Europa-Sternfahrt Matthias Beermanns Weg nach Straßburg (2)

(RP). Was bedeutet Europa den Europäern? Welche Sorgen, welche Hoffnungen haben sie? Drei Autoren unserer Redaktion haben den Kontinent erkundet - von den Außengrenzen bis zum Europa-Parlament in Straßburg. Matthias Beermann ist von Lissabon nach Straßburg aufgebrochen.

Matthias Beermanns Weg nach Straßburg
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Portugiesisch-spanische Grenze. Nach ein paar Kilometern Fahrt in Richtung Osten fängt man altes Navi an, verückt zu spielen. Die Software ist nie aktualisiert worden. Damit wird der elektronische Pfadfinder zu meinem EU-Warner: Immer, wenn die Route verloren geht und der Cursor auf dem Bildschirm panisch blinkt, ist klar, dass hier erst vor kurzem europäische Subventionen verbetoniert worden sind. Und wirklich: Nur 50 Meter parallel zur funklenagelneuen Schnellstraße verläuft die alte Nationalstraße, auf der jetzt höchsten noch ein alter Traktor entlangkeucht. An einer Tankstelle erzählen sie mir begeistert, dass man jetzt nach Madrid fast eine Stunde Fahrtzeit spart. "Früher waren wir hier doch am Ende der Welt!"

Die Gegend ist karg, Weideland, fast menschenleer. Hier sind viele nur auf der Durchreise. So wie John Miranda (42). Sein singendes Spanisch verät ihn: Er kommt aus Puerto Rico, erzählt er. Und dass er auch mal ein Jahr als Stipendiat am Heidelberger Klinikum war. Auf seiner Weste prangen zwei Sticker aus dieser Zeit: Einer schwarz-rot-gold, einer mit dem Heidelberger Stadtwappen. Jetzt ist John mit seiner 80jährigen Mutter auf Pilgerfahrt nach Fatima, Portugals Zentrum der Marienverehrung. Die alte Dame wollte vor ihrem Tod noch einmal nach Europa. "Ich bewundere das, was hier geleistet wurde", sagt John, der in seiner Heimat als Arzt arbeitet. "Von Europa können wir lernen, dass man mit harter Arbeit alles erreichen kann".

Mit harter Arbeit hat es auch José Manuel Sánchez García-Torres y Dña zu etwas gebracht. So lange wie sein Name reicht auch die Tradition des Familienbetriebs zurück, den der knorrige 65-Jährige leitet. Bei den García-Torres züchtet man seit Generationen Kampfstiere. Ein paar Kilometer vor Salamanca liegt eine ihrer drei Fincas, wo sich 500 Tiere auf 250 Hektar breit machen können. "Mit einem EU-Normstall hat das nichts zu tun", spottet der alte Herr. In seinem verbeulten Geländewagen nimmer er mich mit über sein Land. "Schauen Sie nur, wie lebhaft die Tiere sind, wie sie ihre Ohren wachsam bewegen, wie sie uns beobachten!" Dann gerät er ins Schwärmen über die Qualitäten der Rinderrasse, die sie hier schon immer züchten: Kompakt, beweglich, robust. Wie gemacht für den Kampf Mann gegen Bulle.

Das ganze Jahr sind die Herden hier draußen, unter glühender Sommerhitze genauso wie der in dieser Region manchmal bitterkalten Winter. Und die Menschen mit ihnen. "Wir müssen eigentlich nicht viel tun, aber immer nach ihnen schauen", sagt der Züchter. Im Herbst ist dann der große Round-up, werden die Tiere zusammengetrieben, geimpft, mit Brandzeichen gekennzeichnet. Nur die besten werden ausgewählt. Nach vier, fünf Jahren ist so ein Kampfstier bereit für die Arena.

So machen sie das immer schon, auch wenn die Bürokraten in Brüssel sich natürlich auch in diese geheiligte spanische Tradition eingemischt haben. "Für uns gelten dieselben Vorschriften wie für einen holländischen Milchbauern", schnaubt García-Torres, "aber ein Kampfstier ist doch keine Milchkuh!" Dem stolzen Züchter ergeht es wie jedem Landwirt in Europa: Formulare, Richtlinien, Bürokratie. Dass so mancher nordeuropäische EU-Parlamentarier die spanische Corrida am liebsten verbieten würde, entlockt ihm dagegen nur ein mürrisches Achselzucken. "Das ist doch scheinheilig. Die Zuschauerränge der Arenen in ganz Spanien sind voll mit Touristen aus ganz Europa!" Er schaut hinaus auf die Weide. "Glauben Sie mir, die Tiere leben vier Jahre wie im Paradies — für zehn Minuten Kampf."

Die Fahrt geht weiter nach Salamanca, der alten Universitätsstadt. Dort haben sie andere Sorgen. Rund um die Stadt bietet sich dasselbe Bild wie fast überall in Spanien: Brandneue Neubaugebiete, halbfertige Appartmentsiedlungen, an den schon bezugsfertigen Wohnblöcken hängen Schilder "zu verkaufen". Spanien ist in eine katastrophale Immobilienkrise gerutscht, hunderttausende Jobs im noch vor kurzem bommenden Bausektor stehen auf der Kippe. "Das ist schon beängstigend", sagt die städtische Angestellte Alicia San Roman Martin (31). Die Krise beherrscht den Europa-Wahlkampf, aber die Themen sind alle sehr spanisch. Trotzdem: In der Stadt kleben Wahlplakate, auf denen steht: "Diese Partie entscheidet sich in Europa!"

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