Trittin zum EU-Asylkompromiss „Flüchtlingspolitik wurde auf Niveau der Schäbigkeit harmonisiert“

Berlin/Luxemburg · Während die Grünen-Kabinettsmitglieder Annalena Baerbock und Robert Habeck für den Kompromiss zum EU-Asylrecht werben, haben Parteichefin Lang und der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin die deutsche Zustimmung scharf verurteilt.

 Jürgen Trittin (Archivbild).

Jürgen Trittin (Archivbild).

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)/Bauer, Hans-Jürgen (hjba)

"Es war richtig, die Verhandlungen für ein gemeinsames Asylsystem und eine gerechte Verteilung von Flüchtenden in Europa zu führen. Aber wenn man verhandelt, muss man auch wissen, wo die Grenzen des Vertretbaren sind“, sagte Trittin unserer Redaktion. „Und diese Grenzen wurden mit dem Ergebnis überschritten - etwa mit der Möglichkeit, auch minderjährige Kinder zu inhaftieren. Mit diesem Beschluss dürfte sich an den katastrophalen Zuständen wie in Moria wenig ändern, dafür entstehen neue Lager“, kritisierte Trittin.

„Es drängt sich der Eindruck auf, dass Frau Faeser dringend in den Wahlkampf nach Hessen zurück wollte, anstatt weiter nach dem Grundsatz Ordnung und Humanität zu verhandeln“, so Trittin. „Die deutsche Zustimmung war falsch. Deutschland hatte die stärkste Position in den Verhandlungen im Rat. Diese starke Position hat es nicht genutzt. Europas Flüchtlingspolitik wurde auf ein Niveau der Schäbigkeit harmonisiert“, beklagte der frühere Bundesumweltminister.

Insgesamt haben die Grünen tief gespalten auf die Einigung der EU-Länder auf Asylverfahren an Europas Außengrenzen reagiert. Deutschland hätte dem Kompromiss in Luxemburg nicht zustimmen dürfen, kritisierte etwa Parteichefin Ricarda Lang. Auch aus der Grünen-Bundestagsfraktion kam am Freitag scharfe Kritik - und die Forderung an die Bundesregierung, eine Umsetzung der Pläne zu verhindern. Die Grünen-Kabinettsmitglieder Annalena Baerbock und Robert Habeck sprachen von einem schwierigen Kompromiss, warben aber um Unterstützung.

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge kritisierte, der Kompromiss der EU-Länder zu Asylverfahren werde „dem Anspruch auf Solidarität und Humanität in Europa nicht ausreichend gerecht“. Der Abgeordnete Anton Hofreiter forderte die „gesamte Grünen-Führung“ dazu auf, „dass sie ihr Möglichstes tut, damit die Asylrechtsverschärfung in dieser Form nicht kommt“, wie er den RND-Zeitungen sagte.

Die Migrationsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Filiz Polat, wertete den Kompromiss in den Funke-Zeitungen als „ein Beispiel für das Einknicken vor rechten Narrativen auf Kosten der Menschenrechte“. Partei-Chefin Lang schrieb auf Twitter, bei dem Kompromiss seien zentrale Forderungen Deutschlands nicht berücksichtigt worden.

Die EU-Länder hatten sich am Donnerstag in Luxemburg im jahrelangen Asylstreit geeinigt und den Weg für umstrittene Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen frei gemacht. Keine Mehrheit fand dabei die insbesondere auf Druck der Grünen vorgebrachte Forderung Deutschlands, Familien mit Kindern grundsätzlich von solchen Grenzverfahren auszunehmen.

Die Zustimmung der Bundesregierung zu dem Kompromiss beim Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg setzte am Freitag vor allem die Grünen-Kabinettsmitglieder unter Erklärungszwang.

„Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass der Kompromiss ein sehr schmerzhafter ist, vor allem, weil Familien nicht pauschal von den problematischen Grenzverfahren ausgenommen werden“, erklärte Vizekanzler Habeck auf Twitter. Er habe „hohe Achtung vor denen, die aus humanitären Gründen zu anderen Bewertungen kommen“ schrieb Habeck. „Ich hoffe, sie sehen auch, dass es Gründe gibt, dieses Ergebnis anzuerkennen.“

Außenministerin Baerbock erklärte, die geplanten Asylverfahren an den Außengrenzen seien „bitter“. Ein Nein oder eine Enthaltung Deutschlands hätten aber mehr Leid und nicht weniger bedeutet - denn in diesem Fall wäre der Asylkompromiss gescheitert.

Der EU-Asylkompromiss ist von einer Umsetzung noch ein gutes Stück entfernt - so müssen sich die EU-Länder noch mit dem Europaparlament verständigen. Die Bundesregierung kündigte bereits an, sich im weiteren Verfahren mit EU-Parlament und EU-Kommission für Nachbesserungen insbesondere bei der Behandlung von Familien mit Kindern einzusetzen. Diese Forderung hatte sie in Luxemburg in einer nicht bindenden Protokollnotiz niedergelegt.

Dazu erklärte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne): „In einer auf meine Initiative hin zustande gekommenen Protokollnotiz macht Deutschland nun klar, dass die Bundesregierung weiter für dieses Ziel kämpft.“ Der gefundene Kompromiss sei für sie „sehr problematisch“.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte den Asylkompromiss. „Es stand sehr viel auf dem Spiel: Wir wollen das Europa der offenen Grenzen retten“, sagte Faeser der „Rheinischen Post“ vom Samstag. „Hätten wir uns jetzt nicht geeinigt, hätten uns mehr nationalstaatliche Abschottung und weiterhin vollkommen ungeregelte und teilweise unmenschliche Verhältnisse an den Außengrenzen gedroht.“

Auch SPD-Parteichefin Saskia Esken warb für den Kompromiss - unter anderem mit dem Verweis darauf, dass „der Status quo, die Realität für geflüchtete Menschen in der EU, alles andere als gut“ sei. Die bisherige Regelung habe nicht funktioniert, erklärte Esken.

Kritik kam allerdings von der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos. Deren Chefin Jessica Rosenthal kritisierte die Einigung als „beschämend“. Dem „Spiegel“ sagte sie: „Wir verurteilen auf Schärfste, dass man sich auf Haftlager an den Außengrenzen geeinigt hat und damit eine Festung Europa Realität werden lässt.“

Einhellig positiv bewertete hingegen die FDP den Kompromiss. Dieser sei „ein kaum zu überschätzender Erfolg“, sagte Parteichef Christian Lindner dem „Münchner Merkur“. „Es wird ein großer Schritt hin zum wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen getan.“

(felt/RP/AFP)
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