Erster EU-Asean-Gipfel in Brüssel In Zeiten des Krieges lernen Europa und Asien sich neu kennen

Brüssel · Südostasien liegt oft im Schatten der von den USA, China und Russland geprägten Weltpolitik. Angesichts der Krisen versuchen die EU- und die Asean-Staaten einen engeren wirtschaftlichen und strategischen Schulterschluss. Dazu gab es in Brüssel eine Gipfel-Premiere.

 Bei der Eröffnung des ersten EU-Asean-Gipfels im Vollformat spricht EU-Ratspräsident Charles Michel am Mittwoch in Brüssel mit Indonesiens Präsident Joko Widodo.

Bei der Eröffnung des ersten EU-Asean-Gipfels im Vollformat spricht EU-Ratspräsident Charles Michel am Mittwoch in Brüssel mit Indonesiens Präsident Joko Widodo.

Foto: AP/Geert Vanden Wijngaert

Zehn gelbe Reisrispen und zwölf goldene Sterne - eine ungewohnte Farbkombination empfängt die Staats- und Regierungschefs an diesem Mittwoch im Brüsseler Ratsgebäude zu einem Gipfel, den die Kommission im Vorfeld bereits als „historisch“ markiert hat. Es sind die Flaggen der EU und des Asean-Staatenbundes. Eigentlich geht es um ein Jubiläumstreffen zum 45-jährigen Bestehen diplomatischer Beziehungen. Doch eine solche Präsenz nahezu aller Hauptverantwortlichen ist eine Premiere. Die einen suchen nach mehr Verbündeten angesichts der russischen Aggression in Europa, die anderen angesichts des zunehmenden Drucks Chinas im Indopazifik. Finden die Kontinente nun besser und schneller zusammen?

„Wir müssen mehr liefern“, meint EU-Außenbeauftragter Josep Borrell schuldbewusst kurz vor Beginn des Treffens. Australien und Neuseeland haben gerade gezeigt, wie man mit den Asean-Staaten ein Handelsabkommen zügig zustande bringt. Die EU hat bislang nur eines mit Singapur und eines mit Vietnam, die Verhandlungen mit Indonesien, Thailand, Malaysia und den Philippinen laufen seit einem Jahrzehnt und kommen nicht voran. Mit dem Zusammenschluss aller zehn Asean-Länder ist nicht mal eines angedacht. Dabei hätten die 450 Millionen Europäer und die 660 Millionen Asiaten von einem EU-ASEAN-Wirtschaftsraum viele Vorteile.

Schon diese Zahlen bewiesen, dass die Vorstellung von einer bipolaren Ära, in der sich alles um die USA und China drehe, an der Wirklichkeit vorbei gehe, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz am Morgen im Bundestag. Am Nachmittag ist er in doppelter Funktion unterwegs: Weil Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Halbfinale seiner Nationalmannschaft nach Katar jettet, lässt er sich in Brüssel von Scholz vertreten. Er hätte „gerne auch einen solchen Termin“ gehabt, sagt Scholz am Abend in Brüssel - mit Bedauern über das frühe Ausscheiden der deutschen Mannschaft.

So kann er sich in Brüssel intensiv um das Ausloten besserer wirtschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Europa und Südostasien kümmern. Das ist umso wichtiger geworden in Zeiten eines sich zuspitzenden Konfliktes zwischen den USA und China auf der einen Seite und einer viel Nervosität in Brüssel auslösenden US-Inflationsbekämpfung auf Kosten Europas.

Den gigantischen Seidenstraßen-Projekten Chinas, mit denen sich das Land weltweit Einfluss über Investitionen in örtliche Infrastruktur zu sichern versucht, stellt die EU ihr „Tor-zur-Welt“-Programm entgegen. Zehn Milliarden daraus sollen nun in die Asean-Länder gehen. Zudem wollen beide Seiten mit einem Aktionsplan versuchen, das jeweilige Verständnis von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und nachhaltiger Produktion anzugleichen. Bei den Investitionen ist unter anderem an Stromnetze und die digitale Infrastruktur gedacht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht in diesem Zusammenhang von einer Verbindung der beiden „Wachstumszonen“, bei der es vordringlich um saubere Energie mit Windparks und Solarkraftwerken gehe. Eine ganze Reihe von Punkten der Gipfelerklärung dreht sich um den Kampf gegen den Klimawandel. Auch Abkommen werden dazu am Nachmittag unterzeichnet.

„Ein regionales Freihandelsabkommen zwischen der EU und Asean bleibt unser gemeinsames langfristiges Ziel“, sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europa-Parlament, David McAllister (CDU), unserer Redaktion. Und Scholz unterstreich, sich dafür einsetzen zu wollen, dass hier „rasch“ Fortschritte erzielt werden. Nach 45 Jahren den ersten Gipfel über die Bühne zu bringen, gilt in dieser Hinsicht wenigstens schon einmal als „starkes Signal“, wie mehrere Gipfelteilnehmer betonen.

Daneben gewinnt die strategische Sicherheitspartnerschaft EU-Asean größere Bedeutung. Und zwar aus der Perspektive beider Organisationen. Bei der Verurteilung von Russlands Angriffskrieg hatte sich in der Vergangenheit nur Singapur der Sicht Europas angeschlossen und die Sanktionen mitgetragen. Beim Gipfel versuchen die EU-Gastgeber in Brüssel ihren Gesprächspartnern näher zu bringen, warum der Krieg gegen die Ukraine nicht nur eine europäische Angelegenheit sei, sondern der Angriff auf fundamentale völkerrechtliche Voraussetzungen des Zusammenlebens alle angehe. Das Abschlussdokument des Gipfels geht darauf nur indirekt ein, indem es etwa unterstreicht, dass sich die dynamisch wachsende indopazifische Region nur vollständig entwickeln könne, wenn sich alle an das internationale Recht hielten.

Zwar erklärt Asean-Chef Samdech Techo Hun Sen in Brüssel, eine regelbasierte internationale Ordnung solle offen, transparent und „für beide Seiten von Vorteil“ sein. Doch bei der Verurteilung des russischen Angriffskrieges ist der kambodschanische Regierungschef noch zurückhaltend und bevorzugt stattdessen das Eintreten für eine „friedliche Konfliktbeilegung durch Dialog“. In der 50 Punkte umfassenden gemeinsamen Abschlusserklärung kommt der Krieg „in der Ukraine“ erst an 46. Stelle vor - verbunden mit dem Hinweis auf „unterschiedliche Sichtweisen auf Situation und Sanktionen“.

Umso intensiver beruft sich Scholz auf das gemeinsame Bekenntnis, wonach die Regeln der Vereinten Nationen für jeden und überall gelten. Dagegen habe Putin mit seinem Angriffskrieg eindeutig verstoßen. Deshalb müsse er seine Truppen jetzt und vollständig aus der Ukraine zurückziehen.

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