Europa-Sternfahrt Frank Vollmers Weg nach Straßburg (4)

(RP). Was bedeutet Europa den Europäern? Welche Sorgen, welche Hoffnungen haben sie? Drei Autoren unserer Redaktion haben den Kontinent erkundet. Frank Vollmer ist von Catania nach Straßburg aufgebrochen.

Frank Vollmers Weg nach Straßburg
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Kilometer 1612: Kranjska Gora/Kronau

Slowenien ist ein kleines Land, gerade mal so groß wie Hessen oder Rheinland-Pfalz. Aber auf meinen gut 120 Kilometern auf slowenischen Straßen sehe ich, grob geschätzt, so viele Plakate zur Europawahl wie im ganzen großen Italien. Das mag daran liegen, dass für die Staaten, die bis 1990 hinter dem Eisernen Vorhang lagen, das europäische Projekt immer noch einen anderen Stellenwert hat als für uns satte Westler. In Kranjska Gora zum Beispiel, dem Wintersportzentrum ganz im Norden Sloweniens, steht ein riesiges Werbeplakat der konservativen Oppositionspartei SDS, mit dem europäischen Sternenkranz und Herz. Plakate sieht man aber auch in kleinen Bergdörfern am Oberlauf des Isonzo, der hier Soca heißt, unterhalb schroffer Felswände, neben Campingplätzen und Rafting-Stationen. Es scheint so, als sei Slowenien auf seinem weiten Weg nach Europa schon ein großes Stück vorangekommen.

Kilometer 1620: Wurzenpass

Dies war einmal der Eiserne Vorhang. Jetzt weht hier nur noch ein laues Lüftchen. Der Wurzenpass, slowenisch Korensko Sedlo, ist der Übergang von Slowenien nach Österreich. Die Grenzhäuschen stehen noch, die Grenzer aber sind längst abgezogen. Stattdessen steht hier heute ein großes grünes Schild mit der Aufschrift "Auf Wiedersehen" in drei Sprachen. Darunter der Spruch "I feel Slovenia", wobei im "Slovenia" der zweite bis fünfte Buchstabe besonders hervorgehoben ist, so dass man erst einmal liest "I feel love". Es gibt immer noch Momente, in denen man kurz spürt, wie unglaublich das eigentlich ist, dass man hier heute mit dem Auto einfach durchfahren kann, von Europa nach Europa. Dies ist so ein Moment.

Kilometer 1988: Linz

Harald Gebhartl möchte nicht nach Südafrika. Genau das aber habe man ihm vorgeschlagen, erzählt der Künstlerische Leiter des Theaters Phönix in Linz: "Das gesamte Theater sollte nach Südafrika geschickt werden, um dort Workshops zu veranstalten." Der Vorschlag kam von den Organisatoren des Großprojekts "Europäische Kulturhauptstadt" - Linz trägt 2009 diesen stolzen Titel. Auf diesem Wege habe man wohl das Theater für Aufführungen und Projekte der Kulturhauptstadt nutzen wollen, vermutet Gebhartl. Der Theaterchef jedenfalls lehnte ab — und stieg aus den Vorbereitungen für "Linz '09" aus. Das Tischtuch zwischen ihm und den Organisatoren um den Schweizer Intendanten Martin Heller ist mittlerweile zerschnitten: Linz '09 sei letztlich eine "Tourismusfalle", sagt Gebhartl.Die Südafrika-Episode ist für ihn ein Symptom, dass bei Linz '09 in Sachen Kommunikation einiges schiefläuft: "Das 09er-Team hat eine große Chance vertan. In dieser Stadt gibt es großartige Künstler, die es verdient gehabt hätten, im positivsten aller Sinne ausgestellt zu werden." Stattdessen aber sei das Kulturhauptstadtjahr "ein einziges Gastspiel" von Auswärtigen.

Linz an der schönen blauen Donau (die heute eher grauschwarz ist, aber das liegt nur am schlechten Wetter) ist eine kleine Kulturhauptstadt, denn Linz hat nur etwa 190 000 Einwohner. Damit ist es gleichwohl Österreichs drittgrößte Stadt nach Wien und Graz. Linz will sich als Metropole des europäischen Geistes präsentieren. Linz will hoch hinaus — nicht nur grundsätzlich in diesem Jahr, sondern heute ganz konkret. Auf einem Parkhaus ist ein Riesenrad montiert, von dem aus die Besucher einen ganz anderen Blick auf ihr Linz bekommen sollen. Von dort kann man dann auf Holzstegen einen Kunst-Parcours zwar nicht über den Dächern von Nizza, aber doch über den Dächern von Linz zurücklegen. "Höhenrausch" nennt sich das Ganze und ist eins von etwa 1600 Einzelprojekten dieses Linzer Jahres. Genau da setzt die Kritik an: Linz '09 fehle der rote Faden, sagt etwa Conrad Lienhardt, 50, Unternehmensberater aus Passau, der seit 20 Jahren in Linz lebt. "Zusammenhänge sind für mich kaum sichtbar", sagt Harald Gebhartl. Intendant Heller selbst kontert: "Wir sind doch kein Gemeindefest, das ein Motto braucht. Wer erinnert sich zum Beispiel noch an das Motto der Kulturhauptstadt Graz 2003?" Auch die Sammelsurium-Kritik kann Heller nicht nachvollziehen: "Man muss die Stadt mit sich selbst konfrontieren."

Was von Linz '09 bleibt? Die Kritiker wie Gebhartl sagen: nichts als Schulden. Irgendwie europäischer sei die Stadt jedenfalls nicht geworden. "Ich weiß es nicht", sagt Martin Heller, gefragt nach der Nachhaltigkeit von Linz '09. "Ein Jahr ist eine kurze Zeit." Linz tut sich noch schwer mit Europa. Von "Berührungsängsten" spricht denn auch Hans Aigner. Er leitet das Europa-Büro von Oberösterreich und ist damit so etwas wie der oberste Wahlwerber des Bundeslands. Streit um tschechische Atomanlagen, Angst vor mehr Kriminalität nach dem Wegfall der Grenzkontrollen, Sorge um die Abwanderung von Arbeitsplätzen — all das hemme die Europa-Begeisterung. Dabei kommen immer mehr Pendler zur Arbeit über die Grenze, und immer mehr oberösterreichische Industriebetriebe verarbeiten Teile aus tschechischen Fabriken — die Grenze ist nur 40 Kilometer entfernt. Eine deutsch-österreichisch-tschechische Europaregion soll die Kooperation noch vertiefen. Dennoch ist Aigner, was die Wahl angeht, skeptisch: "Wir hoffen, die Beteiligung von 2004 zu halten. Das wären etwa 42 Prozent." Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: "Alles unter 40 Prozent wäre eine Blamage."

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