Von der Leyen in Lampedusa Migrations-Abkommen in Trümmern

Meinung | Brüssel · Es sollten schnell weniger Flüchtlinge werden, die die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer wagen. Doch zwei Monate nach dem Abkommen der EU mit Tunesien hat die Zahl deutlich zugenommen. Das steht für die gesamte EU-Asylpolitik.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei der PK auf Lampedusa.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei der PK auf Lampedusa.

Foto: dpa/Cecilia Fabiano

Es ist gerade zwei Monate her, als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nebeneinander in Tunis standen und das EU-Tunesien-Abkommen präsentierten. Es sollte Tunesien vor dem Kollaps bewahren, den Menschen eine Perspektive bieten und die Migrationsdynamik verlangsamen. Eine dreistellige Millionensumme überwies die EU vorab. Am Sonntag standen von der Leyen und Meloni wieder nebeneinander – und vor den Trümmern des Abkommens. Die Dynamik ist nicht verlangsamt, sondern beschleunigt worden. Deshalb der Hilferuf aus Rom nach Brüssel.

Natürlich warfen die beiden Frauen die Flinte nicht ins Korn. Von der Leyen hatte einen Zehn-Punkte-Plan mitgebracht, der wirksames Einschreiten suggerierte. Die EU-Grenzschutztruppe Frontex werde Italien noch intensiver helfen als bislang. Doch ob ein intensiveres Patrouillieren des Meeres zwischen Tunesien und Italien kurzfristig irgendeinen der erwünschten Effekte auf die Zahl der ankommenden Flüchtlinge haben wird, muss bezweifelt werden. Denn an den Forderungen Melonis, die Menschen von der Abfahrt in Tunesien abzuhalten, schippern die EU-Schiffe vorbei, wenn sie stärker beobachten und schneller retten. Es werden erneut eher mehr und nicht weniger, so lange das Wetter Abfahrten zulässt.

Im übertragenen Sinne gilt das auch für die EU-Asylpolitik insgesamt. Von der Leyen hat Recht mit der Analyse, dass die Staatengemeinschaft der 27 noch nie so nah an einer gemeinsamen Asylpolitik war. Das Parlament hat sich positioniert, die Mitgliedstaaten auch, und nun laufen die Verhandlungen, die vielleicht Ende des Jahres in einem Kompromiss münden, vielleicht bis Juni nächsten Jahres, vielleicht aber auch nicht. Den Bürgern vor Ort suggeriert dieses EU-Asylpaket, die Migrationsdynamik besser managen und die Situation in immer mehr überforderten Städten und Gemeinden entschärfen zu können. Doch mehr Neuankömmlinge in Lampedusa entsprechen mehr Anträge in Deutschland.

Es wird nicht besser werden. Denn auch Tunesien selbst hat sich zu einer Autokratie entwickelt, die die eigenen Leute aus dem Land treibt. Die Zahl solcher Regime in Afrika steigt. Die rapide zunehmenden Klimakatastrophen treffen in Afrika auf kaum vorbereitete Infrastruktur und lässt noch mehr Menschen an Flucht in den Norden denken. Die Jahr für Jahr auf neue Rekordzahlen steigende Fluchtbewegung ist allen Anstrengungen Europas zum Trotz nicht gesunken. Sie wird im Gegensatz mit mehr politischer Verfolgung, mehr Kriegen und größerer Klimabedrohung eher noch schneller wachsen.

Damit steigt auch der Zulauf zu rechtspopulistischen Parteien und vermeintlich einfachen Lösungen, die ebenfalls weder dem Problem noch der Menschlichkeit gerecht werden. Die Sondersitzungen der EU-Innenminister werden nicht reichen. Auch die Staats- und Regierungschefs der EU werden sich bei ihren nächsten beiden Gipfeln vor allem mit der Migration und der Organisation legaler Zugänge nach Europa befassen müssen, wenn sie die illegale in den Griff bekommen und von ihren Wählern nicht in die Wüste gejagt werden wollen.

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