Schulden-Krise der Eurozone spitzt sich zu Ist Zypern Russlands trojanisches Pferd?

Moskau · In Russland folgte auf den ersten Aufschrei über die von Zypern geplante Zwangsabgabe plötzlich satte Genugtuung. Eben noch sahen die Russen ihr Land als Quelle "schmutzigen Geldes" gebrandmarkt. Nun werden sie als Retter in der Not gebraucht. Für Präsident Wladimir Putin kommt diese Position der Stärke zum richtigen Zeitpunkt.

 Russlands Präsident Wladimir Putin könnte zum Profiteur der Euro-Krise werden.

Russlands Präsident Wladimir Putin könnte zum Profiteur der Euro-Krise werden.

Foto: afp, ALEXEI NIKOLSKY

Das zyprische Parlament in Nikosia stimmte gegen die Zwangsabgabe auf Sparguthaben, der Sanierungsplan der EU ist vorerst gescheitert. Und eine Delegation um den zyprischen Finanzminister machte sich auf nach Moskau, um neue Kredite auszuhandeln. "Nach Russland — zum Geldholen" titelte spöttisch das Wirtschaftsblatt "Wedomosti", und die Internetzeitung "Gazeta.ru" schrieb: "Zypern ruft bei Putin an". Der Präsident des Inselstaates, Nikos Anastasiades, hatte nach dem Scheitern der Zwangsabgabe mit Putin telefoniert. Dieser hatte ihm großzügig angeboten, Russland zu besuchen — "wann immer es ihm angenehm sei".

Zynisches Verfahren

Russlands Mächtige, die ansonsten trotzig darum kämpfen, dass ihr Land überhaupt noch als "Global Player" anerkannt wird, dürften die Situation genießen. Es bringt sie im richtigen Moment in eine Position der Stärke. Am Samstag beginnt in Moskau ein geradezu zynisches Justizverfahren: Dem Anwalt Sergej Magnitski wird posthum der Prozess wegen Steuerhinterziehung gemacht.

Magnitski starb unter Qualen in Untersuchungshaft, weil ihm die medizinische Behandlung verweigert worden war. Die Ermittlungen zu den Umständen seines Todes hat die russische Staatsanwaltschaft eingestellt. Doch wer in der EU wird es jetzt wagen, den Kreml wegen Menschenrechtsverletzungen und Willkürjustiz an den Pranger zu stellen, wenn man gleichzeitig auf die Rettung Zyperns hofft?

Die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Zypern und Russland sind in komplizierter Weise miteinander verflochten. Der Inselstaat gehört zu den drei größten Investoren in Russland. Rund 24 Prozent aller Direktinvestitionen, 13,6 Milliarden Dollar, kamen 2011 aus Zypern. Paradoxerweise handelt es sich dabei meist um Geld, das zuvor aus Russland abgezogen wurde. Denn im gleichen Zeitraum transferierten russische Geldinstitute, Unternehmen und Privatleute 22,4 Milliarden Dollar nach Zypern. Zu Recht sprechen manche davon, Zypern sei für Russland eine Art "inoffizielle Landesbank".

Die Ursachen dafür reichen zurück in die frühen 90er Jahre. Die Sowjetunion zerfiel, mit ihr verschwand die Planwirtschaft. "In der Periode des entstehenden Kapitalismus waren die Geschäftsbedingungen in Russland gesetzlich nicht geregelt", erklärt Aleksej Terechow, Vizedirektor der Finanzagentur FBK. Schutz des Eigentums war unbekannt, erfolgreiche Geschäftsmänner sahen sich schnell der Willkür gieriger Beamter ausgesetzt. "Wer sein Vermögen schützen wollte, musste es außer Landes bringen." Zypern habe sich für die neuen russischen Unternehmer aus verschiedenen Gründen angeboten: "Als christlich-orthodoxes Land ist es uns mental und kulturell näher als andere Finanzstandorte, etwa in Asien." In Zypern gilt für Russen keine Visapflicht.

Niedrige Steuerbelastung

Zudem ist es unkompliziert, dort ein Unternehmen zu gründen. Die Steuerbelastung ist bis heute eine der niedrigsten in der EU. Und die Herkunft des Geldes wurde nicht überprüft. Der Inselstaat hat außerdem eine zuverlässige Gerichtsbarkeit nach britischem Recht — ein weiterer Vorteil für ausländische Investoren, sagt Finanzberater Terechow.

Heute sind die Russen nach den Briten in Zypern die größte Anlegergruppe. Nach Angaben der Agentur Moody's entfallen von 68,4 Milliarden Euro auf zyprischen Konten bis zu 27 Milliarden auf russische Unternehmen und Privatpersonen. In Russland kursiert die Meinung, die EU habe Zypern die Zwangsabgabe absichtlich aufdrängen wollen, um die Russen zu treffen. "Dahinter steht eine politische Berechnung, Zypern als selbständiges Finanzzentrum zu vernichten", glaubt etwa der Ökonom Andrej Bunitsch, "damit will man Schwierigkeiten schaffen für alle russischen Firmen und Privatpersonen, die über Zypern Geschäfte abwickeln."

Die Finanz-Krise um Zypern könnte das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen der EU und Russland noch weiter verschlechtern, fürchten Beobachter im Westen. "Eigentlich wäre es eine Gelegenheit für beide Seiten, eng zusammenzuarbeiten", sagt die Russlandexpertin Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik, "aber das Gegenteil ist der Fall: Die EU macht einen Vorschlag, Russland reagiert empört." In der russischen Öffentlichkeit werde die EU zunehmend als unfähig verlacht, weil sie die Euro-Krise nicht in den Griff bekomme. Russland nutze jede Gelegenheit, die Europäer vorzuführen: "Im Fall des Steuerflüchtlings Gérard Depardieu war das noch halb scherzhaft, jetzt ist es wesentlich ernster", sagt Stewart.

"Offshore"-Geschäfte

Doch auch Russland wird seine mögliche Finanzhilfe für Zypern an Bedingungen knüpfen. Putin sind die Kapitalflucht aus seinem Land und die undurchsichtigen "Offshore"-Geschäfte russischer Unternehmen ein Dorn im Auge. Moskau könnte in Gesprächen mit der zyprischen Regierung darauf dringen, dass eine Liste der Kontoinhaber weitergegeben wird. Vielleicht wird der Kreml auch versuchen, seine wirtschaftliche und strategische Position im Mittelmeerraum auszubauen.

Eine wichtige Rolle könnte dabei der Energieriese Gazprom spielen. Vor etwa zwei Jahren wurde bei Probebohrungen vor der Südküste Zyperns ein riesiges Erdgasvorkommen entdeckt. Seine Erschließung könnte den Energiebedarf der Insel für Jahrzehnte decken. Entwickelt Zypern eine eigenständige Gasindustrie, würde dadurch die Monopolstellung des russischen Energieriesen gefährdet.

Für Gazprom wäre eine Beteiligung deshalb attraktiv. Die Entdeckung von Schiefergas, die besonders in den USA einen Boom ausgelöst hat, könnte nach Einschätzung von Experten die Preise drücken. Für Gazprom und den russischen Staatshaushalt, dessen Einnahmen im Wesentlichen aus dem Energiesektor stammen, könnte das drastische Folgen haben.

Möglicherweise werden sich auch russische Banken an der Rettung zyprischer Geldhäuser beteiligen. Die Gazprombank dementierte aber Berichte, wonach sie Interesse an der Übernahme der zyprischen Bank Laiki habe.

(csi/felt/sap)
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