Forderungen nach mehr Solidarität Lampedusa: Flüchtlingsdrama rührt die Welt

Rom/Lampedusa · Nach der Tragödie vor der italienischen Insel werden die Forderungen nach mehr Solidarität auch in Deutschland lauter.

Mindestens 133 Tote, viele weitere Opfer werden im Rumpf des gesunkenen Schiffs vermutet: So lautet die verheerende Bilanz des Flüchtlingsdramas vor der italienischen Insel Lampedusa. Nachdem zunächst führende italienische Politiker einen Kurswechsel in der Einwanderungspolitik gefordert hatten, werden nun auch die Stimmen aus Deutschland lauter. Nikolaus Schneider, Vorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, verurteilte die Geschehnisse scharf: Das Unglück vor Lampedusa sei eine Schande für Europa. "Wir müssen dringend unsere Hilfe verstärken und die Lasten fair verteilen." Die europäische Küstenwache müsse verpflichtet werden, Flüchtlinge in Seenot zu retten. "Sonst droht Europa seine Seele zu verlieren", sagte Schneider.

Am Donnerstag war das Schiff mit den etwa 500 Flüchtlingen an Bord gekentert, darunter auch Kinder. Nur 155 Menschen konnten gerettet werden. Das voll besetzte Boot hatte vor Lampedusa Feuer gefangen. Flüchtlinge hatten eine Decke angezündet, um Fischerboote auf ihr defektes Schiff aufmerksam zu machen. Die meisten Flüchtlinge kamen aus Somalia und Eritrea. Es war das zweite Unglück innerhalb weniger Tage: Erst am Montag waren vor der Küste Siziliens 13 Menschen ertrunken, als sie versuchten ans Ufer zu schwimmen.

Auch der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz zeigte sich "schockiert" und forderte, die Aufnahme von Flüchtlingen gerechter zu organisieren. "Dies ist keine Frage von Brüsseler Gremiendebatten, sondern eine Frage praktizierter Solidarität zwischen den Mitgliedsländern der EU und von humanitärer Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen." Wer sehe, mit welchem Kraftaufwand Staaten wie Jordanien, Libanon oder die Türkei das syrische Flüchtlingsdrama angingen, der könne über manche Debatten und Verhaltensweisen in der EU nur "entsetzt" sein.

Mehr "europäische Solidarität" zwischen den EU-Staaten fordert Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Kommissarin für das Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft: "Derzeit müssen Flüchtlinge dort Asyl beantragen, wo sie erstmals europäischen Boden betreten. Staaten mit Außengrenzen, wie Italien und Griechenland oder auch das kleine Malta, tragen also eine große Last. Wir bräuchten ein Europäisches System, um Flüchtlinge fairer in der gesamten EU zu verteilen."

Wie sehr sich Italien mit der Flüchtlingsproblematik alleine gelassen fühlt, machte Italiens Innenminister Angelino Alfano deutlich: "Wir werden laut unsere Stimme in Europa erheben, um die Regeln zu ändern, die die ganze Last der illegalen Einwanderung auf die Länder des ersten Eintritts abwälzen", sagte er. "Dieses Meer bildet die Grenze zwischen Afrika und Europa, deshalb muss sie mit Schiffen und Flugzeugen effektiver gesichert werden, als das momentan der Fall ist. So sinkt auch das Risiko von Toten", ergänzte Alfano.

Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano forderte zudem eine Überprüfung der Gesetze. Eine schnelle Überprüfung von Normen, die eine Aufnahmepolitik verhinderten, sei nun notwendig, sagte er. "Es ist auch eine Frage von Mitteln, eine Frage des Eingreifens, eine Frage von Verantwortung und eine Diskussion, die absolut nicht nur italienisch sein kann", sagte er.

Gestern rief Italien einen Tag der Staatstrauer aus, vielerorts gab es Schweigeminuten, auf Lampedusa blieben die Geschäfte geschlossen. "Heute ist ein Tag des Weinens", sagte Papst Franziskus. Zuvor hatte der Papst "die Gleichgültigkeit gegenüber jenen, welche die Sklaverei, den Hunger fliehen, um die Freiheit zu suchen" als "Schande" bezeichnet.

In diesem Jahr kamen bereits 30 000 Flüchtlinge nach Italien. Während des "Arabischen Frühlings" 2011 suchten sogar etwa 48 000 Flüchtlinge auf Lampedusa Zuflucht.

(RP)
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