Migration in Südosteuropa Erdogan fordert von Merkel Überarbeitung des Flüchtlingsabkommens

Ankara · Der türkische Präsident hat nach Angaben des Präsidialamtes Kanzlerin Angela Merkel erklärt, das Flüchtlingsabkommen mit der EU müsse überarbeitet werden. Erdogan habe Merkel in einem Telefonat gesagt, das ausgehandelte Abkommen würde nicht mehr funktionieren.

 Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Archivbild).

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (Archivbild).

Foto: dpa/Pavel Golovkin

Von der Bundesregierung war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

Erdogan habe Merkel gesagt, dass die zwischen Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenruhe in der syrischen Provinz Idlib auf den Schutz von Zivilisten und der türkischen Truppen abziele, hieß es weiter. Die Kämpfe zwischen der mit Russland verbündeten syrischen Armee und von der Türkei unterstützen Rebellen haben eine neue Flüchtlingswelle ausgelöst. Dies war unter anderem Grund für Erdogan, die Grenzen zur EU für Flüchtlinge und Migranten zu öffnen.

Das vor knapp vier Jahren ausgehandelte Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU sieht Hilfen für die in der Türkei lebenden Flüchtlinge im Umfang von sechs Milliarden Euro vor. Die Türkei hatte sich im Gegenzug verpflichtet, illegale Grenzübertritte zu verhindern. Die Türkei hat mit 3,6 Millionen Syrern die meisten Menschen aus dem Bürgerkriegsland aufgenommen.

Zudem hat der türkische Präsident nach der Öffnung der Grenzen seines Landes zur EU die Küstenwache angewiesen, Flüchtlinge und Migranten nicht mehr mit Booten die Ägäis durchqueren zu lassen. Gemeint ist die Überfahrt nach Griechenland, also in die EU. Das ging aus einer am Freitagabend veröffentlichten Stellungnahme der Küstenwache hervor. „Illegale Migranten-Überfahrten durch die Ägäis sind wegen der Risiken nicht erlaubt (...)“, heißt es unter Berufung auf eine Anweisung des Präsidenten. Der Innenminister werde die Umsetzung überwachen.

Als Rücknahme der am Samstag verkündeten einseitigen Öffnung der Grenzen zur EU für Flüchtlinge und andere Migranten scheint das zunächst nicht gemeint zu sein. Das „Prinzip der Nicht-Einmischung“, wenn Migranten illegal das Land verlassen wollten, gelte weiter, heißt es in der Stellungnahme weiter. Diese Herangehensweise decke aber wegen der „lebensbedrohliche Gefahr“ Seereisen nicht ab.

In dem Text auf ihrer Webseite beschuldigt die Küstenwache Griechenland, Flüchtlingsboote in Gefahr zu bringen. Sie hat nach dieser Darstellung am 5. März 97 Migranten von drei Booten gerettet, die von Griechenland halb gesunken zurückgelassen worden seien.

Erdogan hatte in einem am Freitag vom Präsidialamt veröffentlichten Transkript eines Gesprächs mit Journalisten ausweichend auf die Frage geantwortet, unter welchen Umständen er Migranten nicht mehr in Richtung griechische Grenze durchlassen würde. „Zunächst mal haben wir keine Zeit, mit der griechischen Seite zu diskutieren „Ist die offene Tür jetzt zu?“ - diese Sache ist jetzt vorbei. Wir haben jetzt die Türen geöffnet“, sagte er. Ein türkischer Journalist in der Delegation hatte die Frage gestellt, welchen Schritt der EU Erdogan als ausreichend erachten würde, um die Grenzen wieder zu schließen.

Erdogan beschuldigte Griechenland in dem Transkript-Interview auch, bei ihrer Reaktion auf den Andrang an der türkisch-griechischen Grenze „grausam“ vorzugehen. „Soweit ich folgen kann, haben sie mindestens fünf (Flüchtlinge) getötet.“ Türkische Vorwürfe vom Mittwoch, griechische Grenzbeamte hätten scharf geschossen und einen Migranten getötet, hatte Griechenland kategorisch zurückgewiesen.

Erdogan hatte am Samstag gesagt, die Grenzen seien offen, denn die Türkei könne so viele Flüchtlinge nicht versorgen. Sie hat mehr als 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Außerdem leben in der Türkei viele Flüchtlinge und andere Migranten aus Afghanistan und anderen Ländern. Auf Erdogans Ankündigung hin hatten sich Tausende Menschen auf den Weg zur griechisch-türkischen Grenze gemacht.

An der Grenze bleibt die Lage angespannt. In der Nacht zum Freitag sollen einem türkischen Medienbericht zufolge 1000 weitere türkische Polizisten an der Grenze zu Griechenland eingesetzt worden sein. Die zusätzlichen Beamten sollten gegen sogenannte „Push-Backs“ von Migranten vorgehen, hatte der türkische Innenminister Süleyman Soylu am Donnerstag angekündigt. Sie seien auf dem Grenzfluss nun mit Booten unterwegs, berichtete der Sender Habertürk. Griechische Medien konnten solch einen Einsatz jedoch bisher nicht beobachten.

Am Freitagmorgen lag der griechische Grenzposten Kastanies zwischenzeitlich in Schwaden von Tränengas, das von der türkischen Seite aus über die Grenze geschossen wurde, wie Bilder des griechischen Fernsehsenders Skai zeigten. Später waren auf der türkischen Seite junge Männer mit Sprechchören und Gesängen zu hören - für Reporter in mehreren Hundert Metern Entfernung jedoch nicht verständlich. Und dann wieder: angespannte Ruhe.

Innenminister Soylu twitterte am Freitag, rund 142.000 Menschen hätten die Grenze überquert, seit Erdogan die türkische Grenze am Samstag für geöffnet erklärt hatte. Die Zahlen der Regierung sind nicht zu verifizieren und sehr viel größer als Zählungen auf der griechischen Seite. Da ist von weniger als 100 Personen die Rede, die festgenommen wurden, und von rund 30.000 illegalen Grenzübertritten, die seit dem Wochenende verhindert worden seien. Wie diese Zählungen zustande kommen, ist ebenfalls unbekannt.

Wie viele Migranten sich noch im Grenzgebiet aufhalten, ist unklar. Eine dpa-Reporterin vor Ort hatte am Donnerstag berichtet, die größte Ansammlung befinde sich am Übergang Pazarkule/Kastanies. Habertürk berichtete am Freitag ohne Quellenangaben, bei Pazarkule hielten sich derzeit etwa 5000 Menschen auf. Am Sonntag habe es dort noch nach 10.000 bis 15.000 Menschen ausgesehen, hatte zuvor eine Sprecherin der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gesagt. Seither hat IOM keine Zahlen mehr veröffentlicht. Journalisten wurden seit Donnerstagfrüh nicht mehr ins Gebiet um den Übergang hineingelassen.

Auf den Inseln der östlichen Ägäis blieb es in den vergangenen Tagen vor allem wegen starken Winden ruhig. Auf Lesbos kamen am Donnerstag Schlauchboote mit 42 Migranten an. Allerdings hatten am Wochenende laut griechischem Bürgerschutzministerium 1566 Menschen illegal von der Türkei aus zu den Inseln übergesetzt.

(felt/Reuters)
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