Europawahl 2014 SPD legt zu, AfD mit starkem Ergebnis

Brüssel/Berlin · Es ist der große Tag der Europawahl, an dem die meisten Bürger in den Mitgliedsstaaten an die Wahlurnen gerufen worden sind. Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern haben in Deutschland die Wahllokale inzwischen geschlossen. Und hier ist es auch ein erster Stimmungstest nach der Bundestagswahl im vergangenen Herbst. Gewinner der Europawahl in der Bundesrepublik ist die Union. Doch auch andere Parteien konnten hinzugewinnen.

Jubel bei der SPD über das Abschneiden bei der Europawahl.

Jubel bei der SPD über das Abschneiden bei der Europawahl.

Foto: afp, jd/dg

Lange war das Interesse der Wähler an der Europawahl gering. Schon befürchtete mancher erneut eine niedrige, wenn nicht sogar niedrigere Wahlbeteiligung als bei der letzten Wahl. Doch während in Krisenländern wie Spanien oder Italien nach den bisherigen Prognosen weniger Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten, gingen in Deutschland mit 48 Prozent mehr Menschen zur Wahl als 2009 (43,3) und 2004 (43,0) — also in dem Land, das am besten durch die Euro-Krise gekommen ist. Es war die erste Wahl nach Ausbruch der Krise. Insgesamt aber scheint die Wahlbeteiligung praktisch unverändert geblieben zu sein. 43,11 Prozent aller Berechtigten gaben am Sonntag ihre Stimme ab. So lautete eine erste Schätzung, die am Abend auf einem Nachrichtenblog des Europaparlaments veröffentlicht wurde. 2009 waren es 43 Prozent gewesen. Am niedrigsten war der Wert übrigens in der Slowakei mit 13 Prozent sowie Tschechien mit 19,5 Prozent.

Und so ist die Union mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Land als Regierungschefin durch die Krise geführt hat, Gewinner der Europawahl in Deutschland. Die kommt CDU auf 30,2 Prozent. Das sind 0,5 Prozent weniger als vor fünf Jahren. Die CSU erzielt 5,3 Prozent (minus 1,9). Das sind also 35,5 Prozent für die Union.

Die Union zeigt sich zufrieden. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), sagte im ZDF: "Für uns ist das ein sehr gutes Ergebnis." Die Union sei bei der achten Europawahl zum achten Mal in Folge klar und deutlich stärkste Kraft geworden.

CSU-Spitzenkandidat Markus Ferber hat die herben Verluste seiner Partei mit Problemen im Wahlkampf begründet. "Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass es uns heute nicht gelungen ist, unsere Stammwähler heute zu motivieren, an die Wahlurne zu kommen", räumte er in der ARD ein. "Nach vier Wahlen, die wir in Bayern in den letzten acht Monaten hatten, war das auch die größte Herausforderung."

SPD kann zulegen

Die SPD gehört zu den Gewinnern des Abends. Seit Oktober an der Regierung beteiligt, konnte sie bei der Europawahl zulegen. Die Sozialdemokraten kommen auf auf 27,3 Prozent. Das sind 6,5 Prozent mehr als bei der vergangenen Wahl. Der Fraktionschef der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, bescheinigte seiner Partei ein "fantastisches Ergebnis". Die SPD habe den "höchsten Zuwachs aller Zeiten" bei einer bundesweiten Wahl erreicht, sagte er in der ARD. Aus seiner Sicht hat der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz nun gute Chancen, Präsident der EU-Kommission zu werden.

Ihren hat die SPD einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen zufolge offenbar vor allem der Popularität ihres Spitzenkandidaten Martin Schulz zu verdanken. 72 Prozent der SPD-Wähler unter den von der Forschungsgruppe Befragten wollten Schulz als nächsten EU-Kommissionspräsidenten. Dagegen sprachen sich nur 41 Prozent der CDU/CSU-Anhänger für den EVP-Kandidaten Jean-Claude Juncker als neuen Kommissionspräsidenten aus. Insgesamt 41 Prozent der Deutschen waren für keinen von beiden oder wussten es nicht, meist weil sie die Kandidaten nicht kannten.

Euro-Skeptiker der AfD stark

Mit Spannung war erwartet worden, wie die Euro-Kritiker der Alternative für Deutschland abschneiden würden. Bei der Bundestagswahl waren sie noch an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, die es bei der Europawahl aber nicht gibt. Die AfD hätte sie sonst aber locker gemeistert. Sie kommt auf 7,0 Prozent. Nach den Worten des AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke ist die Partei damit eine "neue Volkspartei in Deutschland". Die Partei sei bei der Europawahl aufgeblüht, während andere Parteien verblühten, sagte Lucke. Sein Mitstreiter Hans-Olaf Henkel kündigte in der ARD an, im Europaparlament nun Verbündete zu suchen — allerdings nicht unter den rechtspopulistischen Parteien, wie das die alteingesessenen Parteien immer wieder behaupteten.

Zu den Verlierern des Abends gehören auch Grüne und FDP. Die Liberalen, die im Herbst bereits aus dem Bundestag geflogen waren, kommen nur auf 3,4 Prozent, ein Minus von 7,6 Prozent. Die Grünen mussten ebenfalls Federn lassen, wenn auch weit geringer. Sie erreichten 10,7 Prozent, das ist ein Minus von 1,4 Prozent. Auf dem Niveau der vergangenen Wahl kam die Linke mit 7,4 Prozent (minus 0,1).

FDP-Parteichef Christian Lindner will mit den Liberalen weiter "beharrlich und leidenschaftlich" für den Wiederaufstieg der Partei arbeiten. Nach dem enttäuschenden Abschneiden sagte er: "Wir haben uns nach der Bundestagswahl nie Illusionen hingegeben, man könnte verlorenes Vertrauen binnen weniger Monate nach der Bundestagswahl zurückerarbeiten." Es sei ein "hundsmiserables Ergebnis, wir haben alle mehr gehofft", sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki im ZDF. Das Ergebnis sei frustrierend. "Aber es haut uns nicht um." Die Partei habe unter anderem Probleme gehabt, medial in Erscheinung zu treten.

Die Grünen sehen ihr Wahlziel bei der Europawahl erreicht. "Das ist ein Superergebnis", sagte Grünen-Co-Chefin Simone Peter auf der Wahlparty in Berlin: "Wir Grüne sind wieder da." Die Partei habe als drittstärkste Kraft alle anderen hinter sich gelassen. Die Spitzenkandidatin der deutschen Grünen, Rebecca Harms, sagte: "Eindeutig. Wir sind raus aus den Kartoffeln." Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner sieht die Grünen auf gutem Kurs. "Wir sind wieder dritte Kraft. Wir wollten zweistellig werden, das haben wir erreicht", sagte er im ZDF.

Kleine Parteien mit besseren Chancen

Bei der Europawahl schlug auch die Stunde der kleineren Parteien. Sie hatten in Deutschland diesmal bessere Chancen auf einen Einzug ins Europaparlament, weil das Bundesverfassungsgericht die seit 2013 geltende Drei-Prozent-Hürde kippte. Am frühen Sonntagabend konnten so Freie Wähler, Piratenpartei, Familien-Partei, Tierschutzpartei, ödp und die rechtsextreme NPD auf einen Sitz im Europaparlament hoffen. Die Zahl der Stimmen für Kleinparteien stieg im langjährigen Vergleich deutlich. Während 1979 nur 0,8 Prozent der Stimmen für sonstige Parteien gewertet wurden, waren es 2009 bereits 10,8.

Nach den Hochrechnungen ergibt sich folgende deutsche Sitzverteilung im Straßburger Parlament: CDU/CSU 35 bis 36 Mandate, SPD 27, Grüne 10 bis 11, Linke 8, FDP 3 und AfD 6 Mandate. Bei der Europawahl konnten sich diesmal auch Kleinparteien eine Chance ausrechnen, weil das Bundesverfassungsgericht im Februar die Fünf-Prozent-Hürde für die Europawahl gekippt hatte. Anders als bei Bundestags- und Landtagswahlen reicht deshalb schon etwa ein Prozent der Stimmen für ein Mandat. Die rechtsextremistische NPD beispielsweise hat einen Sitz, ebenso die Piratenpartei.

Insgesamt waren in den 28 Staaten der Europäischen Union 400 Millionen Bürger aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Allein in Deutschland waren es 64,4 Millionen, darunter 2,9 Millionen aus anderen EU-Staaten.

CDU hatte Merkel in den Mittelpunkt gestellt

Das Europaparlament hat wichtige Kompetenzen in der EU-Gesetzgebung und muss unter anderem dem jährlichen EU-Haushalt zustimmen. Vom Wahlergebnis soll erstmals auch abhängen, wer Präsident der EU-Kommission wird. Die europäischen Parteienfamilien haben deshalb Spitzenkandidaten aufgestellt: die Sozialdemokraten den aus Deutschland stammenden Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, die Konservativen den früheren luxemburgischen Premier und einstigen Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker.

Die CDU hatte von vornherein nicht den Spitzenkandidaten Juncker in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampagne gestellt, sondern Kanzlerin Angela Merkel. Im insgesamt spannungsfreien und von Desinteresse begleiteten Europawahlkampf hatte sie mit ihrer Warnung vor einer europäischen "Sozialunion" zuletzt Populismus-Vorwürfe auf sich gezogen: Ihr gehe es um Stimmen potenzieller AfD-Wähler, hieß es vor allem seitens der deutschen Opposition.

Parallel zur achten Europawahl seit 1979 wurden am Sonntag in zehn Bundesländern neue Kommunalparlamente bestimmt: in den fünf ostdeutschen Flächenländern sowie in Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und im Saarland. Zudem wählten die Niedersachsen zum Teil neue Bürgermeister und Landräte. Ergebnisse werden erst in der Nacht oder in den nächsten Tagen erwartet.

(das)
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