Euro-Retter geben Hilfen frei Milliarden für ein bisschen Zeit

Brüssel · Die Euro-Retter geben frische Milliarden für Griechenland frei. Doch in trockenen Tüchern ist damit noch nichts. Athen muss extrem harte Auflagen erfüllen und wird dabei zukünftig engmaschig kontrolliert. Das Rettungspaket verschafft Griechenland lediglich die Zeit für einen neuen Anlauf. Experten bleiben skeptisch.

Euro-Retter geben Hilfen frei: Milliarden für ein bisschen Zeit
Foto: afp, GEORGES GOBET

Die Sitzung in Brüssel war selbst für die inzwischen so krisenerprobten europäischen Finanzminister eine Extrem-Erfahrung. Fast 14 Stunden tagten die Fachleute, parallel liefen Verhandlungen mit den privaten Kreditgebern. "In den vergangenen zwei Jahren und in dieser Nacht habe ich gelernt, dass Marathon wirklich ein griechisches Wort ist", sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn am Dienstag in Brüssel.

Fast die ganze Nacht hindurch berieten die Minister, um das zweite Milliarden-Hilfspaket für Griechenland innerhalb von zwei Jahren und den ersten Schuldenschnitt für ein Euro-Land überhaupt zu beschließen. Eine denkwürdige Sitzung - deren Wert sich aber erst noch zeigen muss.

Papademos rang mit Ackermann

In seinen Grundzügen steht der nun beschlossene Rettungsplan seit Monaten fest. Die Euro-Länder geben Griechenland noch einmal Kredit, wenn die Banken auf einen Großteil ihrer Forderungen verzichten. Das Ziel: Den griechischen Schuldenberg bis zum Jahr 2020 so weit abzutragen, dass die Griechen und die Zukunft des Landes nicht mehr aussichtslos davon erdrückt werden. Um dies im Detail zu erreichen, wurde in der nächtlichen Marathonsitzung aber bis zuletzt an allen Stellschrauben gedreht.

Die größte Arbeit machten dabei die privaten Gläubiger. Über Stunden rangen Griechenlands Finanzminister Evangelos Venizelos und Regierungschef Lucas Papademos mit ihnen um jede Milliarde. Mehrmals verließen sie die Runde mit dem Vertreter des Internationalen Bankenverbandes IIF, Charles Dallara, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sowie Jean Lemierre von der französischen Großbank BNP Paribas, um den Finanzministern über die Fortschritte zu berichten.

"Anfällig und verwundbar"

Währenddessen schliefen Journalisten schnarchend im Pressezentrum ein. Die Finanzminister bekamen "schlabbrige Weißbrote" serviert und Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker ignorierte das Rauchverbot im EU-Ratsgebäude, wie Diplomaten berichteten. Um kurz vor 04.00 Uhr sickerte schließlich durch: Es gibt einen Deal! Die Privatgläubiger sollen Athen mehr als die Hälfte seiner Schulden erlassen und somit auf 107 Milliarden Euro verzichten, die Euro-Länder stellen im Gegenzug weitere 130 Milliarden Euro bereit.

"Das Paket wird Griechenland die benötigte Zeit geben, um Strukturreformen vorzunehmen und den Weg des nachhaltigen Wachstums zu beschreiten", sagte am Morgen Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. "Wir sind sehr zufrieden", freute sich Papademos.

Doch Beobachter sehen das Erreichte kritisch. "Das Griechenland-Programm bleibt anfällig und verwundbar", warnt der Wirtschaftsexperte Sony Kapoor vom Brüsseler Re-Define Institut. "Sogar mit dieser Einigung liegen die meisten Probleme Griechenlands vor, nicht hinter dem Land."

Eine Wackelpartie

Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, malt ein düsteres Szenario an die Wand: "In der zweiten Jahreshälfte ist die Wahrscheinlichkeit beträchtlich, dass eine frustrierte Staatengemeinschaft Griechenland den Geldhahn zudreht." Ohne tiefgreifende Reformen werde Athen seine Schulden nicht tragen können.

Seinen Berechnungen zufolge ist die angestrebte Reduzierung des Schuldenstands auf 120,5 Prozent der Wirtschaftsleistung bis 2020 auf Kante genäht. Schon kleine Veränderungen der zugrundeliegenden Faktoren können demnach fatale Auswirkungen haben.: "Fällt der Haushaltsüberschuss 0,5 Prozentpunkte niedriger aus, beträgt der Schuldenstand 2020 nicht 120,5 Prozent, sondern 125 Prozent. Wächst die Wirtschaft pro Jahr um 0,5 Prozentpunkte weniger als unterstellt, landet man bei 127 Prozent."

Die Komplikationen fangen erst an

Angefangen mit dem Schuldenschnitt: Für den komplizierten Anleihenumtausch bleibt nur Zeit bis Mitte März, sonst steht Griechenland vor der Pleite. Es wird sich aber erst an der Beteiligung der Gläubiger zeigen, ob der Rettungsplan aufgeht. Zudem hat die Eurogruppe Athen Reformen etwa von Arbeitsmarkt, Rentensystem und Gesundheitssektor aufgetragen. Wenn diese nicht bereits bis Monatsende in Gesetzesform gegossen sind, soll das Land keinen Cent aus dem neuen Hilfspaket sehen.

Zuletzt reagierten die Euro-Länder zunehmend genervt und gereizt auf Griechenland. Die Regierung in Athen verfehlte regelmäßig vereinbarte Spar- und Reformziele. Immer offener wurde deshalb mit dem Gedanken gespielt - oder gedroht - Griechenland den Geldhahn zuzudrehen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte: "Wir können helfen, aber wir können nicht in ein Fass ohne Boden schütten."

Im April stehen auch noch Wahlen an

In Griechenland löste Schäuble damit Empörung aus. Die Griechen fühlen sich offenbar immer stärker gegängelt. Und jetzt erzwingt die Eurozone auch noch eine strikte Überwachung der Sparpolitik und die Einrichtung eines Sperrkontos zur Schuldentilgung. Eine Quittung droht bei der Parlamentswahl im April, wenn die Griechen den jetzigen Koalitionsparteien einen Denkzettel verpassen könnten - und die Eurozone dann möglicherweise neue Regierungsparteien zu Sparverpflichtungen drängen muss.

Doch es muss sich auch zeigen, ob die dem Rettungsplan zugrunde liegenden Daten und Ziele langfristig überhaupt Sinn ergeben. Schäuble selbst räumte am Dienstagmorgen ein: "Die Annahmen, auf denen das beruht, darüber kann man trefflich diskutieren." Weitere Marathon-Sitzungen sind wahrscheinlich.

Längst gehen Insider davon aus, dass es bei den Hilfen für Griechenland im letzter Instanz nur um eine Überbrückungshilfe geht. Die Beteuerungen, das Land in der Eurozone zu halten, könnten nur so lange Bestand haben, bis im Herbst die größten Sorgenkinder Italien und Spanien über den Berg sind. Dann könnte ein anderes Szenario greifen: die Rückkehr zur Drachme. Wie das Handelsblatt schreibt haben sich die relevanten Banken und Broker schon längst darauf eingestellt.

(AFP/dpa)
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