Europa-Sternfahrt Matthias Beermanns Weg nach Straßburg (1)

(RP). Was bedeutet Europa den Europäern? Welche Sorgen, welche Hoffnungen haben sie? Drei Autoren unserer Redaktion haben den Kontinent erkundet - von den Außengrenzen bis zum Europa-Parlament in Straßburg. Matthias Beermann ist von Lissabon nach Straßburg aufgebrochen.

Matthias Beermanns Weg nach Straßburg
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Es ist ein guter Startpunkt für eine Reise, die mich immer nur nach Osten führen wird. Mit herrischem Blick späht Heinrich der Seefahrer aufs Wasser hinaus, nach Westen. Unter ihm schiebt sich der wuchtige Rumpf einer in Stein gehauenen Karavelle in den Tejo. 54 Meter hoch stemmt sich das Denkmal in den Himmel von Lissabon. Von hier aus brachen einst die portugiesischen Eroberer auf, um ein Weltreich zusammen zu raffen. Das protzige Monument wurde Anfang der 60er Jahre ans Flussufer geklotzt, als das Land noch unter der Knute von Diktator Salazar stand.

Als ersten Portugiesen treffe ich allerdings einen jungen Mann, der das alles nur aus den Erzählungen seiner Eltern kennt. Bruno Costa ist 28, blättert am Bartresen in seiner Sportzeitung und verkündet zwischen zwei strammen Tassen Espresso sein Credo: "Ich glaube nicht an Politik, ich glaube an Arbeit!" Europa? Für den jungdynamischen Versicherungsvertreter vor allem ein Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten. "Ich habe mich um einen Job in Irland beworben", verrät er, "meine Freundin will auch mitkommen." Portugal ist ihnen zu verschnarcht.

João Conceição (63) hat den umgekehrten Weg hinter sich. In den 70er Jahren kehrte seine Familie aus der portugiesischen Kolonie Angola in die Heimat zurück. Heute besitzt er eine kleine Firma in Castelo Branco, einem 30.000-Einwohner-Städtchen in Zentralportugal. 65 Mitarbeiter fräsen bei "Dinefer" Stecker, löten Kabel und montieren Test-Anlagen für die Automobilindustrie. Conceição ist stolz auf seinen Betrieb, die blitzsaubere Werkhalle, die Computer-Steuerung in der Fertigung, die sein Sohn João Pedro (34) selbst entwickelt hat. Der junge Mann soll die Firma bald übernehmen und weiterführen. Aber die beiden machen sich Sorgen. "Werden wir uns in Europa gegen die Billig-Hersteller aus Asien behaupten können?", fragt sich der Firmen-Patriarch, "ehrlich gesagt, ich weiß es nicht".

Es ist noch gar nicht so lange her, da war Portugal selbst ein Billiglohn-Land. Die Armut trieb viele Portugiesen als Gastarbeiter ins Ausland. Jetzt kommen Rumänen oder Ukrainer ins Land, um die Jobs zu übernehmen, die kein Portugiese mehr machen will. Aber in der Krise haben viele Portugiesen plötzlich Angst davor, dass ihnen diese Menschen ihre Arbeit wegnehmen könnten. "Auch das ist eben Europa, die Konkurrenz", sagt der Juniorchef. Aber die Leute hier draußen sind nicht so leicht klein zu kochen. Und sie wissen, was sie an Europa haben. "Ich gehe wählen", beteuert die Angestellte Paola Costa (36) — auch wenn sie sich schlecht informiert fühlt. "Ich kenne ja kaum die Kandidaten." Am Ortsausgang klebt nur ein verirrtes Wahlplakat, sehr seriös, ein brav gescheitelter Herr in Schlips und Kragen. In Portugal tragen auch die Sozialisten Nadelstreifen.

Über die Autobahn, die mit EU-Geld erst vor ein paar Jahren durch die Landschaft asphaltiert wurde, geht es weiter Richtung Spanien. Der stillgelegte Grenzübergang ist von erlesener Scheußlichkeit. Über acht Zollhäuschen wölbt sich eine rostnarbiges Blechdach, dahinter liegt eine Tankstelle und ein Supermercado mit dem Namen "Eurocentro". Verblichene Schilder mit der Aufschrift "Cambio" locken zu Wechselstuben, wo schon lange keine Peseta und Escudo mehr über den Tresen gegangen sind. Wie es ganz früher einmal war, daran erinnert aber auch das düstere Wachrevier aus der Franco-Zeit. Auch Spanien hatte seinen Diktator.

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