Korruptionsskandal EU-Parlament schließt erste Lücke

Straßburg · Der Luxemburger Sozialdemokrat Marc Angel ist ins Präsidium des EU-Parlamentes aufgerückt. Es ist eine Folge des Korruptionsskandals, durch den die Griechin Eva Kaili ihren Posten als Vizepräsidentin gegen eine Zelle im Gefängnis eintauschen musste. Doch die Bewältigung steht erst am Anfang.

 Sozialdemokraten feiern am Mittwoch in Straßburg die Wahl ihres Genossen Marc Angel als Nachfolger der in Haft sitzenden früheren Parlaments-Vizepräsidentin Eva Kaili.

Sozialdemokraten feiern am Mittwoch in Straßburg die Wahl ihres Genossen Marc Angel als Nachfolger der in Haft sitzenden früheren Parlaments-Vizepräsidentin Eva Kaili.

Foto: dpa/Jean-Francois Badias

„Das System lädt“, sagt Roberta Metsola, die Präsidentin des Europa-Parlamentes am Donnerstagmittag im Straßburger Parlament. Sie meint damit vordergründig die elektronische Abstimmung, die für die wichtigste Personalie des Tages erst von Testbetrieb auf Geheimvotum umgestellt werden muss. Doch gleichzeitig lädt auch das System zur Korruptionsbekämpfung: Das Parlament will möglichst schnell und möglichst umfassend die richtigen Konsequenzen ziehen aus dem Skandal um offenbar korrupte Abgeordnete, Einflussnahme von Drittstaaten und vor allem Taschen voller Geld in Brüsseler Wohnungen. Manche befürchten, das Parlament könnte das Kind mit dem Bade ausschütten und sich selbst schaden.

Da ist an erster Stelle die Personalie selbst. Warum die EU außer einer Präsidentin 14 Vizepräsidenten braucht, können die wenigsten Europa-Politiker ihren Wählern begreiflich machen. Manche verweisen dann auf die Kommission, die auch aus jedem der 27 Mitgliedsländer einen ins Leitungskollegium aufnimmt. Da seien 14 beim Parlament doch vergleichsweise wenig. Und so gibt es in Straßburg nicht einmal den Antrag, die Geschäftsordnung in Richtung 13 Vizeposten zu ändern, nachdem die weiterhin in Haft sitzende Sozialdemokratin Eva Kaili bereits im Dezember ihres Postens enthoben worden war.

Schnell haben die Sozialdemokraten die Wiederbesetzung aus den eigenen Reihen angemeldet. In mehreren Abstimmungsrunden hat sich Marc Angel aus Luxemburg als Kompromisskandidat intern durchgesetzt. Er könnte von Aussehen, Auftreten und Statur als Zwillingsbruder von EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans durchgehen.

Die Grünen nutzen die Gelegenheit für den Hinweis, dass sie rechnerisch erst einen zweiten Vizeposten haben müssten, bevor die Sozialdemokraten erneut einen fünften bekämen. Sie stellen Gwendoline Delbos-Corfield auf. Und glauben an einen besonderen Schachzug: Eine Frau, einen Vizeposten endlich auch für Frankreich und eine erfahrene Korruptionsbekämpferin.

Doch schon im ersten Wahlgang fallen sie damit durch. Die von ID präsentierte Italienerin Annalisa Tadino bekommt sogar deutlich mehr. Und Angel fehlen zur nötigen Mehrheit lediglich 15 Stimmen. Die bekommt er wenige Minuten später. Und sogar noch deutlich mehr. 296 braucht er, 307 bekommt er. 98 können die Grünen hinter ihrer Frau versammeln, 185 erhält sogar die ID-Kandidatin. Umgehend schimpft der Chef der deutschen Grünen, Rasmus Andresen, über „Hinterzimmerdeals“, durch die Konservative, Liberale und Sozialdemokraten diese Wahl „herbeigeführt“ hätten. Deshalb äußert er umgehend seine Skepsis, wie ernst es die großen Fraktionen mit der Reform des EU-Parlamentes meinen.

In der Tat: So laut auch der Beifall für das entschlossene Vorgehen von Präsidentin Metsola war, das gerade schlechtestmögliche Image der EU-Parlamentarier durch einschneidende Veränderungen wieder zu drehen, so beharrlich sind nun die Bedenken zu einer ganzen Reihe von Punkten. Das Aus für die besonders korruptionsanfälligen „Freundschaftsgruppen“ außerhalb des offiziellen EU-Betriebes geht noch fraktionsübergreifend durch. Auch mehr Rechte für Whistleblower, die aus internen Kenntnissen über schräge Vorgänge informieren, findet eine deutliche Mehrheit. Doch die vorgeschlagene Pflicht für alle Abgeordneten, künftig alle Gespräch mit Lobbyisten zu veröffentlichen, trifft auf entschiedenen Widerstand vor allem bei den Christdemokraten.

Bislang gilt diese Verpflichtung bereits für alle Ausschussvorsitzende und für die Abgeordneten in den Bereichen, in denen sie als zentrale Verhandlungsführer („Berichterstatter“) arbeiten. Der Chef der deutschen Unionsabgeordneten, Daniel Caspary, schildert die Auswirkungen am Beispiel seiner China-Zuständigkeit. Er habe in den letzten Jahren „kein einziges veröffentlichungspflichtiges Gespräch mehr“ führen können. Denn sobald er Unternehmen mit Erfahrungen im China-Geschäft auf diese Transparenzregel hingewiesen habe, hätten diese abgewunken - aus Furcht um ihre Geschäftsbeziehungen. „Das ist kontraproduktiv“, unterstreicht Caspary. Auf diese Weise verlören die Abgeordneten genau die Sachkunde, die sie für ihre Entscheidungen bräuchten.

Umgekehrt erfahren die Christdemokraten bei den anderen Fraktionen jede Menge Widerstand gegen ihren Vorschlag, rechtskräftig verurteilten Abgeordneten die Pensionsansprüche zu streichen. „Das hätte wirklich eine abschreckende Wirkung“, sagt Casparys Ko-Vorsitzende Angelika Niebler. Sie plädiert auch dafür, die Abläufe zur Aufhebung der Immunität deutlich zu beschleunigen, damit unter Verdacht geratene Abgeordnete zügiger die Hintergründe aufklären könnten.

Die Einwände der Union bringen die Grünen auf die Palme. „Unfassbar“ findet es deren Ethik-Experte Daniel Freund, dass CDU und CSU nach diesem Skandal „sinnvolle Reformen blockieren“. Ein stures „Wir machen weiter wie bisher“ werde den nächsten Skandal nicht unwahrscheinlicher machen.

So dürfte sich denn in den nächsten Wochen die wesentliche Befürchtung um die Frage drehen, ob sich einzelne korrupte Politiker nicht an die jetzigen strengen oder nicht an mögliche künftige strengere Regeln halten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort