60. Geburtstag des EU-Kommissars Günther Oettinger: "Wolfgang Schäuble wäre der richtige Mann"

Brüssel · Der CDU-Politiker spricht im Interview über seinen Geburtstag, die Koalitionsverhandlungen in der Bundesrepublik und warum er denkt, dass sein Parteifreund Wolfgang Schäuble der richtige Mann ist für die Stabilisierung der Eurozone, die Stärkung der Wirtschaft und die Sanierung der Staatsfinanzen.

Englisch-Patzer deutscher Politiker
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Herr Oettinger, Sie feiern heute (15. Oktober) Ihren 60. Geburtstag. Was wäre das schönste Geschenk, das die Kanzlerin Ihnen machen könnte?

Oettinger: Das Geschenk macht mir Angela Merkel , indem sie mich einlädt, sie in Sachen Generalrevision des deutschen Energierechts und einer Europäisierung der deutschen Energiepolitik zu beraten. Ich bin mir sicher, dass ich während der Koalitionsverhandlungen — egal mit welchen Partnern - für den Bereich der Energiepolitik nach meiner Meinung gefragt werde.

Was wäre für die Energiepolitik die bessere Regierungskoalition: Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün?

Oettinger: Ich habe bei den Grünen zahlreiche gute Freunde, die ich für ihre Intelligenz und ihre klare Linie schätze. Aber es spricht einiges dafür, dass für eine gute Energie- und Industriepolitik die Große Koalition das naheliegendere Bündnis wäre.

Warum?

Oettinger: Mit ihrer Energiepolitik sind die Grünen ein Garant für eine deindustrielle Entwicklung. Sie nehmen hohe Energiepreise in Kauf, lehnen Schiefergasproduktion ab und wollen Photovoltaik im Schwarzwaldseitental ohne Sonne haben. Durch die Mehrheit im Bundesrat sind die Sozialdemokraten zudem weit relevanter als die Grünen.

Die EEG-Umlage steigt 2014 auf 6,3 Cent. Eine Gefahr für den Standort Deutschland?

Oettinger: Ja . Deutschland ist auch deshalb so gut durch die Krise gekommen, weil die Bundesrepublik eine starke industrielle Wertschöpfung hat. Diese Basis unseres Erfolges ist in Gefahr. Die nicht mehr wettbewerbsfähigen Strompreise führen zu einer schleichenden De-Industrialisierung Deutschlands, die wir dringend stoppen müssen.

Ein Grund dafür ist langfristig Einspeisevergütung für Ökostrom-Produzenten, die weit über dem Börsenpreis liegt. Ist Sie mit Blick auf das EU-Wettbewerbsrecht haltbar?

Oettinger: Als Produzent von Solarstrom bekommt man Vorrang im Netz, einen garantierten Preis für 20 Jahre und eine Verpflichtung für Netzbetreiber, das Ganze an der Börse zu verkaufen. Da besteht die Gefahr der Überförderung. Die Ökostrom-Produzenten müssen langsam erwachsen werden und sich am Markt behaupten.

Wie soll das gehen?

Oettinger: Marktprämien wären ein Modell, das für mehr Wettbewerb sorgt. Sie würden weitgehend unabhängig davon vergeben, ob der Strom aus Wind-, Sonnenkraft oder anderen Quellen stammt und sie sichern den Produzenten einen Aufschlag zum Börsenpreis zu, aber keinen festen Abnahmepreis mehr.

Die Energie-Großverbraucher fürchten, dass die EU-Wettbewerbshüter ihre Befreiung von der EEG-Umlage als unerlaubte Beihilfe einstufen und kippen, was zu Milliarden-Mehrkosten führen würde. Zu recht?

Oettinger: Die Industrie braucht die Ermäßigungen und Befreiungen oder sie kann in Deutschland nicht mehr produzieren — und die Arbeitsplätze wären weg. Noch hat die Kommission kein förmliches Prüfverfahren eingeleitet. Aber wir haben Beschwerden aus Deutschland, denen wir nachgehen. Je schneller eine Koalitionsvereinbarung die Fördersysteme im EEG so reformiert, dass sie mit EU-Wettbewerbsrecht vereinbar sind, desto eher können weit gehende Eingriffe aus Brüssel vermieden werden.

Die Energiekonzerne wünschen sich einen Kapazitätsmarkt, das heißt sie wollen künftig nur für die Bereitstellung von Kraftwerkskapazität bezahlt werden. Ein sinnvoller Plan oder wird da nur mit einer neuen Subvention auf den Ökostrom-Subventionen reagiert?

Oettinger: Ich rate hier zur Vorsicht . Man sollte nicht ein Fördersystem durch ein zweites erweitern. Dann landen wir in der Planwirtschaft. Ziel muss es sein, fossile Kraftwerke im Markt wettbewerbsfähig zu halten. Wenn wir jedoch eine Förderung aufbauen, dann sollten wir dies grenzüberschreitend tun. Das heißt: Die Sicherstellung von Strom, wenn der Wind mal nicht bläst und die Sonne mal nicht scheint, darf nicht in derselben Region begrenzt gefördert werden. Vielmehr müssen die Potenziale von Nachbarregionen und Nachbarstaaten genutzt werden — durch Strombrücken so genannte Interkonnektoren.

Bei RWE gibt es Planspiele, aus der Braunkohle-Förderung vorzeitig auszusteigen. Sollte RWE mit Blick auf das Klima früher ausstiegen? Oder mit Blick auf die Versorgungssicherheit und Jobs an seinen Plänen festhalten?

Oettinger: Den Braunkohletagebau und die Kohleverstromung vorschnell zu beenden, wäre für Deutschland höchst unklug. Deutsche Kohlekraftwerke sind im Weltmaßstab relativ effizient und relativ sauber — etwa was Schwefeldioxid und Stickoxid-Emissionen angeht. Deswegen würde ich ungern sehen, dass Kohlekraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden — und in Indien, China und Russland mehr denn je laufen. Hinzu kommt: eine gewisse Menge Eigenkohle und nicht nur die Braunkohle aus Russland und Kolumbien — stärkt auch unsere Unabhängigkeit. Und das ist gut.

Die Chefs zehn führender Versorger haben gerade vor Blackouts als Folge verfehlter Energiepolitik gewarnt. Panikmache oder Realität?

Oettinger: Man muss diese Warnungen ernst nehmen. Ich glaube, dass die Energiewirtschaft und die Netzbetreiber mit hoher Kompetenz die Versorgungssicherheit gewährleisten. Aber die Gefahr von Blackouts wächst. Vielleicht ging es den Versorgern in der Vergangenheit zu gut — aber nun nicht mehr. Die Politik sollte mit Ihnen die Energiestrategie weiterentwickeln nicht gegen sie. Wir brauchen große Player neben unseren Stadtwerken. Denn dezentrale Lösungen alleine reichen nicht.

Sie haben mal die Fusion von RWE und EON angeregt, um große Player zu schaffen. Wäre jetzt in der Krise der richtige Zeitpunkt?

Oettinger: Über Fusionen entscheiden Aktionäre und Vorstände — nicht die Politik. Aber ich bin besorgt, dass die deutschen Energiekonzerne für die Champions League und im globalen Maßstab nicht wettbewerbsfähig genug sind. Das heißt: Wir brauchen eine Energieindustrie-Strategie.

Und ein Energieministerium, das sich darum kümmert?

Oettinger: Derzeit sind die Energiezuständigkeiten etwa für fossile Brennstoffe, Kraftwerke, Infrastruktur, Erneuerbare Energien oder Energieforschung zu stark zerstückelt. Eine Bündelung ist absolut wünschenswert, damit die nächste Regierung in Sachen Energie nach innen und in Europa mit einer Stimme sprechen kann. Das könnte in einem Energieministerium geschehen.

Wäre das ein Job für Sie?

Oettinger: Ich habe ein Mandat als EU-Kommissar, das noch ein Jahr bis zur Bildung einer neuen EU-Exekutive nach der Europawahl läuft. Danach sehen wir weiter. Ich fühle mich in Brüssel jedenfalls pudelwohl.

Wenn mit der SPD über eine Große Koalition verhandelt wird, dürfte es Streit geben, wer den nächsten deutschen Kommissar stellt. SPD-Mann Martin Schulz, derzeit EU-Parlamentspräsident drängt. Sollte Merkel auf den Posten für die Union pochen?

Oettinger: Als Befangener erteile ich da öffentlich keinen Rat. Aber ich glaube, dass der deutsche Kommissar in Brüssel in den nächsten Jahren sehr wichtig für die Sicherung unserer Wirtschaftskraft und für den Erfolg der europäischen Entwicklung ist.

Gerade die Südeuropäer hoffen, dass eine neue Regierung den strikten Sparkurs lockert. Die SPD hat schon Investitionsprogramme gefordert. Was raten Sie?

Oettinger: Ich erwarte, dass die neue Bundesregieurng den bisherigen Stabilisierungskurs für die Eurozone fortsetzt. Die Strategie des Fördern und Forderns , der finanziellen Hilfe gegen Reformen ist eine kluge Balance. Diese Politik ist richtig und zeigt erste Erfolge.

Heißt das auch, Wolfgang Schäuble soll Finanzminister bleiben?

Oettinger: In den nächsten Jahren wäre Wolfgang Schäuble für die Stabilisierung der Eurozone, die Stärkung unserer Wirtschaft und die Sanierung unserer Staatsfinanzen der richtige Mann. Ich hoffe, dass der neue Koalitionspartner der CDU/CSU akzeptiert, dass Wolfgang Schäuble im Amt bleibt. Denn er hat in Brüssel eine Autorität, die Deutschland und Europa in der Krise nutzt.

Muss die neue Regierung vor dem Advent stehen?

Oettinger: Koalitionsverhandlungen müssen gründlich sein. Aber jeder Tag, an dem die Regierung früher steht, ist ein gewonnener Tag für Deutschland und Europa. Denn die Tagesordnung in Brüssel ist sehr voll. Ab Ostern werden wegen der Europawahl dort keine wohl keine grossen Entscheidungen mehr getroffen. Das Zeitfenster bis dahin darf nicht zu eng werden.

Apropos volle Agenda: Gerade sorgt Deutschland für Unmut in der EU, weil es striktere Abgas-Grenzwerte für Pkw ausbremst und eine Einigung vom Juni wieder aufschnüren will. Ist es klug von der Kanzlerin, sich so klar zur Lobbyistin für Daimler und BMW zu machen?

Oettinger: Die Die Kanzlerin setzt sich für den Industriestandorts Deutschland ein. Das ist ihr gutes Recht. Übrigens sind Mercedes Benz oder BMW ja keine rein deutschen Arbeitgeber, sondern haben Produktionsstätten und Zulieferer in ganz Europa. Da geht es um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Industriearbeitsplätze.

Bei den Europawahlen gibt es erstmals Spitzenkandidaten, die bei einem Sieg ihrer Parteienfamilie auch Kommissionschef werden sollen. Bei den Sozialdemokraten wird es Martin Schulz, der auch schon Wahlkampf macht. Drohen die Konservativen ins Hintertreffen zu geraten?

Oettinger: In der SPD ist das Rennen weitgehend klar zumal es ja eine Selbstbewerbung gab. Bei den europäischen Konservativen — der EPP - gibt es einige erfolgreiche Regierungschef, die in Frage kommen. Nach den Wahlen in Luxemburg werden die Gremien im Winter in aller Ruhe entscheiden.

Heißt das: Jean-Claude Juncker wäre ein guter Spitzenkandidat?

Oettinger: Jean-Claude Juncker ist er einer der erfahrensten Europäer, ich schätze ihn sehr und mag ihn auch persönlich.. Klar ist: Wir sollten für die Kandidatur ein politisches Schwergewicht auswählen, denn Europa braucht Führung.

Haben Sie Angst, dass Europa durch einen Aufstieg der Radikalen und EU-Skeptiker nach der Europawahl unregierbar wird?

Oettinger: Der Aufstieg von Radikalen und Populisten in vielen EU-Ländern ist alarmierend. Deshalb kann ich nur davor warnen, bei der Europawahl Dampf abzulassen, weil sie vermeintlich nicht so wichtig ist. Das Europaparlament gewinnt weiter an Macht. Anti-europäische Parteien und Populisten von links und rechts zu stark werden zu lassen bedeutet, Europa und damit Deutschland in Europa zu schwächen.

Vor einiger Zeit waren alle einig, dass mehr Europa die richtige Lehre aus der Krise ist. Jetzt wird mehr über Renationalisierung von Zuständigkeiten geredet. Ein Kurswechsel?

Oettinger: Hoffentlich nicht. Ich rate den Mitgliedsstaaten, die europäische Gemeinschaftsmethode — also das Zusammenspiel von Kommission, Europäischem Parlament und Rat - zu akzeptieren und nicht auf ein Europa der Vaterländer und der zwischenstaatlichen Abmachungen zu setzen. Die entscheidende Frage ist, ob man den Vertrag von Lissabon über die Arbeitsweise der Union ändern sollte, was für eine politische Union nötig wäre. Mit 28 Entscheidungen in nationalen Parlamenten und sogar Volkentscheiden in manchen Ländern halte ich das derzeit für hochriskant. Deshalb rate ich uns, die nächsten Jahre auf der Grundlage des geltenden Vertrags weiter zu arbeiten.

(spol)
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