Griechenland und das Referendum Am Tag danach

Athen · Für Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras war das Referendum ein Erfolg. Das Volk hofft nun auf schnelle Hilfen – denn die Not bleibt.

"Das Votum selbst regelt nichts"
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Für Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras war das Referendum ein Erfolg. Das Volk hofft nun auf schnelle Hilfen — denn die Not bleibt.

Strahlend blau war am Montag´morgen der Himmel über der Akropolis, aber am politischen Firmament Griechenlands zogen dunkle Wolken auf. Seit in der Volksabstimmung vom Sonntag mehr als sechs von zehn Wählern die Spar- und Reformauflagen der Geldgeber zurückwiesen, ist Griechenlands Zukunft ungewisser denn je seit dem Ende der Militärdiktatur vor 41 Jahren.

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Als das Ergebnis der Abstimmung am Sonntagabend bekannt wurde, strömten Tausende Menschen in Athen zum Syntagmaplatz. Viele schwenkten griechische Nationalflaggen und hielten Plakate mit dem Wort "Ochi" (Nein) in die Höhe. Einige junge Menschen tanzten zwar zu dem alten italienischen Partisanenlied "Bella Ciao". Große Ausgelassenheit war aber ansonsten nicht zu spüren. Premier Alexis Tsipras hat zwar mit diesem Wahlerfolg seine Rolle als die einzig dominierende Figur auf der politischen Bühne Griechenlands unterstrichen. Im Linksbündnis Syriza steht Tsipras unumstrittener und stärker da als je zuvor.

Aber als am Montag die Menschen zur Arbeit gingen, war die unfreundliche Wirklichkeit wieder präsent: Schlangen vor den Geldautomaten, Hamsterkäufe in den Supermärkten. "Das Referendum hat keines unserer Probleme gelöst", stellte ein Kioskbesitzer am Syntagmaplatz fest. An der Markise seiner Bude hingen die Tageszeitungen. Das Blatt "Dimokratia" erschien mit der Schlagzeile: "Europa, hörst Du?" Die Zeitung "Ta Nea" titelte: "Reformen oder Grexit". Das Boulevardblatt "Eleftheros Typos" sah "Die Heimat in Gefahr". Die meisten Menschen wissen wohl: Tsipras' Versprechen, er werde nun "innerhalb von 48 Stunden" eine Einigung mit den Geldgebern aushandeln, darf man nicht für bare Münze nehmen.

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Das Ergebnis des Referendums löste hektische politische Aktivitäten in Athen aus. Der konservative Oppositionsführer und Ex-Premier Antonis Samaras, der für ein Ja gekämpft hatte, legte noch am Sonntagabend den Parteivorsitz nieder. Am Montagmorgen erklärte dann Finanzminister Gianis Varoufakis seinen Rücktritt — nicht ganz freiwillig, wie es scheint. Premier Alexis Tsipras hatte wohl eingesehen, dass sein schon lange umstrittener Kassenwart untragbar war, seit er am Samstag den Geldgebern Griechenlands "Terrorismus" vorgeworfen hatte.

Nach der Polarisierung vor der Volksabstimmung, die Griechenland tief gespalten hat, versucht Tsipras nun Brücken zu bauen. Auf seine Initiative trafen sich die Vorsitzenden aller Parlamentsparteien am Montag unter Vorsitz von Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos. In dem fünfeinhalbstündigen Treffen verständigte man sich auf eine gemeinsame Linie, mit der Tsipras heute in den Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone gehen soll. Damit einigten sich die wichtigsten Parlamentsparteien erstmals seit Beginn der Krise auf einen Kurs. Die gemeinsamen Vorschläge der Parteiführer betreffen die Sicherung der Liquidität der griechischen Banken, weitere Hilfskredite, Reformen und Sparmaßnahmen sowie Schuldenerleichterungen. Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt.

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Tsipras interpretiert das Nein des Referendums nicht als Absage an den Euro oder die EU, im Gegenteil: Das Ergebnis sei "kein Bruch mit Europa", sagte Tsipras am Sonntagabend und versicherte: "Morgen kehren wir an den Verhandlungstisch zurück." Unklar war aber, worüber die griechische Regierung verhandeln will. Das letzte Angebot der Gläubiger liegt nicht mehr auf dem Tisch, seit das Griechenland-Rettungsprogramm vor einer Woche ersatzlos auslief und die noch verfügbaren Hilfsgelder verfielen. Der einzige Weg, die Gespräche wieder in Gang zu bringen, wäre jetzt wohl ein neuer griechischer Vorschlag. Vize-Finanzminister Dimitris Mardas unterstrich, Griechenland müsse jetzt mit einem Verhandlungsteam antreten, das eine "klar pro-europäische Orientierung" hat. Aus griechischer Sicht wird es bei den Verhandlungen darum gehen, den Gläubigern Schuldenerleichterungen abzuringen.

Am heutigen Dienstag wollen die Euro-Finanzminister tagen, bevor sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone um 18 Uhr in Brüssel zu dem Griechenland-Sondergipfel treffen. Große Sympathien werden Tsipras nicht entgegenschlagen, nachdem er seine Partner in den vergangenen Tagen beschuldigte, sie wollten die Griechen "erpressen" und "demütigen". Aber das Treffen dürfte Aufschlüsse darüber bringen, wie es nun weitergehen soll im Verhältnis der EU zu ihrem schwierigsten Mitglied. Der Zeitdruck ist größer denn je. Die Defizite im Staatshaushalt wachsen von Tag zu Tag, die Steuereinnahmen brechen weg, die Kassen in Athen sind leer. Damit wächst der Kreditbedarf. Am Freitag muss Griechenland Geldmarktpapiere im Volumen von zwei Milliarden Euro refinanzieren.

Vorrang hat jetzt aber die Stabilisierung des schwer angeschlagenen Bankensystems. Das Geld in den Bankautomaten geht zur Neige. Mit Hoffnung und Bangen blicken die Griechen nun nach Frankfurt auf die Europäische Zentralbank. Von ihren Notkrediten hängt ab, wie lange noch Banknoten aus den griechischen Geldautomaten kommen.

(gh)
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