EU-Türkei-Beziehungen "Nazi-Vergleich" erzürnt türkischen Europaminister

Istanbul · Angesichts der Repressionsmaßnahmen gegen Opposition und Medien in der Türkei verschärft sich der Ton zwischen Europa und Ankara.

"Wachen für die Demokratie" - Erdogan-Anhänger gehen auf die Straßen
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Foto: afp, OZN

Der türkische Europaminister Ömer Celik warf dem luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn am Montag "mangelnde historische Kenntnis" vor, weil dieser den türkischen Behörden Methoden zur Last legte, "die während der Naziherrschaft benutzt wurden". Die Bundesregierung wandte sich gegen eine "Sanktionsdebatte" zum jetzigen Zeitpunkt.

Nach der Festnahme von rund 35.000 türkischen Bürgern beklagte Asselborn im Deutschlandfunk, die Namen der Verhafteten würden im Amtsblatt veröffentlicht, sie hätten dann keine Chance mehr auf einen neuen Job, Diplome und Pässe würden zerstört.

"Die Menschen haben kein Einkommen mehr für ihre Familie, sie verlieren ihre Wohnung, sie leiden Hunger", kritisierte Asselborn. Das seien "Methoden, das muss man unverblümt sagen, die während der Naziherrschaft benutzt wurden." Die EU dürfe die "schlimme" Entwicklung in der Türkei "nicht einfach hinnehmen".

Celik sagte, er habe bei einem Treffen mit Vertretern der EU-Staaten in Ankara die "Beunruhigung" der türkischen Regierung über die von der EU vertretenen Standpunkte zum Ausdruck gebracht. Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU seien an einem "sehr zerbrechlichen" Punkt angekommen.

Forderungen aus der EU, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, wies Celik als "rassistisch" zurück. Es sei "nicht akzeptabel", dass "einige unserer Freunde in Europa in einem Satz sagen, dass sie an unserer Seite stehen, und dann neun kritische Sätze folgen".

Die Türkei und die EU hatten 2005 Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen nach dem gescheiterten Militärputsch Mitte Juli werden aber zunehmend Rufe laut, diese Verhandlungen abzubrechen.

"Ein Land, das versucht, Journalisten und Oppositionsführer einzusperren, hat in der Europäischen Union keinen Platz, sagte Österreichs Außenminister Sebastian Kurz. Für ihn sei "die rote Linie längst überschritten". "Wenn man sich auf diese Türkei verlässt, ist man verlassen", sagte Kurz.

Die "europäische Solidarität" liege "bei denen, die für einen pluralistischen und demokratischen Staat Türkei eintreten", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Zugleich stellte er klar, dass die Bundesregierung sich "jetzt nicht an einer Sanktionsdebatte beteiligt". Asselborn forderte hingegen, Wirtschaftssanktionen als "Druckmittel einzusetzen".

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte, die jüngsten Entwicklungen in der Türkei seien "zutiefst schockierend". Die türkische Regierung verlasse "den Boden des Rechtsstaats".

Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurden in den vergangenen Wochen mehr als 40.000 neue Klagen aus der Türkei eingereicht. Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei und der Verhängung des Ausnahmezustandes sei ein "unerwarteter und beispielloser" Eingang solcher Eingaben festzustellen, sagte ein Sprecher des Straßburger Gerichts der Nachrichtenagentur AFP.

Vor dem Eintreffen der 40.000 neuen Eingaben gab es demnach bereits 7750 Klagen, die sich auf die Türkei bezogen. Insgesamt liegen dem Gerichtshof 74.000 Dossiers vor.

Der Generalsekretär des Europarats, Thorbjörn Jagland, zeigte sich beunruhigt über die Vielzahl der neu eingehenden Klagen. Er appellierte an die türkischen Behörden, die europäische Menschenrechtskonvention zu achten. Wenn dies nicht geschehe, werde die Anzahl der anhängigen Verfahren vor dem Menschenrechtsgerichtshof weiter drastisch zunehmen.

Seit dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli haben die türkischen Behörden Repressionsmaßnahmen gegen weite Teile der Gesellschaft ergriffen, darunter das Bildungswesen, die Medien, die Streitkräfte und die Justiz. Rund 35.000 Menschen wurden festgenommen, zehntausende weitere wurden aus dem Staatsdienst entlassen.

(heif/AFP)
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