Flüchtlingspolitik Juncker kritisiert Tatenlosigkeit der EU-Regierungschefs

Hamburg · Deutliche Worte am Weltflüchtlingstag: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat die EU-Staats- und Regierungschefs in der Flüchtlingsfrage scharf kritisiert.

"Es reicht nicht, abends vor den Fernsehschirmen zu weinen, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, und am nächsten Morgen im Rat eine Gedenkminute abzuhalten", sagte Juncker dem "Spiegel" in der neuen Ausgabe. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD) forderte mehr Aufmerksamkeit für Flüchtlingskrisen weltweit.

Vor dem EU-Gipfel in der kommenden Woche, bei dem es auch um die Flüchtlingsfrage geht, kündigte Juncker an, dass die EU-Kommission trotz des Widerstandes in vielen Hauptstädten an den Plänen für eine verpflichtende Quote zur Verteilung von Flüchtlingen festhalten werde. "Auch wenn uns der nächste Europäische Rat in die Schranken weist, werden wir das Feld nicht räumen", sagte Juncker. Der EU-Gipfel findet am kommenden Donnerstag und Freitag in Brüssel statt.

Auch Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel, der im Juli die halbjährliche EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, kritisierte seine Kollegen im Europäischen Rat. Die anfangs gezeigte Solidarität nach der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer sei "in den letzten Wochen schnell verpufft", sagte Bettel dem Nachrichtenmagazin. "Wenn der Ratspräsident mit dem Taschenrechner ausrechnen muss, ob überhaupt eine Mehrheit für Solidarität mit den Flüchtlingen zusammenkommt, dann schäme ich mich."

"Nahezu täglich erreichen uns neue Schreckensmeldungen über Flüchtlingsströme aus Syrien und Irak, wo die Menschen versuchen, ihr Leben und das ihrer Nächsten vor der alltäglichen Gewalt zu retten", erklärte Strässer. Daneben gebe es aber auch Missstände in "einer Vielzahl anderer Regionen", die mitunter als "vergessene Krisen" bezeichnet würden. Als Beispiele nannte er Afghanistan, Somalia, den Sudan, den Südsudan, die Demokratische Republik Kongo und Myanmar.

Weltweit sind nach UN-Angaben etwa 60 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, beinahe 20 Millionen seien Flüchtlinge, die internationale Grenzen passiert hätten, die Hälfte davon Kinder. Trotz der Tragödien "verschließen einige Länder, die in der Lage wären zu helfen, ihre Tore", kritisierte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.

Strässer erklärte, dass im vergangenen Jahr mehr als 400 Millionen Euro vom Auswärtigen Amt für humanitäre Hilfe im Ausland bereitgestellt worden seien. Ein großer Teil davon komme Flüchtlingen zugute.

Nach Angaben von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) stellte Deutschland in den vergangenen 18 Monaten allein rund 650 Millionen Euro für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak zur Verfügung. Die Hilfen seien in 150 Soforthilfeprojekte geflossen, vor allem nach Jordanien und in den Libanon, sagte Müller der "Mittelbayerischen Zeitung". Populistische Forderungen nach einem Aufnahmestopp für Flüchtlinge nannte der Minister "dumpfes, unverantwortliches Geschrei".

Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), kritisierte eine geplante Aktion einer Künstlergruppe mit exhumierten Leichen im Mittelmeer ertrunkener Flüchtlinge vor dem Bundeskanzleramt. Sie habe zwar "Verständnis für die Wut der Aktivisten", sagte sie der Zeitung "Die Welt". "Ein Spektakel mit Leichen" überschreite aber "eine moralische Grenze".

Aktivisten des sogenannten Zentrums für politische Schönheit wollen am Sonntag vor dem Kanzleramt eine Gedenkstätte für unbekannte Einwanderer errichten. Vorher soll ein sogenannter Marsch der Entschlossenen stattfinden, dabei wollen die Aktivisten angeblich exhumierte Flüchtlingsleichen mitführen, um auf das Schicksal ertrunkener Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Nun hat die Polizei die Aktion verboten - jedenfalls weitgehend.

Wie "Spiegel Online" meldet, hat die Berliner Polizei die Beerdigungs-Aktion verboten. Zudem dürfe der Demonstrationszug nur bis kurz vor das Kanzleramt führen, das Mitführen von Baggern und Leichen sei nicht erlaubt, heißt es demnach in einem Auflagenbescheid, der Polizei.

(AFP)
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