EU-Finanzpolitik Draghi, Tsipras und die Ohnmacht Deutschlands

Berlin · EZB-Anleihekauf, Griechenland-Wahl, lockerer Stabilitätskurs - nichts läuft im deutschen Sinne.

Mario Draghi, Alexis Tsipras und die Ohnmacht Deutschlands
Foto: dpa, dan cul vfd

In seinen wenigen freien Minuten sucht Wolfgang Schäuble Entspannung mit einem Kriminalroman. "Faceless: Der Tod hat kein Gesicht" von US-Autor Terry Hayes heißt der 2014 erschienene 800-Seiten-Wälzer, den sich der Bundesfinanzminister gerade vorgenommen hat. "Ein Thriller der Extraklasse" heißt es in einer Buchrezension.

Spannung der Extraklasse, selbst für einen Routinier wie Schäuble, verspricht auch die europäische Politik in diesen Tagen. Heute will die Europäische Zentralbank (EZB) den Grundstein für ein riesiges umstrittenes Programm zum Ankauf europäischer Staatsanleihen legen - und am Sonntag wählt Griechenland ein neues Parlament. Aus dieser Wahl dürfte das Linksbündnis Syriza mit ihrer Leitfigur Alexis Tsipras als Sieger hervorgehen. Beide Ereignisse - das EZB-Programm und der absehbare Regierungswechsel in Athen - sind nicht im deutschen Interesse, müssen von der Bundesregierung aber hingenommen werden.

Zusammen mit dem allzu milden Umgang der neuen EU-Kommis-sion mit Defizitsündern wie Frankreich ergibt sich ein für die Bundesregierung unangenehmes Bild: Die Mächtigen in Berlin müssen ohnmächtig dabei zusehen, wie der vor allem von ihnen in den vergangenen Jahren mühsam erkämpfte Euro-Stabilitätskurs erodiert. Nicht nur europakritische Kräfte wie die Alternative für Deutschland (AfD) könnten öffentlich fragen, wie weit eigentlich Macht und Einfluss Deutschlands in Europa noch reichen. Schäuble für seinen Teil wird angesichts der Fülle unerwünschter Entwicklungen große Probleme haben, im Frühjahr eine Mehrheit im Bundestag für ein weiteres Hilfsprogramm für Griechenland zu organisieren, das schon jetzt absehbar ist.

Berlin hat keinen Hehl daraus gemacht, dass es anders als EZB-Präsident Mario Draghi kein akutes Deflationsrisiko im Euro-Raum sieht. Doch Draghi hält den Preisverfall in Europa für nicht gestoppt, im Dezember war die Euro-Inflationsrate erstmals seit fünf Jahren negativ. Aus deutscher Sicht ist für den Preisrückgang in erster Linie der rasante Ölpreisverfall verantwortlich. Die Kerninflationsrate ohne die Preise für Energie und Lebensmittel hielt sich bei etwa ein Prozent.

Entscheidend für den EZB-Präsidenten sind die Inflationserwartungen in den kommenden Monaten: Glauben Konsumenten und Investoren an einen weiteren Preisverfall, halten sie sich mit Ausgaben zurück - die Preise fallen weiter, die Konjunktur springt nicht an, die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Draghi will diesen Teufelskreis um jeden Preis verhindern. Denn wäre die Deflation einmal da, hätte die EZB keine Mittel mehr, daraus zu entfliehen.

Allerdings sprechen der Ölpreisrückgang und der seit dem Sommer deutlich gesunkene Euro-Wechselkurs für ein baldiges Anziehen der Euro-Konjunktur und dann auch der Inflation. Aus Berliner Sicht sollte die EZB diese Effekte jetzt lieber abwarten, statt zu schnell zu handeln. Zumindest in Deutschland ist das Anziehen der Konjunktur schon spürbar, der Bundesverband der deutschen Industrie erwartet ein Wachstum von 1,5 Prozent 2015.

Kritisch sieht Berlin die EZB-Pläne vor allem, weil sie den Reformdruck von Frankreich, Italien und anderen nehmen - ein Argument, das für Draghi weniger zählt. Er will mit dem Ankauf der Staatsanleihen deren Renditen drücken. So sollen die Euro-Länder mehr Spielraum für Investitionsausgaben gewinnen.

Der EZB-Chef hat sein Programm, im Fachjargon "Quantitative Easing" genannt, seit Monaten in Aussicht gestellt, die Aktienhändler haben es bereits ausgiebig gefeiert, der Deutsche Aktienindex hat die 10 000-Punkte-Marke überschritten. Der EZB-Chef steht unter dem Druck, nun auch zu liefern, was er versprochen hat. Jede Ankündigung eines QE-Programms im Umfang von weniger als 600 Milliarden Euro dürfte heute für Enttäuschung an den Börsen sorgen. Einzig bliebe Draghi noch die Möglichkeit, das Programm für die kommenden Wochen anzukündigen, aber aktuell noch nicht zu starten.

In Schäubles Kriminalroman muss der gute Held, ein US-Geheimagent, einen "hochgefährlichen Kampf gegen die Zeit" gewinnen. Der Minister sieht sich wahrscheinlich in einer ähnlichen Rolle.

(mar)
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