu.

Freilich hat von der Leyen mit der Berücksichtigung des Kandidaten von Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni selbst ein Sprungbrett für eine schwieriger gewordene Hürde eingebaut: Damit jeder Fachausschuss den jeweiligen Bewerber mit Zweidrittelmehrheit durchwinken kann, sind in vielen Gremien auch Stimmen von EKR-Abgeordneten nötig, denen die Berufung ihres Parteifreundes Fitto ins Führungsteam sicherlich entgegenkommt. Doch noch muss jeder der 26 designierten Kommissionsmitglieder zittern: Seit das Parlament beim Entstehen einer neuen Kommission mit zusätzlicher Macht ausgestattet wurde, hat es jedes Mal mehrere Bewerber über die Klinge springen und Nachnominierungen bewirken können.

So ist denn auch schon die Bestellung von Olivér Várhelyi als neuer Gesundheitskommissar unter besondere Beobachtung gekommen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Anhörung im Ausschuss für Umwelt und Gesundheit überstehen wird“, merkte CDU-Gesundheitsexperte Peter Liese an. Várhelyi habe nicht nur den Makel, von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán vorgeschlagen zu sein, er habe sich als strittiger Kommissar für Erweiterung auch sehr viele Fehler geleistet. Zudem soll er EU-Abgeordnete bei eingeschaltetem Mikrofon als „Idioten“ beleidigt haben.

Als inhaltliche Richtschnur für die Bildung und Besetzung der einzelnen Ressorts nannte von der Leyen die im Juli kurz vor ihrer Wahl vorgelegten politischen Leitlinien. Die Sicherung von Wohlstand und Demokratie gehörten damit zu den Kernprioritäten der Kommission, die sich vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfähigkeit, der Dekarbonisierung und der Digitalisierung aufstelle. Jeder EU-Staat durfte, sollte und musste mindestens einen Kandidaten benennen. Von der Leyens Bitte, jeweils eine Mann und eine Frau vorzuschlagen, kamen die wenigsten nach, sodass sie am Anfang eine Besetzung mit 22 Prozent Frauen und 78 Prozent Männern vorgefunden habe. Durch intensive Nachverhandlungen habe sie dieses Verhältnis auf 40:60 verbessern können. Bei der allein von ihr vorzunehmenden Auswahl eines sechsköpfigen Führungsteams aus exekutiven Vizepräsidenten kehrte sie die Geschlechterverteilung auf 60:40 um: Hier sind vier Frauen und zwei Männer herausgehoben, mit ihr selbst sogar fünf Frauen.

In ersten Reaktionen vermisste René Repasi, Chef der Europa-SPD, mehr Fingerspitzengefühl. Indem sie seine zweitstärkste Kraft im Parlament in der Kommission mit nur vier von 27 Posten betraue, „stößt sie die progressive Parteienfamilie vor den Kopf“, kritisierte Repasi - darüber hinwegsehend, dass die parteipolitische Auswahl nicht von der Leyen, sondern die Staats- und Regierungschefs getroffen hatten. Dagegen zeigte sich Daniel Caspary, Chef der Unionsabgeordneten in Straßburg, sehr zufrieden mit dem Thema Wettbewerbsfähigkeit als Querschnittsaufgabe. Und natürlich mit der Benennung von Kommissaren aus den Reihen der EVP. Technologische Souveränität, Bürokratieabbau, Haushalt, Klimaschutz, Landwirtschaft, Migration, Verteidigung, Forschung und Finanzen würden von EVP-Kommissaren besetzt. Das sei „der richtige Weg für Europa“, meinte der Christdemokrat.