NRW-Ministerpräsident Laschet über die EU „Der Brexit trifft NRW besonders“

Düsseldorf · Die Abstimmung über das neue EU-Parlament ist eine Schicksalswahl. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet spricht im Interview über die Bedeutung der Europäischen Union für NRW.

 Armin Laschet (Archiv).

Armin Laschet (Archiv).

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Herr Ministerpräsident, in 200 Tagen ist Europawahl. Was würde aus unserem Bundesland Nordrhein-Westfalen, wenn es die EU nicht gäbe?

Armin Laschet Das ist ein Szenario, über das ich eigentlich gar nicht nachdenken möchte, zu groß und konkret sind all die Vorteile der Europäischen Union, gerade für Nordrhein-Westfalen. Europa, das bedeutet Frieden und Stabilität seit rund 70 Jahren. Europa steht für Wohlstand, für den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Ein Leben ohne Passkontrollen an Grenzübergängen und Flughäfen ist im Rest der Welt völlig undenkbar – in der EU seit Jahrzehnten die Regel. Mehr als 30.000 Bürgerinnen und Bürger aus den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen pendeln täglich über unsere gemeinsame Grenze. Wir können uns in anderen Ländern ausbilden lassen, wir können dort Schulen und Universitäten besuchen, wir können unseren Wohn- und Arbeitsort frei wählen. Die nordrhein-westfälischen Unternehmen haben uneingeschränkten Zugang zu Absatz- und Beschaffungsmärkten in der EU. Acht der zehn wichtigsten Exportziele unseres Landes liegen in der EU. Ohne den Binnenmarkt in der Union kaum vorstellbar. Und das sind nur einige von so vielen Beispielen dafür, warum Europa für Deutschland und für Nordrhein-Westfalen wichtig ist, warum wir uns zu Europa bekennen und es nicht seinen Feinden überlassen sollten. Wer Europa will, muss zur Wahl gehen und darf nicht darauf hoffen, dass dies andere tun werden. Das Brexit-Referendum hat gezeigt, was passiert, wenn manche Wählergruppen lieber zu Hause bleiben. Die Folgen bekommen nun insbesondere die Briten zu spüren.

Trotz des von Ihnen beschriebenen vitalen Interesses ist EU-Skepsis en vogue – hier zu Lande und noch viel stärker im Ausland. Warum ist das so? Wie kann man Sorgen begegnen, etwa hinsichtlich Migration, Euro-Krise, Schuldenpolitik in Südeuropa?

Laschet Wir sollten das Bild nicht schlechter zeichnen als es ist: In aktuellen Umfragen sehen europaweit zwei Drittel die Mitgliedschaft in der Europäischen Union positiv. Das ist der höchste Stand seit 35 Jahren. In Deutschland sind es über 80 Prozent. Leider habe ich den Eindruck, dass Europa nicht so gewürdigt wird, wie es das eigentlich verdient hätte. Manche sagen, die EU hat ein Image-Problem als „Bürokratiemonster“, sie sei häufig Prügelknabe für vermeintlich lebensfremde Entscheidungen. Wir müssen daran verstärkt arbeiten, die EU den Menschen besser zu erklären. Die Zögerlichen sagen: die Stimmung ist doch euroskeptisch. Meine Antwort: Dann müssen wir die Stimmung eben drehen – durch mutige Schritte im Interesse der Jugend Europas!

Was tut Ihre Regierung gegen die Europa-Skepsis?

Laschet Die Landesregierung hat den Anspruch, dass Nordrhein-Westfalen wieder zu einer treibenden Kraft in der Europapolitik und wichtiger Akteur bei der weiteren Ausgestaltung der Europäischen Union wird, zum Beispiel über unsere Landesvertretung in Brüssel. Wir wollen die Idee der europäischen Einigung in der nordrhein-westfälischen Zivilgesellschaft fester verankern, zum Beispiel gezielt durch Veranstaltungen von uns und durch Unterstützung proeuropäischer Initiativen und Akteure in unserem Land. Das ist der richtige Weg, um einer Europa-Skepsis zu begegnen. Zudem hat Nordrhein-Westfalen im Juli für ein Jahr den Vorsitz der Europaministerkonferenz übernommen. Die Europawahlen 2019 und die europapolitische Öffentlichkeitsarbeit sind ein Schwerpunktthema unseres nordrhein-westfälischen Vorsitzes. Über alle Länder und ihre jeweiligen politischen Farben hinweg haben wir uns darauf verständigt, für Europa aktiv zu werben und zu kämpfen. Viele unserer europapolitischen Veranstaltungen und Wettbewerbe werden bei ihrer nächsten Durchführung einen Schwerpunkt im Bereich der Europawahlen setzen.

In einem der wichtigsten EU-Länder haben die EU-Gegner gewonnen,Großbritannien scheidet aus. Was bedeutet das für NRW?

Laschet Der Brexit trifft uns in Nordrhein-Westfalen besonders. Einmal wegen unserer traditionell guten Verbindung zu Großbritannien. Die Briten haben unser Land schließlich gegründet. Aber auch weil unsere Wirtschaft besonders eng mit Großbritannien verflochten ist. Im letzten Jahr lag Großbritannien an dritter Stelle bei Exporten aus Nordrhein-Westfalen. Unser Ziel ist daher, auch nach dem Brexit so enge Beziehungen wie möglich zu erhalten. Mit Friedrich Merz als Brexit-Beauftragten der Landesregierung haben wir eine Persönlichkeit in unseren Reihen, der als renommierter Vermittler und Ansprechpartner für die britischen Unternehmen in Nordrhein-Westfalen und die nordrhein-westfälische Wirtschaft in Großbritannien fungiert und für den Standort Nordrhein-Westfalen wirbt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron gelten als Schlüsselfiguren beim Zusammenhalt der EU. Nun tritt die Kanzlerin nicht mehr an. Schwächt das die EU?

Laschet: Es ist sicher richtig, dass politische Erfolge häufig mit Personen verknüpft sind. Die deutsch-französische Zusammenarbeit hat aber trotz personeller Wechsel an ihrer Beständigkeit nicht verloren. Angela Merkel hat bereits mit vier französischen Präsidenten gut und erfolgreich zusammengearbeitet. Und irgendwann wird ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger sicherlich genauso eng mit dem französischen Präsidenten zusammenarbeiten. Gerade auch in und für Europa. Bis dahin wird die Bundeskanzlerin mit Emmanuel Macron weiter an den gemeinsamen Punkten zur Zukunft Europas arbeiten, wie sie beim deutsch-französischen Ministertreffen im Sommer beschlossen wurden. Frankreich und Deutschland wollen das Versprechen Europas für Sicherheit und Wohlstand erneuern. Ich selbst werde in den nächsten Tagen gleich zwei Mal nach Paris reisen und Vertreter der französischen Regierung treffen, einschließlich Präsident Macron.

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