Beitritt zur Europäischen Union Kroatien muss ohne Merkel feiern

Brüssel/Zagreb · Die Kanzlerin fährt nicht zur EU-Beitrittszeremonie nach Kroatien – aus Termingründen, heißt es. Eigentlicher Grund könnte aber eine alte Geheimdienst-Affäre sein.

 Anlass der Verstimmungen: Ex-Geheimdienstchef Josip Perkovic.

Anlass der Verstimmungen: Ex-Geheimdienstchef Josip Perkovic.

Foto: ap

Die Kanzlerin fährt nicht zur EU-Beitrittszeremonie nach Kroatien — aus Termingründen, heißt es. Eigentlicher Grund könnte aber eine alte Geheimdienst-Affäre sein.

Denn Angela Merkel hat leider keine Zeit, an den Feierlichkeiten Kroatiens zum EU-Beitritt teilzunehmen. So lautet die offizielle Begründung aus Berlin dafür, dass die Bundeskanzlerin ihre Reise nach Kroatien anlässlich des EU-Beitritts des Landes am kommenden Montag abgesagt hat. Ausgerechnet Deutschland, das sich 1991 für die Unabhängigkeit der einstigen jugoslawischen Teilrepublik so starkgemacht hat, verdirbt den Kroaten damit ihr Europa-Fest.

Nun soll ein einfacher Diplomat Deutschland bei der Zeremonie vertreten — so etwas nennt man eine schallende politische Ohrfeige. Dahinter steckt wohl, trotz aller offiziellen Dementis, das Gezerre um die Auslieferung eines früheren kroatischen Geheimdienstchefs.

Berlin wühlt mit der Absage Kroatiens ungeliebte jugoslawische Vergangenheit auf. Eigentlicher Grund für Merkels Fernbleiben sei, mutmaßen Politiker und Medien, die Weigerung der Zagreber Regierung, einen gewissen Josip Perkovic auszuliefern. Der war in der Ära Tito Kroatien-Chef des berüchtigten kommunistischen Geheimdienstes UDBA, dessen Agenten im Westen lebende Regimegegner jagten und ermordeten.

So soll Perkovic laut deutscher Justiz den Mord an dem Emigranten Stjepan Djurekovic in Auftrag gegeben haben, der 1983 bei München tot aufgefunden wurde. Nach dem Untergang Jugoslawiens wurde Perkovic von Präsident Franjo Tudjman mit dem Aufbau des Geheimdienstes der nunmehr unabhängigen Republik Kroatien betraut. Der heute 68-jährige Pensionär dürfte also mächtige Beschützer haben, die seine Auslieferung verhindern. Perkovics Sohn war ein Berater des amtierenden Präsidenten Ivo Josipovic, der wiederum versichert, Merkels Fernbleiben habe mit dem Fall Perkovic nichts zu tun — wie auch Merkels Sprecher Steffen Seibert in Berlin, der mit "anderweitigen Verpflichtungen" argumentierte.

Überschattet werden die Beitrittsfeiern auch von Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Zukunftsangst. Die Regierung ist zwar um Feststimmung bemüht, erntet aber heftige Kritik, weil sie trotz klammer Finanzen für das Spektakel eine zweistellige Euro-Millionensumme ausgibt. Die Hauptstadt Zagreb ist bereits in ein Fahnenmeer getaucht; Montag um Mitternacht wird im ganzen Land die Europahymne, Beethovens "Ode an die Freude", erklingen. Erwartet werden die gesamte EU-Prominenz — Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der Ratsvorsitzende Hermann Van Rompuy und Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments — sowie ein Dutzend Staats- und Regierungschefs.

Auch Serbiens Präsident Tomislav Nikolic und sein Premier Ivica Dacic sagten der kroatischen Führung zu, die damit eine starke Versöhnungsgeste setzen will. Diesen gewagten Schritt zu akzeptieren, kostet aber viele Kroaten noch große Überwindung. Der einstige Kriegsgegner Serbien ist noch heute tief verhasst, weil dessen damaliges Regime mit Waffengewalt die Unabhängigkeit Kroatiens verhindern wollte. Mittlerweile folgt allerdings auch Serbien dem Nachbarland auf dem Weg nach Europa.

(RP)
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