UN-General wird Karlspreisträger 2019 Leiser, aber unermüdlicher Kämpfer für den Frieden

Aachen · Der Portugiese António Guterres erhält den renommierten Karlspreis 2019. Der UN-Generalsekretär wird für seinen Einsatz für Humanität und Frieden in der Welt geehrt. Diesen Kampf führt er leise, aber unermüdlich.

 Antonio Guterres Ende Januar in Davos.

Antonio Guterres Ende Januar in Davos.

Foto: AP/Markus Schreiber

Ein Mann, der dafür steht und sich einsetzt, was weltweit zunehmend gefährdet ist und sogar innerhalb der Europäischen Union neuer Impulse bedarf: Rücksicht, gemeinsame Werte und multilaterale Zusammenarbeit. Der Mann: António Guterres, UN-Generalsekretär und nach Überzeugung des Aachener Karlspreisdirektoriums ein „herausragender Streiter für das europäische Gesellschaftsmodell, für Pluralismus, Toleranz und Dialog, für offene und solidarische Gesellschaften“. Und darum wird der 69-jährige Portugiese am 30. Mai im Aachener Rathaus mit dem Internationalen Karlspreis ausgezeichnet.


Drei Perspektiven

Die Aachener Entscheidung überrascht im Jahr einer als schicksalshaft empfundenen Europawahl und des drohenden Brexits. Entsprechende Nachfragen zur Entscheidung des Direktoriums wischt dessen Vorsitzender Jürgen Linden beiseite: „Da gibt es nichts zu feiern. Wir hätten in dieser Phase keinen Besseren wählen können.“ Der Aachener UN-Experte Günther Unser, Politikwissenschaftler und Autor mehrerer Bücher über die EU und die Vereinten Nationen, spricht hingegen von einem „Armutszeugnis, dass man ausweicht auf jemanden, der mit dem eigentlichen Thema Europäische Einigung so gut wie nichts zu tun hat, dass man keine Persönlichkeit oder Institution gefunden hat, die sich um die europäische Einigung Verdienste erworben hat“.

Anders als im vorigen Jahr, als die Karlspreis-Verantwortlichen ausdrücklich politisch Druck auf Berlin ausüben wollten, die europapolitischen Reformvorschläge des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron endlich klar und entschlossen zu beantworten, setzen Oberbürgermeister Marcel Philipp und Linden jetzt auf die „großen Linien“, auf weite Perspektive. „Wir können mit diesem Preisträger gerade die Chancen erkennen, in multilateraler Zusammenarbeit globale Herausforderungen zu bewältigen“, sagt Philipp.

Insofern erläutern die beiden Sprecher des Karlspreisdirektoriums drei Perspektiven, die auf den Preisträger 2019 verweisen: das unbedingte Bekenntnis zu Offenheit und Gemeinsinn, das Engagement für Flüchtlinge weltweit und der Kampf gegen die Erderwärmung.

„In einer Zeit, in der universelle Rechte zunehmend untergraben werden und demokratische Grundsätze unter Druck geraten“, will Aachen mit Guterres in erster Linie ein deutliches Zeichen für internationale Zusammenarbeit, gegen Nationalismus, Abschottung und Protektionismus setzen. „Er ist ein Mann der Toleranz, des Dialogs und der Mitmenschlichkeit.“ Ob Guterres damit, wie Linden es formuliert, gegen „Putinismus“, „Trumpismus“ und dessen brasilianische Variante „Bolsonarismus“ steht, gegen die „Orbans, Kaczynskis, Salvinis und Le Pens“, will der Direktoriumsvorsitzende der öffentlichen Debatte überlassen; er selbst sieht es so.

Ein Karlspreisträger gegen nationalistische und autokratische Tendenzen – insofern ist Guterres also die Alternative zu denen, die Mauern bauen, die Benachteiligte und künftige Generationen ignorieren und nur an sich denken.

Die Macht des UN-Generalsekretärs besteht allerdings weitestgehend im Wort. Er kann appellieren – mehr nicht. Dazu nutzt Guterres jede sich bietende Gelegenheit, zuletzt in der vorigen Woche beim Weltwirtschaftsforum im Schweizer Davos, als er Staats- und Regierungschefs ins Gewissen redete: „Wir leben in einer Welt, in der die globalen Herausforderungen uns immer mehr aneinander binden, die Lösungsansätze jedoch immer weiter auseinanderdriften“, sagte Guterres. „Das ist ein Rezept für eine Katastrophe. Wir müssen zusammenarbeiten. Es ist unmöglich, isolierte Lösungen für diese verflochtenen Probleme zu finden.“


Zwei globale Probleme

Schon vor Jahren hat Guterres da- rauf hingewiesen, dass beide globalen Phänomene zusammenhängen, dass nicht zuletzt durch den Klimawandel verursachte Wetterkatastrophen Menschen in die Flucht treiben. Die Resonanz ist bis heute gering. Unentwegt hat er im vorigen Jahr für den UN-Migrationspakt geworben – für ihn ein „Fahrplan, um Leid und Chaos zu vermeiden sowie Strategien zur Zusammenarbeit bereitzustellen, die uns allen nützen werden“.

Die Erderwärmung nennt Guterres eine „Frage von Leben und Tod“ und verlangt erheblich größere Anstrengungen beim Klimaschutz. Die Versprechen des Pariser Klima-Abkommens von 2015 würden von vielen Staaten nicht eingehalten. Bei der Klimakonferenz im Dezember im polnischen Katowice warnte er: Die Welt sei bei ihren Bemühungen „vom Kurs abgekommen“; der Rückstand müsse aufgeholt werden.

In New York arbeitet Guterres an einer harten Aufgabe. Aber es gibt auch Kritik daran, wie er sein hohes Amt ausübt. Laut einem Bericht des Deutschlandfunks hat die Leiterin des New Yorker Büros von Amnesty International, Sherin Tadros, Guterres Passivität im Fall des ermordeten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi vorgeworfen: „Es ist unglaublich, nicht normal. Wenn er wirklich die Wahrheit herausfinden will, was sonst als eine unabhängige UN-Untersuchung könnte dafür sorgen?“, wird sie zitiert. Es gebe sogar den Vorwurf, Guterres habe die Türkei ausdrücklich gebeten, keine UN-Untersuchung zu veranlassen; denn er brauche das saudische Geld.


Ein Pragmatiker


Generell lautet die Kritik, Guterres sei zu still, zu zurückhaltend gegenüber den großen Geldgebern der UNO – insbesondere den USA. UN-Experte Günther Unser nennt diese Kritik „ziemlich kleinkariert“. Guterres bemühe sich um echte Reformen und habe entsprechende Vorschläge gemacht. Er ist oberster Verwaltungschef der UNO und damit Vorgesetzter von rund 44.000 UN-Beschäftigten. Unser nimmt den Portugiesen in Schutz: „Er ist jemand, der politisches Profil hat. Das ist ganz im Sinne der Vereinten Nationen. Wer sich aber mit den Amerikanern anlegt, bringt nichts zustande.“ Es sei richtig, gegenüber den USA, Russland und China öffentlich zurückhaltend aufzutreten. „Ein UN-Generalsekretär muss lavieren; das gehört leider zu seinem Amt. Wer da seine Rolle überschätzt, ist zum Scheitern verurteilt.“

Dass die UNO nicht frei von Schwächen ist, weiß auch Jürgen Linden. Ähnlich wie Unser stellt er sich vor seinen Preisträger: „Guterres kämpft um die Existenz der Vereinten Nationen.“ Und bei aller notwendigen Diplomatie freut sich Linden auf einen „leidenschaftlichen Politiker, einen Pragmatiker, einen Macher und scharfzüngigen Rhetoriker“.

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