Interview mit EU-Kommissar Hahn "Jede gekürzte Milliarde wäre eine zu viel"

Brüssel · EU-Kommissar Johannes Hahn ist ein mächtiger Mann. Der Österreicher verfügt über einen der größten Posten im Brüsseler Budget: die Milliarden-Fördertöpfe für strukturschwache Regionen. Beim Gipfeltreffen über die EU-Finanzen 2014 bis 2020 am 7./8. Februar wollen die Nettozahler um Deutschland auch seine Mittel beschneiden.

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In der laufenden Siebenjahresperiode hat Hahn rund 350 Milliarden Euro zu Verfügung. Für 2014 bis 2020 waren zuletzt Kürzungen von rund 30 Milliarden Euro vorgesehen. Jetzt wird über weitere Einschnitte verhandelt.

Haben Sie Verständnis für weitere Einschnitte?

Hahn Jede einzelne Milliarde, die weiter gekürzt wird, wäre eine zu viel. Letzten Sommer hieß es noch, Regionalpolitik ist entscheidend für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gerade auch in den Krisenländern des Südens. Nun wird munter gekürzt. Das passt nicht zusammen. Die Hauptstädte verhalten sich wie ein Taxigast, der auf der Hälfte der Fahrt aussteigt und sich dann beklagt, nicht schnell genug ans Ziel zu kommen. Damit jeder als Sieger nach Hause gehen kann, verteidigen sie alle ihre Einzelinteressen und verhindern so de facto eine Neuausrichtung der EU-Ausgaben auf Zukunftsfelder.

Länder wie Deutschland verweisen darauf, dass Brüssel den Gürtel enger schnallen muss, wenn unter dem Druck der Schuldenkrise in den Hauptstädten der Rotstift regiert...

Hahn Man sollte nicht vergessen, dass Deutschland am meisten von dem in die strukturschwächeren Länder investierten Geld profitiert. Uns liegen Studien vor, wonach jeder Euro an Strukturfondsmittel, der in Polen investiert wird, einen Mehrwert von 125 Prozent bringt. Der zusätzliche Export-Gewinn beträgt 85 Cents.

Großbritanniens Premier David Cameron hat bereits den ersten Einigungsversuch zum Budget mit seinen Kürzungsforderungen torpediert. Erschwert seine Ankündigung für ein Referendum über den EU-Austritt seines Landes einen Kompromiss im zweiten Anlauf?

Hahn Ich bin optimistisch, dass es eine Einigung geben wird. Camerons Rede war hauptsächlich auf die innenpolitische Wirkung ausgerichtet. Ich glaube, dass die Referendums-Ankündigung im Budget-Streit eher Druck rausnimmt. Generell glaube ich, ist sein Schritt ein Weckruf an die politisch Verantwortlichen nicht nur in Großbritannien, sondern in Europa, endlich klar zu machen, dass die EU-Mitgliedschaft ein Segen ist. Denn dem, der drin ist, geht es besser.

Eigentlich sollten die Strukturhilfen Wohlstand und Wachstum in den ärmeren Regionen fördern. Doch die Krisenländer des Südens sind trotz der EU-Milliardensubventionen von blühenden Landschaften weit entfernt. Hat die Regionalpolitik versagt?

Hahn Wir haben die Lehren aus der Vergangenheit gezogen und die Regionalpolitik grundlegend reformiert. In der neuen Periode setzen wir verstärkt auf Innovation. Thematisch sollen vor allem die Ziele der Europa 2020-Strategie mit Hilfe der Regionalpolitik umgesetzt werden. Und man muss auch darauf hinweisen, dass in 13 von 27 EU-Ländern die Strukturfördermittel ein Drittel aller öffentlichen Investitionen ausmachen. Wer also meint, die Regionalhilfen könne man weiter zusammenstreichen, gefährdet die wirtschaftliche Erholung in der Eurozone.

Dennoch: Der Rechnungshof beklagt jedes Jahr, dass gerade die Regionalpolitik die höchsten Missbrauchsquoten aufweist — gut zwei Milliarden versickerten alleine 2011 in fragwürdigen Projekten....

Hahn Auch in diesem Bereich gilt: Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Die Zeiten, wo die EU-Gelder vor Ort nach Belieben eingesetzt werden konnten, sind vorbei. Die Mittel müssen Wachstum und Beschäftigung fördern. Sie fließen nur, wenn bestimmte Reformvorgaben eingehalten werden, die in Partnerschaftsverträgen festgelegt sind. Das können etwa Zielvorgaben für Forschungsinvestitionen oder Erneuerbare Energien sein.

Die Bundeskanzlerin möchte trotz aller Sparforderungen möglichst viel von den Subventionen für Ostdeutschland retten, obwohl die neuen Bundesländer nicht mehr zu den ärmsten der Armen gehören. Sie fordert ein Sicherheitsnetz für alle Regionen, damit sie in den kommenden sieben Jahren noch zwei Drittel ihrer bisherigen Fördersumme erhalten. Unterstützen Sie das?

Hahn Ich möchte sicherstellen, dass die Erfolge in Regionen, die mit EU-Hilfe aufgeholt haben, nicht dadurch gefährdet werden, dass sie plötzlich gar nichts mehr erhalten. Deshalb plädiere ich dafür, dass die erzielten Fortschritte durch weitere Förderungen abgesichert werden.

Sie sind so oft wie kein anderer EU-Politiker nach Griechenland gereist. Tut sich dort etwas?

Hahn Ja, es geht bergauf. In der laufenden Förderperiode stehen insgesamt gut 20 Milliarden Euro aus drei Fonds für Griechenland zur Verfügung. Die Absorptionsrate ist gut, sie liegt mit 49,23 Prozent über dem EU-Durchschnitt, der etwas über 46 Prozent liegt. Mehr noch als Geld braucht Griechenland aber einen Mentalitätswandel. Da herrscht noch zu viel Easy Going. Und es müssen Strukturreformen umgesetzt werden. Die Steuermoral ist verbesserungsbedürftig. Das Kompetenz-Wirrwarr in der Verwaltung schreckt ebenso Investoren ab wie ewig lange Genehmigungsverfahren. Griechenland exportiert immer noch 90 Prozent seines Olivenöls als Rohöl über die Adria und das lonisches Meer, anstatt es selbst zu veredeln. Warum? Wir können den Griechen ein sehr gut ausgestattetes und vollgetanktes Auto vor die Tür zu stellen. Aber einsteigen und fahren müssen sie selbst.

Anja Ingenrieth stellte die Fragen.

(ing)
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