EU-Reaktionen und Märkte Italiens Wahlergebnis belastet Börse und EU-Wirtschaft

Brüssel · Italiens Bürger haben gewählt - und damit die drittgrößte Euro-Volkswirtschaft fast an den Rand der Unregierbarkeit manövriert. Die Wirtschaftswelt zittert vor einem Rückfall in die hektischen Turbulenzen im Euro-Raum durch eine Wiederbelebung der Eurokrise.

2013: Pressestimmen zur Wahl in Italien
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2013: Pressestimmen zur Wahl in Italien

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Foto: afp, OLIVIER MORIN, OLIVIER MORIN

Wegen der drohenden politischen Blockade Italiens herrscht in Brüssel Angst vor einem Wiederaufflammen der Eurokrise. Die Aktienkurse gingen am Dienstag als Reaktion auf den Teilerfolg der Anti-Reformkräfte um Silvio Berlusconi europaweit auf Talfahrt. Auch an den Devisen- und Anleihemärkten sorgten die unklaren Mehrheiten nach der Wahl für schlechte Stimmung. Der Euro geriet weiter unter Druck. Die Zinsen für zehnjährige italienische Staatsanleihen sprangen auf den höchsten Wert seit November. Der noch amtierende Regierungschef Mario Monti bestellte Finanzminister Vittorio Grilli und Notenbankchef Ignazio Visco zur Krisensitzung ein.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz rief die italienischen Parteien auf, schnell nach regierungsfähigen Mehrheiten zu suchen — und Neuwahlen zu vermeiden. Andernfalls "droht ganz sicher erneut eine Phase der Unsicherheit", warnte der SPD-Politiker. "Jetzt liegt es an den führenden Politikern, die notwendigen Kompromisse zu schließen, um eine stabile Regierung zu bilden", mahnte auch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Es gehe darum, den eingeschlagenen Kurs der finanziellen Konsolidierung und der Reformen zu halten. Dazu gebe es keine Alternative.

Das Problem: Die beiden EU-Kritiker Silvio Berlusconi und Beppe Grillo bekamen genug Stimmen, um eine europafreundliche Regierung unter Pier Luigi Bersani im Senat blockieren und die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ins politische wie finanzielle Chaos stürzen zu können. Spekuliert wird bereits über die Möglichkeit einer breiten Übergangsregierung, die einige Reformaufträge erhält, bevor dann neu gewählt wird.

Wahlen bringen Unsicherheit

"Die Wahlen bringen neue Unsicherheit und Instabilität für Italien und die Eurozone", analysiert daher Vincenzo Scarpetta von der Denkfabrik Open Europe. "Der Urnengang ist ein Rückschlag für den Hilfe-gegen-Sparen Kurs der EU. Alle Pläne für Strukturreformen in Italien dürften jetzt erstmal auf Eis gelegt werden." Die Konsequenz: Italien verliert weiter an Wettbewerbsfähigkeit. "Damit steigt letztlich auch der Kreditbedarf Italiens, was dazu führt, dass die Kredite mit immer höheren Zinsen bezahlt werden müssen. Eine Spirale setzt sich in Gang, die Italien weiter abdriften lässt", fürchtet Lüder Gerken, Chef des Centrums für Europäische Politik (Cep) in Freiburg.

EU-Parlaments-Präsident Martin Schulz wertete das Wahlergebnis als "klare Absage an die einseitige Kürzungspolitik der EU". "Wir brauchen eine Kombination aus nachhaltiger Haushaltsdisziplin und Investitionspolitik, die Arbeit schafft."

Die EU-Kommission will ihren Kurs aber keinesfalls ändern. Das Ergebnis ändere die Realitäten nicht, so Sprecher Olivier Bailly gestern. Italien müsse das "nicht tragfähige" Niveau der Staatsschulden senken — mit weiteren Reformen und Einsparungen. Brüssel vertraue in die Italienische Demokratie. "Es ist selbstverständlich wichtig, dass Italien Reformen weiterführt, um nachhaltiges Wachstum und die Schaffung von Jobs zu sichern", unterstrich auch EU-Währungskommissar Olli Rehn.

Das Land hat zwei Billionen Euro Schulden, die Wirtschaft wird in diesem Jahr wohl erneut schrumpfen, die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als zehn Prozent, unter den jungen Menschen hat sogar mehr als jeder Dritte keinen Job. Die Schuldenquote Italiens wird 2013 nach Prognose der EU auf 128 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. In der Euro-Zone übertrifft nur Griechenland diesen Wert.
Der Wahlausgang in Italien sei ein "Sprung ins Ungewisse, der sowohl für Italien als auch den Rest Europas nichts Gutes erahnen lässt", erklärte der spanische Außenminister José Manuel García Margallo. "Größere Unruhe in Italien könnte zumindest zeitweise wieder zu ernsthaften Ansteckungungsgefahren für die ganze Euro-Zone führen", prophezeit Holger Schmieding von der Berenberg Bank.

Bange Blicke nach Paris und Madrid

Bange Blicke richten sich besonders nach Paris und Madrid. Frankreich als zweitgrößte Volkswirtschaft des Euroraums wird labiler, verfehlt dieses Jahr die Euro-Defizitkriterien und verlangt Aufschub beim Konsolidieren. Spanien, das bereits Milliardenhilfe für seine maroden Banken bekommt, bleibt fragil.
Die beiden Länder gehören zu den wirtschaftlichen Schwergewichten der Eurozone - was ihre Haushaltsprobleme und wirtschaftliche Schwäche für die Währungsunion so gefährlich macht. Madrids Wirtschaftsminister Luis de Guindos warnte am Dienstag bereits vor Ansteckungsgefahr - die Zinsen für spanische Schuldscheine stiegen im Sog Italiens.

Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici sprach mit Blick auf das Einbrechen der europäischen Börsen von "Schwierigkeiten". Frankreich ist extrem vom südeuropäischen Markt abhängig. Auf 32 Milliarden Euro beliefen sich die französischen Exporte nach Italien im vergangenen Jahr. Nach den Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich schulden italienische Banken französischen Banken zudem rund 30 Milliarden Dollar. "Hier drohen Dominoeffekte", warnt Lüder Gerken.

Klar ist: der Euro-Rettungsschirm ESM ist mit seiner maximalen Ausleih-Kapazität von 500 Milliarden Euro nicht groß genug, ein Land vom Kaliber Italiens oder Frankreichs aufzufangen. Sollte die Krise zurückkehren müsste der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, sein Versprechen wahrmachen, zur Rettung des Euro notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen. Allerdings hat er dafür Bedingungen formuliert. So sollen die betreffenden Staaten einen Hilfsantrag beim Rettungsfonds ESM stellen und sich einem Reformkurs unterwerfen. Genau da liegt im Fall Italiens das Problem.

Draghis bloße Ankündigung hatte im vergangenen Spätsommer zur Beruhigung der Lage geführt. Jetzt könnte er die Handlungsfähigkeit der Europäischen Zentralbank unter Beweis stellen müssen.
Katastrophal wäre es auch, wenn Rom als Geldgeber für den ESM ausfällt. Italien haftet heute mit rund 18 Prozent für den Rettungsfonds. Die verbliebenen Länder, vor allem auf Deutschland, müssten einen Ausfall über noch höhere Haftungsverpflichtungen kompensieren. "Dann werden sich ganz schnell die Märkte die Frage stellen, ob Deutschland das noch schultern kann. Schon heute wird ja diskutiert, ob Deutschlands Bonität nicht herabgestuft werden muss", prophezeit Lüder Gerken. Sein Fazit: "Es zeigt sich, dass die Ruhe der jüngsten Zeit trügerisch und die Hoffnung, das jetzt das Schlimmste überstanden sei, reine Illusion war."

(felt)
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