Nach der Wahl in Großbritannien Möglicher EU-Austritt rückt nun wieder in den Mittelpunkt

London · Die EU stellt sich nach David Camerons Sieg in Großbritannien auf mögliche Vertragsänderungen ein, um die Briten in ihrem Club zu halten.

David Cameron: Der Wahlsieger tut sich mit dem Jubeln schwer
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So jubelt Wahlsieger David Cameron

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Eigentlich hat die Brüsseler Kommission die britische Wahl als Routine behandeln wollen. Diese stelle, hob Margaritis Schinas als Sprecher von Jean-Claude Juncker am Freitagmittag an, "einen normalen Teil unseres demokratischen Alltags in Europa" dar. Durchhalten konnte er diese Linie nicht — dafür hängt für die EU zu viel an dem Ergebnis. Und dafür war es auch zu eindeutig.

David Cameron muss keine Rücksicht auf Koalitionspartner nehmen, die ihm theoretisch das den Wählern versprochene Referendum hätten ausreden können. Nun kann als sicher gelten, dass auf der Insel bis Ende 2017 darüber abgestimmt wird, ob es in der Union bleibt oder nicht — und Cameron eine Reform der Gemeinschaft verlangen wird, um seine Bürger damit von einem Verbleib zu überzeugen.

Junckers Sprecher: "Es liegt an den Mitgliedsstaaten"

In Brüssel ist man zu Zugeständnissen bereit. Juncker hat schon im Europawahlkampf zugesagt, einen "fairen Deal" mit Großbritannien anzustreben. Sein Sprecher bekräftigte nun diese Gesprächsbereitschaft: "Die EU-Kommission wird jeden Vorschlag und jede Forderung, die Großbritannien unterbreiten könnte, auf höfliche, freundliche und objektive Art prüfen."

So überraschend klar der Tory-Sieg auf der Insel ausfiel, so überraschend deutlich wurde am Freitag auf dem Kontinent die Möglichkeit einer umfassenden EU-Reform genannt. Als erster meldete sich dazu der CSU-Politiker Manfred Weber zu Wort, der im Europaparlament die Christdemokraten anführt: "Wir Europäer müssen anfangen darüber nachzudenken, ob es Zeit für eine größere Vertragsänderung ist."

Junckers Sprecher griff das auf: "Es liegt an den Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob jetzt der Moment für den nächsten großen verfassungsrechtlichen Schritt ist." Bei EU-Ratschef Donald Tusk ist diese Bereitschaft vorhanden: "Eine bessere EU ist nicht nur im Interesse Großbritanniens, sondern aller Mitgliedstaaten." Er werde Cameron unterstützen, die pragmatischen Briten mit einer EU-Reform vom Verbleib zu überzeugen, weil sie "sicherstellen, dass Europa eine Agenda des gesunden Menschenverstands verfolgt".

An einer Vertragsänderung hat auch Deutschland Interesse. Kanzlerin Angela Merkel hat mehrfach, aber bisher erfolgslos dafür plädiert, um die Währungsunion auf stabilere Füße zu stellen. In Brüssel wird bereits für den EU-Gipfel Ende Juni ein Vorschlagspapier erarbeitet. Camerons Reformwünsche könnten für die Kanzlerin die Gelegenheit sein, ihr Anliegen erneut zu forcieren — gegen Widerstände etwa aus Frankreich, wo in einem antieuropäisch aufgeladenen Umfeld möglicherweise eine Volksabstimmung darüber abgehalten werden müsste.

Die Frage nach der Personenfreizügigkeit

Eine rote Linie ist jedoch bereits gezogen. Weder in Berlin noch in Brüssel will man die vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts aufgeben. Doch könnten die britischen Vorschläge genau um die Personenfreizügigkeit kreisen, die auch arbeitslos gewordenen EU-Ausländer auf der Insel ein Recht auf Sozialleistungen einräumt. Dass dessen Missbrauch wie in Deutschland auch durch schärfere nationale Umsetzungsregeln bekämpft werden könnte, hat in der aufgeheizten britischen Einwanderungsdebatte bisher kaum eine Rolle gespielt.

"Ich hoffe sehr, dass Europa vor einem Referendum auf ernsthafte Art debattiert wird", sagt deshalb der Tory-Europaabgeordnete Timothy Kirkhope. "Bisher hat keine Partei die Briten hier richtig informiert." Seine deutsche Grünen-Kollegin Rebecca Harms sagt, Cameron trage nun große Verantwortung für "die Zukunft der Europäischen Union insgesamt".

EU-Kommissar Günther Oettinger ist optimistisch, dass er sie auch wahrnimmt: "Camerons klares Mandat stärkt unsere Erwartung, dass er das Referendum konstruktiv vorbereiten kann mit dem Ziel, Großbritannien in der EU zu halten", sagte er unserer Redajktion: "Das ist im Interesse von Gesellschaft und Wirtschaft Großbritanniens sowie ganz Europas."

(cz)
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