Was junge Europa-Kritiker sagen Jung, deutsch, EU-Gegner

Köln/Dortmund · Carlo Clemens und Jens Jaschik vertreten in so ziemlich jedem Politikbereich das genaue Gegenteil des anderen. Nur in einem sind sie sich einig: Beide lehnen die Europäische Union ab.

 Carlo Clemens, Sprecher der Jungen Alternative NRW.

Carlo Clemens, Sprecher der Jungen Alternative NRW.

Foto: RP/Marc Latsch

Wenn Carlo Clemens über Europa spricht, gerät er ins Schwärmen. Dann geht es um Geschichte, Kunst, Kultur und um Almdudler. Die erste Reise als Kind in das fremde Österreich mit anderen Straßenschildern, dem Dialekt und dieser „leckeren Limonade“. Clemens gibt sich weltbürgerlich – seine Freundin kommt aus Polen, seine Mutter von den Philippinen. Freier Handel und kultureller Austausch, das mache Europa aus. Europa, nicht die EU. Clemens ist Sprecher der Jungen Alternative (JA) NRW, der AfD-Jugendorganisation. Sie fordert die Auflösung der EU.

Wenn im Mai ein neues Europaparlament gewählt wird, ist der Fall der Berliner Mauer bald 30 Jahre her. Für junge Menschen ist das geeinte Europa eine Selbstverständlichkeit. Und doch lehnt ein Teil von ihnen die EU ab. Zum Beispiel Carlo Clemens, Lehramts-Absolvent, 29, und Jens Jaschik, 23, Geschichts- und Philosophiestudent.

Jaschik ist seit drei Jahren Sprecher von Solid NRW, der Jugendorganisation der Linken. „Die EU ist nicht dafür da, dass es der Mehrheit der Menschen gut geht, sondern einer kleinen reichen Schicht – den Chefs der Banken und Konzerne“, sagt Jaschik. Sein politisches Interesse begann mit der Eurokrise. Er ärgerte sich über die Griechenland-Politik. Die Sozialkürzungen für die Griechen waren ihm zu hart. „Deutsche Konzerne haben vom Leid der Menschen profitiert“, sagt er.

 Jens Jaschik - Sprecher Solid NRW.

Jens Jaschik - Sprecher Solid NRW.

Foto: RP/Özge Kabukcu

Carlo Clemens hingegen sagt: „Ich will ein Europa der freien und souveränen Nationalstaaten, in dem freier Handel herrscht und die Menschen reisen können.“ Auch er ärgerte sich über die Griechenland-Politik. Ihm waren sie zu solidarisch. „Damals ist mir Bernd Lucke in einer Talkshow zu dem Thema aufgefallen. Er war sachlich, seine Argumente waren stichhaltig, und die alten Parteien waren alle gegen ihn“, sagt Clemens. Der AfD-Gründer Lucke begeisterte ihn. Clemens wurde Parteimitglied und blieb es auch nach Luckes Austritt. „Die Inhalte blieben ja gleich“, sagt er.

Carlo Clemens vertritt in so ziemlich jedem Politikfeld das genaue Gegenteil von Jens Jaschik. Clemens ist wirtschaftsliberal, glaubt an Nationalstaaten und kulturelle Unterschiede. Jaschik ist Sozialist, glaubt an die Internationale und offene Grenzen. Die Eurokrise bestätigte Jaschik in seiner linken Weltanschauung und Clemens in seiner rechten. Und sie machte beide zu EU-Gegnern.

Wenn es um Europa geht, reden beide gerne über Wirtschaft. Doch ihre Ablehnung der EU ist grundsätzlicher. Clemens gefällt sich nicht in der Rolle des deutschtümelnden AfDlers. „Ich sehe das als Trias: Region, Nation, Europa. Ich bin gebürtiger Oberfranke und Wahlrheinländer, hier fühle ich Heimat“, sagt er. Er fühle sich Deutschland politisch verpflichtet und „dem europäischen Abendland“ kulturell verbunden. Clemens lobt Portugiesen in seiner Geburtsstadt Bamberg, redet von „kulturell kompatiblen“ Einwanderern. Er macht allerdings auch klar, wen er für nicht passend hält: „Der Migrationsdruck, vor allem aus Afrika, ist eine große Herausforderung. Es darf keine grenzenlose Masseneinwanderung geben, die die kulturelle Prägung der angestammten Völker in Europa verdrängt“, sagt er.

Clemens spricht durchweg positiv von den Eigenarten europäischer Länder und Kulturen. Doch sein Lob endet an den Grenzen Europas, oder eher denen des christlichen Einflussbereiches. Spricht er von muslimischen Einwanderern, klingt das so: „Es fängt damit an, dass es aus Rücksicht kein Schweinefleisch in der Kantine gibt. Dann gibt es separate Zeiten für Frauen und Männer im Schwimmbad. Schließlich werden Ehrenmorde ein Thema.“ Dagegen helfe nur Einwanderung nach klaren Regeln.

Spätestens bei der Einwanderungsfrage wird die EU-Kritik der beiden unversöhnlich. Clemens hofft auf einen Rechtsruck in Europa, lobt die Regierungen in Osteuropa, die keine Asylbewerber aufnehmen. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 die Grenze nach Österreich nicht geschlossen hat, hält er für politisch unverantwortlich. Mit den Folgen müsse Deutschland nun allein zurechtkommen. „Ich kann nicht eine Party feiern und, wenn die aus dem Ruder läuft, meinen Nachbarn sagen: Ihr müsst jetzt meine Gäste aufnehmen“, sagt er.

Jaschik kritisiert genau das. „Ich glaube, dass die EU im Kern sehr rassistisch ist“, sagt er. Zäune an der EU-Außengrenze findet er ebenso verwerflich wie die Arbeit von Frontex, der europäischen Grenz- und Küstenwache. „Alle, die keine EU-Bürger sind, müssen draußen bleiben. Das ist dann so etwas wie ein europäischer Nationalismus“, sagt Jaschik. „Eine Reform oder ein Neustart ist für diese EU nicht möglich.“

Die Ideen der beiden gehen weit über eine bloße Reform der Europäischen Union hinaus. Clemens denkt sich da eine „Einheit in der Vielfalt“, wie er sagt. Kleine Nationalstaaten, die miteinander Freihandel betreiben und gemeinsam die europäischen Außengrenzen verteidigen. Jaschik kann mit dem Konzept Europa ohnehin nicht allzu viel anfangen. Auf die Frage, ob er den Austritt Deutschlands aus der EU befürworten würde, sagt Jaschik direkt Ja – kein Zögern, kein Zweifel. Doch dürfe beim „Dexit“ die Verbindung zur sozialen Politik und dem linken Programm nicht fehlen. Bei ihm darf sich eine sozialistische Föderation gerne auf die gesamte Welt ausdehnen.

Auch Clemens würde für einen EU-Austritt Deutschlands stimmen, sollte sich die Staatengemeinschaft nicht nach seinen Vorstellungen reformieren lassen. Das käme einer Abschaffung der EU gleich – zumindest so wie wir sie heute kennen.

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