Nato-Russland-Rat zur Ukraine-Krise Positives Signal mit negativem Potenzial

Brüssel · Der erste Nato-Russland-Rat endet mit der Hoffnung der Allianz auf weitere Gespräche mit Moskau. Doch Russland sieht sich (noch) nicht in der Lage, dazu Ja oder Nein zu sagen. Denn auch die Nato will keine Kompromisse bei der Politik der offenen Tür gegenüber einem Beitritt der Ukraine.

 Seit 2019 verwaist, nun erstmals wieder besetzt: Russlands Platz bei der Nato. Generalsekretär Jens Stoltenberg (Mitte) und Russlands Vize-Außenminister Alexander Gruschko (rechts) am Mittwoch in Brüssel.

Seit 2019 verwaist, nun erstmals wieder besetzt: Russlands Platz bei der Nato. Generalsekretär Jens Stoltenberg (Mitte) und Russlands Vize-Außenminister Alexander Gruschko (rechts) am Mittwoch in Brüssel.

Foto: dpa/Olivier Hoslet

Ob das Glas nun halb voll oder halb leer ist, mag mitunter von optimistischen oder pessimistischen Grundeinstellungen abhängen. Das Glas mit dem Stoff zur Verhinderung eines neuen bewaffneten Konfliktes in Europa war vor dem Treffen des Nato-Russland-Rates jedenfalls leer. Und es ist es auch danach. Wenigstens schafften es, um im Bild zu bleiben, die Vertreter der 30 Nato-Staaten und Russlands, über ein paar Flaschen zu sprechen, die man künftig neben das Glas stellen könnte. Deshalb sprach Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach dem vierstündigen Treffen in Brüssel auch nicht von einer positiven Entwicklung, sondern nur von einem positiven Signal. Er bezog das jedoch nur auf den Umstand, dass das Treffen nach fast zweieinhalbjähriger Gesprächslosigkeit überhaupt stattfinden konnte. Ansonsten sei die Diskussion „nicht leicht“ gewesen: „Es gab signifikante Differenzen.“

Messbare Erfolge aus russischer Sicht wäre eine Erklärung der Nato zum Verzicht auf neue Mitglieder und zum Abzug von Truppen aus den östlichen Teilen ihrer Mitgliedsländer gewesen. Messbare Erfolge aus Nato-Sicht wäre die Ankündigung Russlands gewesen, die schwerbewaffneten Truppen von der ukrainischen Grenze zurück in die Kasernen zu holen. Aber mit einem derart durchschlagenden Erfolg in die eine oder andere Richtung hatte ernsthaft niemand gerechnet.

Die russische Drohkulisse an der ukrainischen Grenze bleibt. Und die Kernprinzipien der Nato wurden von dieser in den Gesprächen mehrfach bekräftigt: Auf der einen Seite die Beistandspflicht aller Nato-Staaten für jeden einzelnen von ihnen (was Truppenstationierungen einschließt). Auf der anderen Seite das souveräne Recht jeder Nation, selbst über seine Sicherheitsvereinbarungen zu befinden. „Über eine Nato-Mitgliedschaft entscheiden nur die Ukraine und die 30 Nato-Mitglieder, und niemand sonst“, unterstrich Stoltenberg. Und noch deutlicher: „Russland hat dabei kein Vetorecht.“ Süffisant merkte Stoltenberg an, dass das sogar von Finnland unterstrichen worden sei, also jenem Russland-Nachbarn, der bislang keine Beitritts-Ambitionen pflegte. Dem aber Russlands Gebaren zu denken gibt.

Wie schwierig eine Wiederannäherung zwischen Ost und West ist, machen auch die Zweifel und Vorbehalte zwischen den Zeilen deutlich: Zwar unterstrichen beide Seiten, dass es grundsätzlich gut zu bewerten wäre, wenn man sich zu weiteren Treffen verabreden würde. Aber eine russische Zusage, gar eine Verständigung auf einen Zeitplan dafür gab es nicht. Eine grundsätzliche Bereitschaft gab es auch in der Frage, die Nato-Vertretung in Moskau und die Russland-Mission bei der Nato wieder zu eröffnen. Das mache die Vorbereitung von hochrangigen Gesprächen leichter, meinte der Nato-Generalsekretär. Der gegenseitige Präsenz-Verzicht war im vergangenen Jahr eskaliert, nachdem die Nato russische Diplomaten im Zusammenhang mit Spionage-Vorwürfen für unerwünscht in Brüssel erklärt hatte.

Das erste Treffen des Nato-Russland-Rates seit Sommer 2019 hatte erkennbar mit Problemen bei dem Versuch zu kämpfen, eine gemeinsame Gesprächsbasis zu finden. Russische Beobachter fragten, ob es hilfreich für eine Deeskalation sei, wenn Nato-Mitglieder in der Ukraine Manöver abhielten und Kiew mit Waffen belieferten. Stoltenberg machte dazu klar, dass „Russland der Aggressor“ sei, die Ukraine im Gegenzug niemanden bedrohe.

Wenigstens tat sich am Horizont eine Ahnung davon auf, in welche Richtung der Konflikt Millimeter für Millimeter abgewickelt werden könnte, wenn denn beide Seiten weiterhin guten Willens bleiben. Stoltenberg erklärte die Bereitschaft der Nato zu Gesprächen mit Russland, die zu Verhandlungen über einen „großen Rahmen“ beiderseits interessierender Fragen führen könnten - einschließlich der Stationierung von Raketen in Europa. Allerdings habe Russland den INF-Vertrag mit der Stationierung nicht zugelassener Raketen gebrochen. Deshalb könne es eine neue Verständigung nur geben, wenn es eine kontrollierbare und ausbalancierte Lösung gebe. Und US-Vize-Außenministerin Wendy Sherman relativierte, dass die derzeitige Eskalation „keine optimalen Bedingungen für die Diplomatie“ bereite.

„Nützlich“ sei das Treffen gewesen, meinte Stoltenberg. Aber hat es die Gefahr eines gewaltsamen Konfliktes in Europa auch verringert? Darüber wollte der Nato-Generalsekretär nicht spekulieren. Die Gefahr sei weiterhin real. Damit steckt hinter dem positiven Signal auch ein negatives Potenzial. Aber gerade wenn die Spannungen groß seien, sei es um so wichtiger, sich zu treffen, meinte Stoltenberg.

Bereits am Montag hatten sich in Genf Sherman und ihr russischer Amtskollege Sergej Ryabkow im Rahmen des amerikanisch-russischen strategischen Stabilitäts-Dialogs ausgetauscht. Sherman war anschließend nach Brüssel geflogen, um die Nato-Partner umfassend zu informieren und mit ihnen den Nato-Russland-Rat vorzubereiten. Am Mittwoch Abend berieten die Nato-Verteidigungsminister bei einem informellen Treffen in Brest. An diesem Donnerstag geht es mit Gesprächen im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Wien weiter.

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