Differenzen zwischen EU und Türkei Schulz bei Erdogan — der Gesprächskanal ist wieder offen

Ankara · Das Verhältnis zwischen der Türkei und der EU ist spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch unterkühlt. Daran änderte auch ein Treffen zwischen EU-Parlamentschef Schulz und dem türkischen Präsidenten Erdogan kaum etwas. Aber man spricht miteinander.

 Das offizielle Foto von Martin Schulz und Recep Tayyip Erdogan nach dem Besuch in der Türkei.

Das offizielle Foto von Martin Schulz und Recep Tayyip Erdogan nach dem Besuch in der Türkei.

Foto: dpa, sdt lb

Mehr Prunk geht kaum: Die Fußböden sind aus edlem Holz und grünem Marmor, darauf liegen dicke Teppiche, an den Wänden hängen goldene Rahmen, die Ausmaße der Räume sind riesig. Der langgestreckte Präsidentenpalast in Ankara soll mächtig Eindruck schinden und tut das auch. So etwas hat Brüssel nicht zu bieten.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) ist bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, als er am frühen Abend in den Fahrstuhl steigt. Bei dem Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan geht es um viel Symbolik, auch um Körperhaltung, Gestik, Mimik. Der Hausherr empfängt Schulz im Obergeschoss des gigantischen Gebäudekomplexes. Man will sich endlich wieder persönlich verständigen.

Dabei standen die Inhalte des Gesprächs lange vorher fest, sind bestimmt von den außenpolitischen Krisen dieser Zeit — und beeinträchtigt vom bisherigen Verhalten beider Männer.

Es knirscht bei vielen Punkten

Die Türkei drängt auf eine Visaliberalisierung, damit ihre Bürger frei in die EU einreisen können. Im Gegenzug soll sie 72 von der EU auferlegte Kriterien erfüllen, bisher hakte sie aber nur 66 davon ab. Beim Rest knirscht es, im Streit um das viel gescholtene Anti-Terror-Gesetz gibt es gar keine Bewegung.

Und darüber schwebt der fragile Flüchtlingsdeal, von dem vor allem die EU profitiert, weil die Türken tausende Flüchtlinge an der Grenze zurückhalten. In diesem Gewirr will Schulz die Wogen glätten, die sich seit dem gescheiterten Staatsstreich zwischen Ankara und der EU aufschaukelten.

"Wir standen Erdogan früher nahe, wir haben uns voneinander entfernt, aber es spricht nichts dagegen, dass wir die Zukunft unserer Beziehungen erneut mit Erdogan gestalten können", sagte Schulz im Vorfeld des Treffens. Man brauche einander, so der Parlamentschef.

Solidaritätsbesuche blieben bislang aus

Rückblende: Nachdem am 15. Juli Angehörige des türkischen Militärs einen blutigen Putsch mit mehr als 200 Toten gegen Erdogan wagten und schließlich an tausenden Menschen auf den Straßen in Ankara und Istanbul scheiterten, erhielt der türkische Präsident an den Folgetagen Solidaritätsbekundungen aus ganz Europa. Was aber bis Donnerstag ausblieb, waren Solidaritätsbesuche.

Schulz ist der erste hochrangige Politiker aus der EU, der sich in Ankara blicken lässt. Das hat einen Grund: In Brüssel, Berlin und anderswo staunten Spitzenpolitiker über das Tempo, mit dem die türkische Regierung tausende Menschen binnen weniger Stunden nach dem Putschversuch festnehmen ließ, darunter Politiker, Anwälte, Journalisten, Richter, Soldaten.

Es war Schulz selbst, der dafür drastische Worte fand: Er habe den Eindruck, dass die "dilettantisch vorbereitete" Machtübernahme "sehr professionell beantwortet wird", sagte er mit reichlich Sarkasmus. "In wenigen Stunden 13.000 Leute zu identifizieren, die man dann vom Dienst suspendiert oder verhaftet — das ist schon eine Leistung", sagte Schulz. Erdogan reagierte ungehalten, zeigte sich tief enttäuscht — und brachte sowohl die Todesstrafe wieder ins Gespräch wie auch ein Platzen des Flüchtlingsdeals.

Schulz zeigt sich besonnener

Beim Besuch in Ankara ist der Schulz-Sound nun völlig anders. "Vielleicht haben wir Europäer die Emotionen, die mit dem Putschversuch verbunden waren, unterschätzt", sagt er in Ankara. Auch der Präsidentenpalast wurde unter Beschuss genommen, Einschusslöcher in mehreren Fenstern zeugen von den Vorgängen aus der Julinacht. Und Schulz äußert sich nun selbst zu den Festnahmen besonnener.

Die Maßnahmen nach dem Putschversuch hätten für "Fragezeichen" gesorgt, sagte er in Ankara gleich mehrfach. Seine Kernbotschaft soll beschwichtigen: Es sei ein "Ruhmesblatt in der Geschichte des Landes" gewesen, wie sich das türkische Volk mutig den bewaffneten Putschisten entgegenstellten, sagte Schulz. Er übermittelte die volle Solidarität der Europäischen Union mit dem türkischen Volk — den Staatspräsidenten erwähnt er in diesem Satz jedoch nicht.

Denn natürlich bleiben die Differenzen mit Erdogan. Dennoch wurde Schulz in Ankara klar, dass sich die Türkei angesichts ihres Kampfes gegen die PKK, zahlreicher Terroranschläge und ihrer Militäroffensive in Syrien keinen Millimeter beim Anti-Terror-Gesetz bewegen würden. Und so wird es weder eine Visafreiheit für Türken in naher Zukunft geben, noch einen vollständig erfüllten Kriterienkatalog der EU. Immerhin: Das Treffen von Schulz und Erdogan dauerte bis in die späten Abendstunden, der Gesprächskanal ist nun wieder offen.

(jd)
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